Dass mit ihrem Auge etwas nicht stimmt, fiel Gerda Huber*, 71, bei der Sonntagsmesse auf. „Ich war in der Früh in der Kirche“, erzählt sie. Als sie das Gotteslob aufschlägt, kann sie mit dem rechten Auge nicht mehr richtig lesen. „Alles schien gelb unterlegt, Buchstaben verschwanden.“ Im Auge regnete es zudem schwarze Pünktchen. „Das war schon am Tag zuvor so. Ich habe mir aber nichts dabei gedacht“, erzählt Huber.
Dabei gehört ein solcher „Rußregen“, wie Mediziner diese im Auge schwimmenden Pünktchen auch nennen, zu den typischen Anzeichen einer Netzhautablösung, erklärt Prof. Siegfried Priglinger, Direktor der Augenklinik des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Gemeint ist eine Erkrankung des Auges, die im schlimmsten Fall das Augenlicht kosten kann.
Denn in der Netzhaut (siehe Grafik) stecken lichtempfindliche Sinneszellen. Diese „Photorezeptoren“ sind essenziell für das Sehen. Versorgt werden sie von den darunter liegenden Schichten. Das klappt aber nur, wenn sich diese Schichten berühren – so wie im gesunden Auge. Löst sich die Netzhaut ab, stockt die Versorgung: „Dann können die Photorezeptoren nicht mehr arbeiten, man erblindet“, erklärt Priglinger.
So weit muss es aber nicht kommen, wenn Patienten bei ersten Anzeichen zügig zum Augenarzt gehen. Zu den Warnsignalen gehören nicht nur dunkle Pünktchen, wie Huber sie gesehen hat. Manche Patienten nehmen auch Schlieren wahr. Im Anfangsstadium ist zudem ein Blitzen im Auge häufig. Hat sich die Netzhaut an einer Stelle abgehoben, nehmen Patienten dies als Schatten wahr. Dieser wandert meist von der Peripherie ins Zentrum.
Trotz der Sehprobleme machte sich Huber erst keine Sorgen. Es ist Zufall, dass sie genau am nächsten Tag einen Termin beim Hausarzt hat; nebenbei erzählt sie ihm von ihren Augenproblemen. Der Arzt ist alarmiert, rät Huber dringend, sich noch am gleichen Tag in der LMU-Augenklinik untersuchen zu lassen. „Er sagte, ich solle das auf keinen Fall aufschieben“, sagt Huber. Sie folgte diesem Rat: In der Klinik stellte sich bald heraus, dass sich der Glaskörper – also eine Art durchsichtige Gelkugel im Augeninneren – von der Netzhaut abgehoben hat. Dadurch hat sich diese teils abgelöst.
Der Glaskörper sei bei einer Netzhautablösung „der Schuldige“, erklärt Experte Priglinger. Das Gel darin könne sich mit der Zeit verflüssigen – und dann hebt sich der Glaskörper ab, wie bei Huber. „Das passiert bei jedem im Laufe des Lebens“, sagt Priglinger. Da der Glaskörper an einigen Stellen fest mit der Netzhaut verbunden ist, zieht er dabei an ihr. Dieser Zug lässt erst wieder nach, wenn sich der Glaskörper ganz abgehoben hat. „Dann hat man es sozusagen überstanden.“
Nur: Manchmal entsteht durch den Zug ein Riss oder gar ein größeres Loch in der Netzhaut. Dann kann ein Teil des verflüssigten Glaskörpers unter die Netzhaut geraten. Dadurch hebt sich diese ab.
Das ist auch bei Huber passiert. Deshalb war es bei ihr zu spät für einen einfacheren Laser-Eingriff (siehe Kasten). „Ich sollte gleich am nächsten Tag operiert werden“, erzählt sie. Als sie das erfährt, wird auch ihr klar, dass ihr Auge in Gefahr ist. „Das war schon ein Schock“, erinnert sie sich.
Eine „Vitrektomie“ soll das Auge retten: Bei dieser besonders häufig angewandten OP-Methode wird der Glaskörper entfernt. Der Eingriff erfolgt meist in Teilnarkose. So auch bei Huber: „Ich habe aber wenig davon mitbekommen, da fast mein ganzer Kopf mit Tüchern abgedeckt war“, erzählt sie. Schmerzen hat sie nicht. Auch nicht, als die Betäubung nachlässt.
Am Tag nach der OP bleibt das Auge verbunden. Doch auch, als der Verband ab ist, kann Huber auf dem operierten Auge erst mal nichts sehen. Sie war darauf vorbereitet, denn Prof. Priglinger hat ihr genau erklärt, was bei dieser Operation gemacht wird – und mit welchen Folgen.
Bei dem Eingriff verschafft sich der Arzt durch winzige Öffnungen mit einem Durchmesser von etwa einem halben Millimeter Zugang zum Augeninneren. Dann werde der Glaskörper zerkleinert, abgesaugt und zunächst durch eine schwere Flüssigkeit ersetzt, erklärt Priglinger. Diese drückt die abgehobene Netzhaut wieder an die Nährschicht darunter. Damit das dauerhaft so bleibt, werden beide Schichten um die Netzhautlöcher herum von innen mit einem „Endolaser“ versiegelt. Danach wird die Flüssigkeit abgesaugt und durch ein Gas ersetzt.
„Dieses Gas ist undurchsichtig“, sagt Patientin Huber. Genau deshalb kann sie in den ersten Wochen auf dem operierten Auge nicht sehen. Wie ein wabernder Fleck bewegte sich das Gas in ihrem Auge. Besonders beim Gehen sei das unangenehm gewesen. Es macht sogar Sehen mit dem anderen, dem gesunden Auge, anstrengend.
Dennoch ist dieses Gas wichtig: Es drückt die Netzhaut an die Nährschicht darunter. Es dauert nämlich ein paar Tage, bis die gelaserten Stellen vernarben. Erst danach sind die Schichten fest miteinander verbunden. Das Gas muss danach aber nicht abgesaugt werden. Es werde langsam resorbiert und durch körpereigenes Kammerwasser ersetzt, sagt Experte Priglinger.
Bei Huber dauerte das etwa vier Wochen. Danach konnte sie auch auf dem rechten Auge wieder klar sehen – so gut wie zuvor. Nicht bei allen Patienten gelingt das. Huber ist umso dankbarer. „Ich weiß, dass ich großes Glück hatte.“
*Name geändert