Corona-Krise: Wie schaffe ich das?

von Redaktion

Zu Hause bleiben, soziale Kontakte reduzieren, Abstand halten: Die Corona-Krise verändert unser Leben. Wer seelisch widerstandsfähig ist, hat es jetzt leichter. Die gute Nachricht lautet: Diese Widerstandsfähigkeit kann man trainieren! Und die fast noch bessere Nachricht: Der Ausnahmezustand macht uns stärker.

VON BARBARA NAZAREWSKA

Experten wissen es schon lange: Menschen mit einer positiven Lebenseinstellung sind psychisch widerstandsfähiger – und bewältigen Krisen leichter. In Zeiten von Corona ist das Gold wert. Denn hier passiert, sehr unvermittelt, etwas Bedrohliches, das unseren Alltag schlagartig in allen Bereichen dramatisch verändert. Doch wie lässt sich diese gefühlte Gefahr als Chance nutzen? Darüber sprachen wir mit Dr. Anna Beraldi, leitende Psychologin und Spezialistin für Resilienz am kbo-Lech-Mangfall-Klinikum in Garmisch-Partenkirchen, und Felicitas Heyne, Psychologin, Buchautorin und Kolumnistin unserer Zeitung. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wieso fühlen sich so viele Menschen in der Corona-Krise derart machtlos?

Wie jede Krise löse auch die Corona-Krise Ängste und Unsicherheiten aus, erklärt Expertin Beraldi: „Was wir aktuell erfahren, ist, wie verletzlich der Mensch ist und wie brüchig unsere Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit sind.“ Menschen müssten daher erst mal lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen. Das wiederum erfordere Zeit und die Fähigkeit, sich anzupassen. Psychologin Heyne rät dabei zum „Gegensteuern“ – „um sich die Kontrolle über das eigene Leben und vor allem über die eigene emotionale Befindlichkeit zurückzuholen“. Ganz konkret: Hygieneregeln beachten, soziale Distanz praktizieren, eine vernünftige Vorratshaltung anlegen – keine Hamsterkäufe! „Eine gute Möglichkeit ist es immer auch, wenn man sich für andere engagiert. Wer jünger ist, kann etwa ehrenamtlich für Ältere die Einkäufe übernehmen“, rät Heyne. Und: Zwei- bis dreimal täglich eine oder maximal zwei seriöse Nachrichtenquellen bezüglich der neuesten Entwicklungen checken, etwa in der Heimatzeitung. „Ansonsten meine Zeit anders und sinnvoll nutzen“, rät Heyne.

Welche positiven Aspekte hat die Corona-Krise?

„Wir werden aufs Wesentliche zurückgeworfen, als Einzelne wie auch als Gesellschaft“, sagt Expertin Heyne. Ganz entscheidend sei dabei: Familien rücken jetzt viel näher zusammen, sie verbringen mehr Zeit miteinander. „Die Frequenz, in der wir uns versichern, dass es unseren Lieben gut geht, steigt überall! Wir telefonieren, mailen, skypen miteinander – und fragen uns gegenseitig, ob es uns gut geht.“ Und: Wir achten mehr auf uns, auf unsere Hygiene, unsere Gesundheit. Wir achten aber auch verstärkt auf Schwächere, kümmern uns als Jüngere um Ältere, lernen, uns zurückzunehmen und unsere Interessen hinten anzustellen – um andere zu schützen und dem Gemeinwohl etwas Gutes zu tun. „Das bekommt unserer arg individualistischen Ellenbogengesellschaft gar nicht schlecht!“, urteilt Heyne. Und: Durch Corona sind plötzlich Dinge möglich, die vorher – angeblich – nicht möglich waren. Darin steckt eine Riesenchance! Nur ein Beispiel: Bisher hieß es oft, „Home-Office“ gehe nicht, sei zu kompliziert – doch auf einmal läuft es ziemlich gut.

Wie stärke ich in der Corona-Krise meine seelische Widerstandskraft?

„Ich kann damit beginnen, mich auf die positiven Dinge zu konzentrieren“, rät Heyne. Sich also bewusst machen: Wir leben in Deutschland, einem Land mit einer stabilen politischen Führung und einem ausgezeichneten Gesundheitssystem. Das ist schon mal ein großes Privileg! Unsere Versorgungslage ist überdurchschnittlich gut. Zudem existieren sehr gute Notfallpläne und Strukturen für Krisenfälle, und diese werden derzeit mit Hochdruck noch weiter ausgebaut. Psychologin Beraldi sagt: „Ich würde mir wünschen, dass wir die Zeit des Rückzugs, der sozialen Isolation, der Entschleunigung nutzen, um nachzudenken und neue Prioritäten zu setzen. Wir haben durch die Krise die Möglichkeit, über den Wert des Lebens und unseren Umgang mit Angst, Erkrankung und Tod zu reflektieren. Und das Dank eines unsichtbaren Virus!“ Wem es gelinge durch „Refraiming“, also die Neu-Bewertung der Situation, eine andere Sicht auf die Dinge zu gewinnen, „kann die Krise als Chance nutzen“.

Wenn alles wieder vorbei ist – inwiefern gehen wir gestärkt daraus hervor?

In der Psychologie gibt es den Begriff des posttraumatischen Wachstums. „Damit ist gemeint, dass viele Menschen, die sehr schwere Schicksalsschläge verkraftet haben, im Rückblick sagen, dass sie an der Herausforderung gewachsen sind, sich persönlich weiterentwickelt haben. Dass sie sich die schlimme Erfahrung zwar nicht freiwillig ausgewählt hätten, dass sie aber letzten Endes durch sie zu dem geworden sind, was sie sind“, erklärt Heyne. Die Corona-Krise sei zwar kein Trauma im klassischen Sinn, aber auf jeden Fall eine Herausforderung für jeden von uns, ebenso wie für die Gesellschaft als Ganzes. „Und damit auch eine große Chance für Lernen und Wachstum.“ Expertin Beraldi sagt: „Verantwortung für sich, sein Leben und für die anderen zu übernehmen, unabhängig davon, was mir in der Vergangenheit widerfahren ist oder was im Moment gerade ohne mein Zutun passiert, ist sehr hilfreich für das eigene Befinden und wesentlich für das Miteinander.“ Beraldi ist gebürtige Italienerin – und verfolgt, wie die Menschen dort mit der Situation umgehen. „Es ist spannend zu sehen, in welcher Form sich hier die Resilienz-Faktoren wiederfinden. Es kursieren beispielsweise zahllose Videos in den sozialen Medien, die eindeutig über Humor eine stress- und angstreduzierende Wirkung artikulieren.“ Diesen Humor sollte man sich bewahren.

Wie erhalten wir uns das Positive für die Zukunft?

„Die Corona-Krise ist eine riesige Lektion in Sachen Demut für uns alle“, sagt Expertin Heyne. „Letzten Endes zwingt sie uns zu einem Blick auf die eigene Verletzlichkeit und Endlichkeit, auf den Tod an sich als Teil des Lebens. Wer es für sich schafft, sich mit diesen großen Themen gut und stimmig auseinanderzusetzen, wird in jedem Fall eine nachhaltige Verbesserung seiner Resilienz für sich feststellen.“ Auch Psychologin Beraldi ist überzeugt, es sei wichtig, sich auch weiterhin, nach der Krise, zu schützen und die eigenen persönlichen Ressourcen zu entdecken und zu stärken. „Also dafür zu sorgen, dass das eigene Energiereservoir regelmäßig aufgefüllt wird. Nicht zuletzt, um präventiv zu wirken, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen, dass wir uns ausgelaugt und ausgebrannt fühlen.“

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