Prostatakrebs: PSA-Test ja oder nein?

von Redaktion

Der „PSA-Test“ für Männer ist umstritten: Diese Blutuntersuchung soll helfen, Prostatakrebs früher aufzuspüren. Doch wie groß ist der Nutzen? Führt der Test gar oft zu unnötigen Eingriffen? Unser Beitrag zum Thema Vorsorge im Männergesundheitsmonat „Movember“.

VON ANDREA EPPNER

Seit rund einem Jahr lebt Josef Haller (Name geändert), 65, mit dem Wissen, dass er Krebs hat. Er hat einen bösartigen Tumor in seiner Prostata. Genauer gesagt: ein „Niedrigrisikokarzinom“. Das ist eine Form des Prostatakrebses, die wenig aggressiv ist und sehr langsam wächst. „Das Risiko, daran zu sterben, ist sehr, sehr gering“, erklärt Privatdozent Dr. Alexander Kretschmer, Oberarzt an der Urologischen Klinik des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Deshalb wurde Haller bis heute weder operiert noch bestrahlt. „Das wäre wie mit Kanonen auf Spatzen schießen“, sagt der Patient.

Strategie der Wahl in solchen Fällen ist in der Tat die „aktive Überwachung“. Das heißt: Erst mal nur regelmäßig kontrollieren. Wird der Krebs aggressiver und größer, kann man immer noch rechtzeitig eingreifen. Meist bedeutet das dann: Die Prostata wird operativ entfernt oder bestrahlt – so wie bei Männern mit aggressiveren Krebsformen. Bei einem Teil dieser Patienten kommt es aber als Folge zu Inkontinenz und Impotenz. Deswegen versuchen Ärzte in Fällen wie bei Haller derartige Eingriffe so lange es geht zu vermeiden.

Dass mit seiner Prostata etwas nicht stimmt, hat Haller nach dem sogenannten PSA-Test, einem Bluttest, vor gut zwölf Monaten schon vermutet. PSA steht für das prostataspezifische Antigen; das ist ein Eiweiß, das von der Prostata gebildet wird. Damals war der gemessene Wert von 3 auf 6 gestiegen. Haller wusste: „Das ist zu viel. Die Grenze liegt bei vier.“ Tatsächlich gilt ein Wert ab vier Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) als „pathologischer Bereich“. Kurz danach hatte Haller seine Diagnose.

Dennoch: Selbst ein PSA-Wert ab vier ng/ml bedeutet nicht zwangsläufig Krebs. Einen fixen Grenzwert für alle Männer gibt es ohnehin nicht. Entscheidender als ein Einzelwert sei der Verlauf – es ist keinesfalls ungewöhnlich, dass der Wert im Lauf der Zeit leicht ansteigt, zumal im Alter auch die Prostata langsam wächst.

Verdächtig ist aber, wie bei Haller, ein sprunghafter Anstieg. Dazu muss man wissen: Haller hat den PSA-Test regelmäßig bestimmen lassen, alle zwei Jahre – das erste Mal schon vor rund zehn Jahren. Anders als viele Männer befasste er sich mit dem kastaniengroßen Organ in seinem Unterleib schon, bevor es Beschwerden machte, etwa beim Wasserlassen.

Die Prostata, auch Vorsteherdrüse genannt, liegt unterhalb der Blase und „umschließt die Harnröhre wie eine Faust“, erklärt Experte Kretschmer. Ihre Aufgabe ist, einen Teil der Samenflüssigkeit zu bilden. „Ab einem gewissen Alter sollte man einfach zur Vorsorge gehen“, sagt Haller.

Denn abgesehen von den häufigen gutartigen Vergrößerungen kann in der Prostata auch Krebs entstehen. Beim Mann ist das sogar die häufigste Krebsart. Und: Rund 20 Prozent der Betroffenen sterben laut Deutscher Gesellschaft für Urologie (DGU) an der Erkrankung.

Dieses Risiko lässt sich senken, wenn der Krebs früh erkannt wird. Darum haben alle Männer ab 45 Jahren Anspruch auf eine kostenfreie Früherkennung. Dazu untersucht der Urologe die Lymphknoten in den Leisten und tastet die Prostata mit dem Finger vom Enddarm aus ab – „um Verhärtungen und Unregelmäßigkeiten zu erkennen“, erklärt Kretschmer. „Digital rektale Untersuchung“ (DRU) nennt sich dieses Verfahren.

Nur: Um damit einen Tumor in der Prostata zu erkennen, muss der schon eine gewisse Größe erreicht haben. Viele Männer entscheiden daher, so wie Haller, die Früherkennung um einen Bluttest zu erweitern, der Krebs noch früher aufspüren soll: der PSA-Test. Dieser wird bislang nicht von gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Die Kosten liegen meist im Bereich zwischen 25 und 35 Euro. „Das ist also nicht so teuer“, sagt Haller – für ihn daher kein Grund, darauf zu verzichten. Er habe sich damals in der Hoffnung dafür entschieden, einen möglichen Krebs in einem frühen Stadium zu erkennen – „in dem er sich noch gut behandeln lässt und dies mit geringen oder keinen Einschränkungen“.

Dass der Test umstritten ist und auch Probleme aufwerfen kann, wusste er damals nicht so genau. Das wiederum erlebt Experte Kretschmer oft. Viele Männer würden sich spontan entscheiden, sagt er. „Man hat von der Untersuchung gehört, macht sie mit. Dann ist der Wert da – und muss interpretiert werden.“ Und genau das ist leider nicht so einfach.

So kann ein erhöhter Wert im Blut zwar der erste Hinweis auf ein Prostatakarzinom sein. Doch nicht nur Krebs, sondern auch andere Faktoren können die Werte erhöhen, etwa chronische Infekte, Geschlechtsverkehr, eine Radtour und schlicht eine große Prostata, so wie sie viele ältere Männer haben. Je nach Alter und Umständen beginne der „Risikobereich“ daher schon ab etwa 2,5 ng/ml, erklärt Kretschmer.

In einer aktuellen Stellungnahme sprechen sich die Experten der DGU für den PSA-Test aus – aber nur für Männer von 45 bis 70 Jahren, die noch eine Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren haben; bei einem erhöhten familiären Risiko schon ab 40 Jahren. Der Abstand bis zum nächsten Test sollte dabei individuell festgelegt werden – abhängig etwa vom ersten Wert und der Größe der Prostata.

Ein derart rascher Anstieg wie bei Haller ist aber auf jeden Fall ein Alarmsignal. „Das war schon mit einer gewissen Unsicherheit verbunden“, sagt er selbst. „Da will man natürlich wissen, was die Ursache ist. Darum habe ich einer Biopsie zugestimmt – weil das der einzige Weg ist, das herauszufinden.“

Bei einer solchen Biopsie wird Gewebe aus der Prostata entnommen. Das ist kein allzu großer Eingriff, der aber auch nicht risikofrei ist – und damit ist man mittendrin im Streit um den PSA-Test. Kritiker sagen nämlich oft, dieser führe zu unnötigen Biopsien. Diese gelte es zu vermeiden – und nicht nur, weil das Prozedere unangenehm ist, bestätigt Kretschmer. Meist wird dazu eine Sonde in den Enddarm eingeführt. Von dort aus werden, unter örtlicher Betäubung, zwölf und oft auch mehr Gewebezylinder aus der Prostata gestanzt, um sie auf Krebs zu untersuchen.

Die Risiken sind Blutungen, die aber meist schnell von selbst nachlassen. Auch Infektionen seien sehr selten – dazu kann es kommen, wenn Bakterien aus dem Darm durch die Wunden in die Prostata eindringen. Um dieses Risiko zu senken, bekommen Männer einige Tage prophylaktisch ein Antibiotikum.

Haller blieb eine Infektion erspart. Er hatte allerdings noch einige Monate nach dem Eingriff etwas Blut im Urin, nicht weiter schlimm. Bei der Untersuchung im Labor wurde aber eben tatsächlich etwas gefunden – besagtes „Niedrigrisikokarzinom“.

Die Zahl solcher Diagnosen steigt, seit sich mehr Männer für den PSA-Test entscheiden. Auch das macht den Test zum Streitfall. „Kritiker monieren, dass es nicht so wichtig ist, zu wissen, ob man ein Niedrigrisikokarzinom hat“, sagt Kretschmer. Von einer „Übertherapie“ ist gar oft die Rede. Denn manche dieser Patienten entscheiden sich – trotz des für sie geringen Risikos -– sofort für eine Therapie: weil sie es nicht ertragen, Krebs zu haben, gegen den nicht gleich etwas unternommen wird.

Haller hat sich bewusst für eine „aktive Beobachtung“ entschieden. „Natürlich ist das eine psychische Belastung“, sagt er. Doch wenn er Glück hat, bleibt ihm eine Therapie erspart. Falls sie dennoch irgendwann nötig wird, hat ihm die Strategie trotzdem viele Jahre verschafft – Jahre ohne Operation, ohne Bestrahlung und damit ohne mögliche unangenehme Therapiefolgen.

„Trotz aller Kritik: Der PSA-Test immer noch das Beste, was wir derzeit haben“, sagt Experte Kretschmer. Fast jeder Patient, den er mit einem Prostata-Tumor in einem örtlich begrenzten und gut behandelbaren Stadium sehe, habe einen PSA-Test gemacht. Auch Haller ist überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. „Man muss der Wahrheit ins Gesicht schauen“, sagt er. „Den Kopf in den Sand zu stecken, ist doch keine Lösung!“

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