Wenn das Knie streikt

von Redaktion

Verletzungen am Knie sind sehr langwierig, Rückschläge nicht selten. Sie müssen „professionell diagnostiziert und behandelt werden“, sagt Dr. Manuel Köhne vom Expertenzentrum Orthopädische Chirurgie München (OCM).

Wann ist eine Knie-OP sinnvoll?

Das lässt sich pauschal schwer beantworten. Entscheidend ist aber: Man sollte sich nicht unter Zeitdruck setzen lassen – weder wenn es um eine Verletzung noch wenn es um einen Gelenkersatz geht. Es gibt nur ganz wenige Notfälle am Knie wie einen Knochenbruch, ein abgelöstes Knorpelfragment oder einen eingeklemmten Meniskus, wo man innerhalb weniger Tage operieren muss.

Aber ist es nicht, etwa nach einem Kreuzbandriss, wichtig, dass der Schaden im Gelenk so schnell wie möglich repariert wird?

In den meisten Fällen kommt es nicht auf die eine oder andere Woche Zuwarten an – im Gegenteil: So ist zum Beispiel bei mehr als 70 Prozent der Kreuzbandverletzungen eine sofortige OP überhaupt nicht erforderlich. Sie kann in manchen Fällen, gerade bei zusätzlichen Innenbandrissen, sogar eher schaden.

Warum?

Weil das Risiko von Komplikationen steigt, wenn man in ein gereiztes Gelenk hineinoperiert. Dazu gehört beispielsweise eine Gelenkversteifung infolge einer Kapselfibrose. Dabei schrumpft die Gewebekapsel um das Gelenk herum zusammen und engt dadurch den Bewegungsspielraum ein. Deshalb macht es in der Regel mehr Sinn, einige Wochen mit dem Eingriff zu warten, bis das Gelenk wieder abgeschwollen ist – allerdings muss man vorher sauber abklären, ob weitere Schäden im Gelenk entstanden sind, etwa Brüche am Unterschenkelknochen, vor allem am sogenannten Tibiakopf.

Viele Patienten glauben, ihr Kreuzband wird wieder zusammengeflickt. Kann man sich das so vorstellen?

Dass das Kreuzband genäht wird, ist eher die Ausnahme. In den meisten Fällen wird es durch eine körpereigene Sehne ersetzt. Diese Technik nennen wir Ärzte Kreuzband-Plastik. Dazu entnehmen die Operateure bevorzugt Material aus den sogenannten Hamstring-Sehnen. Sie befinden sich auf der Rückseite der Oberschenkel. Eine weitere Möglichkeit ist es – wie bei Thomas Dreßen oder Felix Neureuther –, Gewebe der Quadrizepssehne zu verwenden. Sie verläuft auf der Vorderseite der Oberschenkel. Seit 2014 gibt es allerdings ein neues Verfahren, das ein Nähen des Kreuzbandes ermöglicht. Dabei wird ein spezielles Federsystem mit einer Schraube im Knochen verankert. Es mildert den Zug aufs Kreuzband ab und sorgt dafür, dass es bei Bewegung während der Einheilungszeit in Ruhe festwachsen kann.

Für welche Patienten kommt dieses System infrage?

Voraussetzung ist, dass die OP innerhalb von drei Wochen nach der Verletzung erfolgt. Danach lassen sich die schlecht durchbluteten Kreuzbandstümpfe nicht mehr verwenden, weil das Gewebe abgestorben ist.

Muss man ein gerissenes Kreuzband überhaupt operieren lassen?

Gerade bei jüngeren und sportlichen Patienten ist dies meistens sinnvoll. Denn das Kreuzband ist ein wichtiger Stabilisator des Kniegelenks. Wenn es wegfällt und nicht durch eine gute Muskulatur wenigstens teilweise ausgeglichen werden kann, steigt das Risiko von Folgeschäden, wie eines Meniskusrisses oder Knorpelschadens – längerfristig dann Arthrose. Wenn das Kreuzband bei älteren Patienten ohne größere sportliche Ambitionen reißt oder in häufigen Fällen nur angerissen ist, kann man die Verletzung auch mal konservativ ausheilen lassen. Allerdings sollte sich das Knie einigermaßen stabil anfühlen.

Wann sollte man sich bei Meniskusverletzungen unters Messer legen?

Am Anfang einer Meniskusbehandlung steht fast immer die konservative Therapie. Sie ist vor allem dann Erfolg versprechend, wenn es sich um kleinere Risse in dieser halbmondförmigen Knorpelscheibe handelt. Einzige Ausnahme: starke Blockaden, die durch einen eingeklemmten Meniskus entstehen können. Sie sind ein medizinischer Notfall und sollten innerhalb weniger Tage operiert werden. In den Anfängen der Meniskuschirurgie wurde bis in die 1980er-Jahre hinein gerne sehr großzügig und auch recht flott geschnippelt. „Raus damit“ – lautete die Devise. Heute versucht man, den Meniskus möglichst zu erhalten, indem man ihn näht bzw. nur so kleine Anteile wie nötig entfernt.

Warum ist der Meniskus eigentlich so wichtig?

Er wirkt wie ein Stoßdämpfer im Knie und schützt vor Knorpelschäden. Ist der Meniskus futsch, schädigt der dadurch entstehende Druck den Knorpel mehr und mehr. Und ist auch kein Knorpel mehr da, reibt Knochen auf Knochen. Das nennt man dann Arthrose. Ein Knie ohne Meniskus ist eigentlich ein Garant dafür, dass der Patient später mal ein künstliches Gelenk braucht.

Lässt sich dieser Prozess stoppen oder zumindest hinauszögern?

Arthrose ist nach wie vor leider nicht heilbar. Aber man kann das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Dabei können beispielsweise Injektionen mit Hyaluronsäure helfen. Sie wirken wie eine Art Schmiermittel im Gelenk. Hyaluronsäure soll die angegriffenen, rauen Gelenkflächen geschmeidig machen und so verhindern, dass es zu akuten Gelenkentzündungen kommt. Gerade bei Verletzungen an Bändern, Muskeln und Sehnen wird zudem auch die sogenannte Eigenbluttherapie oder ACP-Therapie effektiv eingesetzt.

Wofür steht ACP?

Für „autologues conditioned plasma“. Im Prinzip werden aus dem Blut des Patienten die heilenden Bestandteile herausgefiltert und in konzentrierter Form an die erkrankte Körperstelle gespritzt. Auch bei Arthrose in leichten bis mittleren Stadien kann ACP gut helfen – das ist mittlerweile durch viele klinische Studien belegt worden. Anders schaut es bei manchen Nahrungsergänzungsmitteln aus. Viele der vermeintlichen Knorpelretter sanieren weniger das Gelenk als das Unternehmen, das sie herstellt. Hier ist große Sorgfalt gefragt, die richtigen Produkte auszuwählen. Effektiver ist es, Übergewicht abzubauen und sich regelmäßig zu bewegen. Bewegung in Maßen hilft, Schmerzen zu lindern – auch bei Arthrose.

Kann man Knie- und Arthroseschmerzen guten Gewissens mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln wie Ibuprofen oder Diclofenac bekämpfen?

Diese Medikamente aus der Gruppe der sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) lindern zwar in vielen Fällen die Beschwerden sehr gut – man sollte sie aber trotzdem nur über einen kurzen Zeitraum nehmen. Wenn man sie zu oft und in zu hoher Dosis schluckt, steigt das Risiko von Nebenwirkungen. Dazu gehören neben Magenschleimhautentzündungen und zum Teil gravierenden Einschränkungen der Nierenfunktion auch Schädigungen der Blutgefäße bzw. des Herz-Kreislauf-Systems.

Interview: Andreas Beez

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