Manche Senioren haben in ihrer Patientenverfügung eine Beatmung abgelehnt. Bedeutet das also, dass sie auch bei einer schweren Covid-19-Erkrankung nicht beatmet werden?
Im Fall einer Covid-19-Erkrankung werden auch Patienten beatmet, die in der Patientenverfügung eine Beatmung abgelehnt haben. Das hat folgenden Grund: Allein aufgrund einer Covid-19-Erkrankung liegen die in der Patientenverfügung vorgegebenen Situationen, in welchen diese gilt, nicht vor.
Wann gilt eine Patientenverfügung üblicherweise?
Für folgende – stark vereinfacht – beschriebene Situationen: Im unmittelbaren Sterbeprozess. Im Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit. Im Falle einer derart schweren Hirnschädigung, dass ein Erwachen des Patienten aus einem Koma nicht mehr wahrscheinlich ist. Und: Im Falle eines so fortgeschrittenen Hirnabbauprozesses, sodass eine natürliche Nahrungsaufnahme – selbst mit Hilfestellungen – nicht mehr möglich ist, weil beispielsweise ein Schluckreflex nicht ausgelöst wird. Solange die Heilung eines Covid-19-Erkrankten möglich erscheint, wird dieser Patient auch beatmet werden. Gleiches, nämlich die Durchführung der Beatmung, erfolgt, wenn eine solche Beatmung zur Leidensminderung notwendig oder sinnvoll ist.
Ist es in der aktuellen Situation angebracht, zu überprüfen, ob die Formulierungen in der Patientenverfügung den eigenen Willen wirklich klar ausdrücken?
Wenn die Patientenverfügung ordnungsgemäß erstellt ist – etwa anhand der Vorschläge des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz oder der Landeshauptstadt München –, dann bedarf es keiner Überprüfung. Dann nämlich ist in der Patientenverfügung klar und eindeutig geregelt, in welchen Situationen diese gelten soll. Erst anschließend ist konkret geregelt, was dann gelten soll: etwa eine weitere Heilbehandlung oder die palliativmedizinische Versorgung. Insoweit verweise ich auf meine vorangehende Antwort. Noch einmal: Eine Patientenverfügung gilt immer nur in den in der Verfügung festgelegten Situationen, welche allein durch eine Covid-19-Erkrankung nicht vorliegen! Es bedarf somit keiner Überprüfung der Patientenverfügung allein aufgrund der aktuellen Situation der Corona-Pandemie.
Ist überhaupt damit zu rechnen, dass Ärzte vor der Entscheidung „Beatmung oder nicht“ Zeit haben, eine Patientenverfügung so genau zu studieren?
Mediziner werden sich dann, wenn ihnen eine eindeutige Patientenverfügung vorliegt, an diese halten. Andernfalls könnten sie sich einer strafbaren Körperverletzung schuldig machen. Üblicherweise bedarf es auch keiner sehr zeitaufwendigen Erfassung einer Patientenverfügung durch den Arzt. Dies jedenfalls dann nicht, wenn die Patientenverfügung sich hinsichtlich des Aufbaus an Standards orientiert und zunächst klar und eindeutig vorgibt, wann – und somit in welchen Situationen – die Patientenverfügung gelten soll. Und erst anschließend regelt, was dann konkret gelten soll.
Falls auch bei uns Beatmungsgeräte knapp werden: Können Senioren auch für diesen speziellen Fall per Patientenverfügung ihren Willen festlegen? Etwa um Ärzten diese schwere Entscheidung abzunehmen?
Ausgehend von dem Grundsatz, dass auch eine Beatmung grundsätzlich eine strafbare Gesundheitsverletzung sein kann, die nur deshalb für den behandelnden Arzt nicht strafbar ist, weil der Patient in diese Behandlung ausdrücklich oder mutmaßlich einwilligt, muss es grundsätzlich möglich sein, derartige Behandlungen zu untersagen. Das aber ist schwer in einer allgemeinen Patientenverfügung zu regeln. Vielmehr sollte derjenige, der dies wünscht, eine ausdrückliche Regelung dahingehend formulieren, dass er für den Fall, dass vor Ort nicht ausreichend Beatmungsgeräte zur Beatmung aller beatmungsbedürftigen Patienten vorhanden sind, eine Beatmung seiner Person ablehnt.
Gibt es schon gerichtliche Entscheidungen zu einer derartigen Fragestellung?
Noch liegen keine vor, da derartige Entscheidungen bisher glücklicherweise nicht erforderlich waren. Auch stellt sich die Frage, ob eine solche Verfügung sinnvoll ist, da sie den jeweiligen Arzt möglicherweise in weitere, ungewohnte Abwägungsprozesse verwickelt – und dadurch das gewünschte Ergebnis der Vermeidung einer schweren Entscheidung gerade nicht erreicht.
Interview und Zusammenfassung: A. Eppner und B. Nazarewska