Die Zahl ist gewaltig: Rund 800 000 Patienten pro Jahr legen sich in Deutschland wegen eines Rückenleidens unters Messer – Tendenz steigend. Die einen lassen sich operieren, weil sie an einer Spinalkanalstenose leiden, also einem verengten Wirbelkanal. Andere wiederum plagen sich mit einem Wirbelgleiten. Oder: einem Bandscheibenvorfall.
Der Trend zu immer mehr Rücken-Operationen ist eine Entwicklung, die nicht nur positive Seiten hat: Experten sind sich einig, dass insgesamt zu viel an der Wirbelsäule operiert wird. Doch es gibt eben auch Situationen, die eine Operation zwingend erforderlich machen.
Die gute Nachricht: „Die betroffenen Patienten können wir immer effektiver behandeln und ihre Lebensqualität oft entscheidend verbessern“, sagt Prof. Bernhard Meyer vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. Neurochirurgen wie ihm hilft dabei die rasante technische Entwicklung. „Wir stecken bereits mitten in einer digitalen Revolution“, sagt er.
Künstliche Intelligenz
„Neue Technologien wie künstliche Intelligenz und Robotik werden die Arbeit der Rücken-Operateure in den nächsten fünf Jahren massiv verändern.“ Da ist sich Meyer sicher. Der Neurochirurg hat derzeit den Vorsitz der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft (DWG) inne. Deshalb wird er sich Ende November auch über diesen „Wandel in die Zukunft“ mit etwa 2500 Spezialisten in München austauschen – als Gastgeber des 14. Deutschen Wirbelsäulenkongresses der DWG. Eine kleine Kostprobe bekommen Sie bereits heute: Hier stellen wir Ihnen schon vorab einige neue Entwicklungen und Erkenntnisse vor.
Ein Roboter im OP
Im modernen Operationszentrum des Klinikums rechts der Isar schwören Prof. Sandro Krieg und seine Kollegen bereits auf „Cirq“. Gemeint ist ein Robotersystem. Denn im Uniklinikum wird mit Hightech der neuesten Generation operiert. Cirq funktioniert dabei mit einer Art „Gehirn“, das in den Labors der Münchner Medizin-Innovationsschmiede Brainlab entwickelt worden ist. Es steuert einen Roboterarm, der noch mehr Präzision bei Operationen ermöglicht. „Wir nutzen das System unter anderem, um Schrauben zur Stabilisierung der Wirbelsäule perfekt zu positionieren“, erklärt Experte Krieg.
Dazu wird im Operationssaal zunächst ein dreidimensionales Röntgenbild aufgenommen. Danach füttert der Arzt das Robotersystem Cirq mit der Information, wo genau er die Schrauben setzen möchte. Der Computer berechnet dann den optimalen Bohrkanal – und steuert den Roboterarm in die entsprechende Position. „Er richtet die Bohrhülse mit einer Genauigkeit von Millimeterbruchteilen aus und hält sie bewegungsfrei in dieser Position“, erklärt Krieg. Noch ein Vorteil: Dank seines Roboter-Assistenten kann sich der Operateur ganz auf den Bohrvorgang konzentrieren.
OP mit 3-D-Brille
Eine noch bessere Sicht auf den zu operierenden Bereich trotz kleinster Zugänge: Das macht ein robotisches Mikroskop-System namens „Kinevo“ der Firma Zeiss möglich. Der Operateur schaut dabei nicht mehr direkt durch ein Mikroskop. Stattdessen trägt er eine 3-D-Brille – das Mikroskop selbst hängt an der Decke über dem OP-Tisch. Es zielt direkt auf das meist nur zwei bis drei Zentimeter große OP-Feld – und überträgt hochauflösende Bilder in 4K-Qualität (Ultra-HD) auf einen riesigen Flachbild-Monitor.
Die Vorteile: Der Operateur und das ganze Team haben einen noch besseren Überblick sowie mehr Bewegungsfreiheit im zu operierenden Bereich – weil das Mikroskop weit genug davon weg ist. „Zusätzlich kann man noch Informationen auf den Bildschirm spielen lassen“, sagt Krieg. „Beispielsweise über die genaue Lage des Wirbelkanals oder eines Tumors.“
Teleskop-Technik
Leiden Kinder an einer „Skoliose“, also einer Verkrümmung der Wirbelsäule, müssen sie einiges durchmachen: Ihre Wirbelsäule wird mit einem System aus Stäben und Schrauben stabilisiert und gestreckt. Weil die jungen Patienten noch wachsen, mussten diese Implantate bislang immer wieder versetzt werden; dazu waren stets mehrere Operationen nötig.
Jetzt haben Experten eine neue Technologie zur Verfügung, die Kindern solche wiederholten Eingriffe erspart. Das Hightech-System heißt „Magec Rod“. Dabei handelt es sich – vereinfacht gesagt –um zwei Teleskop-Stangen aus Titan. Diese werden mit jeweils zwei Schrauben am oberen und am unteren Ende der Wirbelsäule befestigt. „Dieses Stabsystem kann mit Hilfe einer Fernbedienung von außen verlängert oder verkürzt werden – ohne OP“, erklärt Prof. Heiko Koller, verantwortlicher Arzt des für solche Eingriffe zuständigen Spezialisten-Teams am Klinikum rechts der Isar.
Besagte Fernbedienung funktioniert nämlich auf der Basis von Magnettechnik: Während der Patient auf dem Bauch liegt, kann der Arzt so einfach per Knopfdruck die Länge der Stäbe im Inneren des Körpers verändern – und das ohne einen Schnitt. „Diese Prozedur wird in der Regel alle zwei bis sechs Monate wiederholt“, erklärt Koller. Insgesamt erstrecke sich die Behandlung über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. „Dabei wird das Stabsystem nicht selten um bis zu drei Zentimeter verlängert“, sagt der Experte. Wenn die Wirbelsäule schließlich begradigt ist, wird das Teleskop-System wieder entfernt – und die Wirbelsäule danach mit einem herkömmlichen System aus starren Stäben und Schrauben stabilisiert.
Fahrbare CT-Röhre
Im neuen OP-Zentrum Nord des Klinikums rechts der Isar arbeiten die Operateure unter anderem mit einer Computertomografie-Anlage (CT), die sich auf Schienen bewegen lässt. Sie schwebt dadurch quasi über den Patienten und liefert noch während des Eingriffs bzw. unmittelbar danach neueste Bilder. Damit können Neurochirurgen beispielsweise noch vor dem Zunähen der Wunde kontrollieren, ob sich eingesetzte Schrauben oder andere Implantate auch wirklich exakt in der gewünschten Position befinden – und gegebenenfalls sofort nachjustieren.
Eine weitere Einsatzmöglichkeit sind Krebsoperationen. Hier können die Neurochirurgen mit dieser Technik sofort überprüfen, ob sie das Tumorgewebe wirklich vollständig entfernt haben. „Falls nicht, können wir sofort weiterarbeiten und die CT-Bilder direkt als Basis für spezielle OP-Navigationssysteme nutzen“, erklärt Prof. Meyer. „Diese sogenannte intraoperative Bildgebung ermöglicht es uns, unsere Patienten noch sicherer zu operieren und optimale Ergebnisse zu erzielen.“