Corona-Epidemie: Risikofaktor Schule?

von Redaktion

Die gute Nachricht zuerst: Covid-19 verläuft bei Kindern nicht stark – oft entwickeln Infizierte nicht mal Symptome. Jetzt die schlechte Neuigkeit: Ansteckend sind sie dann wohl trotzdem. Aber sind „Coronaferien“ – Schul- und Kita-Schließungen – wirklich sinnvoll? Eine medizinische Spurensuche.

VON BARBARA NAZAREWSKA

Seit Ausbruch der Corona-Epidemie in China beschäftigt Experten weltweit eine rätselhafte Frage: Warum erkranken Kinder – gemeinhin besonders anfällig – so selten an Covid-19?

Ein internationales Forscherteam um Qifang Bi von der Johns Hopkins Bloomberg School of Health in Baltimore hat jetzt offenbar erste Antworten gefunden: Demnach stecken sich Kinder genauso leicht an wie Erwachsene und sind somit auch Überträger des Virus. Aber: Ihr Immunsystem reagiert vermutlich anders (Kasten). Aus diesem Grund entwickeln sie meist keine oder nur milde Symptome – und erholen sich schnell.

Wie ansteckend ein infiziertes Kind tatsächlich ist, insbesondere dann, wenn es kaum Symptome zeigt, bleibt bis dato allerdings unklar. „Dies ist eine der noch offenen kritischen Fragen“, sagt Bis Kollege Justin Lessler. Er sagt aber auch: „Ich selbst habe ein sieben Monate altes und ein sechs Jahre altes Kind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie im Falle einer Infektion das Virus nicht an andere weitergeben würden.“ Hierzulande gehen Experten ebenfalls davon aus, dass Kinder bei der Ausbreitung des Coronavirus eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, zumal sie das Virus wohl auch länger ausscheiden als Erwachsene. „Kinder können stille Infektionsquellen für andere sein“, sagt etwa Dr. Ulrich Schaller, Hausarzt in München-Pasing (Interview unten).

Die Wissenschaftler um Bi hatten für ihre Studie Patientendaten aus der südostchinesischen Metropole Shenzhen ausgewertet; aus der ersten Phase des Ausbruchs. Es handelt sich dabei um Infektionsmeldungen vom 14. Januar bis 12. Februar 2020. Und: Erstmals wurden dabei nicht nur die Daten der Infizierten, sondern eben auch von Menschen aus deren Umfeld berücksichtigt – insgesamt also rund 1700 Personen.

Bi und seine Kollegen schlussfolgern daraus: „Kinder sollten in Analysen der Übertragung und bei der Epidemie-Kontrolle unbedingt berücksichtigt werden!“ Damit rückt freilich die Frage in den Vordergrund, inwieweit Corona-Ausbrüche an Schulen unerkannt geblieben sind und weiter bleiben könnten – weil Kinder eben meist nur milde Symptome entwickeln, wenn überhaupt. Machen vorsorgliche Schul- und Kita-Schließungen also doch Sinn?

In Bayern gilt derzeit: Sobald es einen bestätigten Fall in einer Bildungseinrichtung gibt, wird diese vorübergehend gesperrt. Auch wer aus einem Risikogebiet – seit kurzem zählt Südtirol dazu – zurückkehrt, soll nach dem Willen der Behörde zunächst 14 Tage daheim bleiben.

Der Virologe Prof. Alexander Kekulé von der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg geht einen Schritt weiter und forderte schon vor Tagen flächendeckende Schulschließungen für zwei Wochen. Diese „Coronaferien“ sollen bundesweit die Ausbreitung des Virus eindämmen. Doch nicht alle Experten sind von einer solchen Maßnahme überzeugt.

„Schulschließungen können sinnvoll sein, wenn man Hygiene-Maßnahmen nicht gewährleisten kann“, sagt etwa die Virologin Prof. Ulrike Protzer von der Technischen Universität (TUM) und vom Helmholtz Zentrum München. Aber: „Man muss auch die enormen Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung und Wirtschaft bedenken – wenn die jungen Eltern dann nicht mehr zur Arbeit gehen können, sondern sich um ihre Kinder kümmern müssen.“ Mit Blick auf Maßnahmen wie Quarantäne und Schulschließungen sollte man allerdings verstehen, dass diese nicht auf den Schutz von Einzelnen abzielten, weil etwa das Virus so gefährlich wäre – „sie sind gedacht, um die Ausbreitung zu verlangsamen“, erklärt Expertin Protzer: „Wenn ich ein Virus habe, das auf 100 Prozent empfängliche Personen trifft, breitet sich das sehr schnell aus.“ In der Folge könne das Gesundheitssystem überlastet und so die Versorgung von allen Erkrankten gefährdet werden.

Zwar verbreiten sich in Schulen und Kitas Viren in der Tat relativ schnell. Nur: Neue Datenanalysen zeigen auch, dass Kinder bei Covid-19 wahrscheinlich keine so bedeutsamen Treiber für die Ausbreitung in der Gemeinschaft sind wie etwa bei Grippe. Anzunehmen ist demnach, dass Kinder sich vor allem bei Erwachsenen anstecken, Erwachsene aber umgekehrt weniger bei Kindern.

Welche Theorie am Ende mehr Bestand hat, muss sich erst zeigen. Dass aber die Ängste weiter hochkochen, steht wohl außer Frage: „Was viele Leute beunruhigt, ist, dass die Infizierten teils keine Symptome zeigen, sich nicht krank fühlen. Das macht das Virus unheimlich und ungreifbar. Wir fühlen uns unsicher“, erklärt Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Prof. Helena Dimou-Diringer (Interview rechts).

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