Das Horror-Szenario der Ärzte: Wer darf leben, wer muss sterben?

von Redaktion

In den nächsten Wochen könnte durch die Corona-Krise eine Lage auf Deutschlands Kliniken zukommen, die es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat: Bei einer Überlastung der Intensivstationen müssten Ärzte – im schlimmsten Fall – darüber entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss.

Der Extremfall wäre, dass Patienten von Beatmungsgeräten abgekoppelt würden, um andere retten zu können. „Das wäre, wenn die Intensivbehandlung medizinisch eigentlich weiterhin geboten wäre, strikt rechtlich betrachtet ein aktiv-tödliches Handeln“, sagt Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, Mitglied des Deutschen Ethikrats. „Nehmen Sie den Fall eines schwer kranken 80-Jährigen, der aber die Chance hat, wieder aus der Intensivstation rauszukommen und dann noch drei oder vier Jahre zu leben. Und jetzt wird eine junge Mutter in lebensbedrohlichem Zustand eingeliefert, und die Ärzte entscheiden, den 80-Jährigen abzuhängen.“ Wenn dann die Kinder des Mannes Strafanzeige stellen würden, wäre die Staatsanwaltschaft verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

Der Ethikrat hat in seiner kürzlich veröffentlichten Empfehlung „Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise“ dazu die Formulierung aufgenommen, der Arzt könne in einem solchen Fall „mit einer entschuldigenden Nachsicht der Rechtsordnung rechnen“.

Das heißt: Die Handlung war zwar nicht rechtens, wird aber nicht bestraft. „Eine moralisch schuldfreie Entscheidung gibt es in einer solchen Situation gar nicht“, sagt Merkel. „Aber vor dem Strafrecht muss man die Ärzte in einer so dramatischen Situation so gut es geht bewahren. Sie sind ja, selbst wenn sie im Einzelfall rechtlich falsch entscheiden sollten, selbstverständlich keine Verbrecher.“

Christoph Driessen

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