Die heimliche Macht der Hormone

von Redaktion

Wie die winzigen chemischen Postboten unser ganzes Leben bestimmen

VON ANDREA EPPNER

Ob unser Herz vor Angst rast oder aus Liebe bis zum Hals schlägt, ob wir voller Tatendrang sind oder träge auf der Couch hocken: Hormone bestimmen mit, wie wir uns fühlen. „Sie sind universelle Botenstoffe, die in jeden Bereich des Körpers eingreifen“, sagt der Münchner Endokrinologe Prof. Harald J. Schneider. Gemeinsam mit Journalistin Nicola Jacobi führt er in einem Buch in die Welt der winzigen Boten ein: „Hormone – ihr Einfluss auf mein Leben“. Denn Schneider ist überzeugt. „Viele unterschätzen ihren Einfluss.“ Dabei bestimmen sie unser Leben, von der Geburt bis zum Tod.

Hormone sind nichts anderes als chemische Postboten. Mit dem Blut gelangen sie vom Kopf bis in den kleinen Zeh. „Damit sagt eine Zelle der anderen, was sie zu tun hat“, erklärt Schneider. Gebildet werden sie in Drüsen. Die wichtigsten, Hypothalamus und Hypophyse, sitzen im Kopf. „Die Hypophyse ist die zentrale Steuerung des Hormonsystems“, erklärt er. Sie ist wie ein Dirigent, der dafür sorgt, dass alle Musiker im Hormon-Orchester perfekt zusammenspielen. Einige dieser Boten stellen wir hier vor.

Thyroxin: Immer aktiv oder ständig träge?

Thyroxin ist eines von gleich mehreren Hormonen, die in der Schilddrüse gebildet werden. Das ist eine schmetterlingsförmige Drüse, die im Hals sitzt. Die Hormone, die sie herstellt, regulieren den Stoffwechsel. Sie entscheiden mit darüber, ob wir uns voller Energie fühlen oder träge und müde – „wie ein Motor, der zu wenig Treibstoff bekommt“, sagt Schneider. Genau dazu kann es kommen, wenn die Schilddrüse zu wenige dieser Hormone bildet, bei einer „Unterfunktion“. Dann nimmt man sogar zu, obwohl man nicht mehr isst als sonst. „Thyroxin“-Tabletten können den Mangel ausgleichen – und die Energie zurückbringen. Ein Zuviel an Schilddrüsenhormonen ist aber auch nicht gut. „Dann schlägt das Herz schneller, man ist unruhig und zittrig.“

Ghrelin: Wenn der Hunger uns antreibt

Wer den halben Kühlschrank plündert, kann sicher sein: in seinem Blut ist gerade richtig viel „Ghrelin“, ein wichtiges Hungerhormon“. Es entscheidet aber nicht allein darüber, ob wir uns noch den fünften Knödel gönnen – oder ob wir den Teller von uns schieben, weil Hormone wie „Leptin“ und das blutzuckersenkende Hormon „Insulin“ ansteigen. Das Problem: Unser Hormonsystem sei noch auf Steinzeit eingestellt, sagt Schneider. Damals hat sich der Körper an extreme Bedingungen angepasst. Oft gab es lange gar kein Essen, dann wieder ein ganzes Mammut auf einmal. Dadurch hat der Körper gelernt, die maximale Energie aus Essen zu holen, wenn denn mal welches da ist. Seither habe sich genetisch nicht viel geändert, sagt der Experte. Nur, dass wir zum Kühlschrank gehen statt auf die Jagd – mit ein Grund, warum so viele Menschen übergewichtig seien. Diäten machen alles nur noch schlimmer. Auch daran sind die Steinzeit-Gene schuld. Nach einer Phase des Hungers stellen sich die Hormone so um, dass der Körper danach besonders viel Energie aus Essen holen kann. „Das bleibt oft viele Jahre“, warnt Schneider. „So erklärt man sich den Jojo-Effekt.“ Verhindern lässt sich das nur durch eine dauerhafte Ernährungsumstellung mit mehr pflanzlicher, eiweißreicher Kost und weniger Fertigprodukten.

Adrenalin und Cortisol: Immer unter Stress

Ein Relikt der Steinzeit sind auch Stresshormone wie Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol: Sie bewirken nicht nur, dass sich uns vor Angst die Nackenhaare aufstellen. Vor allem machen sie uns aufmerksam und bereit für Kampf oder Flucht. Dazu lassen sie das Herz schneller schlagen, die Durchblutung verbessert sich, der Blutzucker steigt. „Das hat unseren Vorfahren schon oft das Leben gerettet“, sagt Schneider. „So konnten sie ihre Energie schnell mobilisieren.“ Bald darauf waren sie schon wieder entspannt. Denn Bewegung lässt diese Hormone wieder absinken. Genau die fehlt uns heute, wenn wir statt gegen echte Angreifer mit beruflichen und privaten Anforderungen kämpfen. Bleiben Stresshormone aber dauerhaft erhöht, fördere das Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und sogar Depressionen, warnt Schneider. Ist der Cortisol-Spiegel über längere Zeit sehr hoch, kann das allerdings auch einen erfreulichen Grund haben: Dieses Hormon ist es nämlich auch, das Frischverliebte so aufgekratzt sein lässt.

Testosteron: Nicht nur ein Männerhormon

Testosteron gilt als Männerhormon schlechthin. Es fördert kräftige Muskeln, macht draufgängerisch und aggressiv. Ein Mangel wiederum kann der Grund sein, wenn es im Bett nicht läuft: Testosteron ist nämlich wichtig für die Erektionsfähigkeit und für die Libido – übrigens auch bei der Frau. Ihr Körper bildet nämlich ebenfalls Testosteron, wenn auch weniger. Kurz vor dem Eisprung steigt es, genau wie das Östrogen, etwas an – und verändert damit sogar das Verhalten. So habe eine Studie mit Stripperinnen gezeigt, dass diese in der Zeit um den Eisprung besonders viel Trinkgeld bekamen – vermutlich, weil sie unbewusst noch lasziver tanzten. Übrigens: Hat sich ein Mann erst einmal verliebt, geht es bei ihm mit dem Testosteron vorübergehend bergab: Denn Werben und Kämpfen ist dann erst mal nicht mehr nötig. Nach einigen Monaten haben sich die Hormonspiegel aber wieder normalisiert – bei beiden Geschlechtern.

Oxytocin: Es macht kuschelig und treu

Ein weiteres Hormon sorgt dafür, dass Mann und Frau zusammenbleiben: Oxytocin gilt als „Kuschel- und Bindungshormon“. Es wird durch Nähe und Berührung freigesetzt, etwa durch Streicheln und Umarmen. Oxytocin fördert auch die Bindung von Mutter und Kind – und hält überhaupt die ganze Familie zusammen. Wie stark dieser Effekt ist, hat Schneider selbst erfahren. „Seit ich selbst Vater geworden bin, fühle ich mich als ganz anderer Mensch“, sagt er.

Östrogene: Hormone machen Stimmung

Das zyklische Auf und Ab von Östrogenen und Progesteron dient bei Frauen dazu, den Körper immer wieder neu auf eine mögliche Schwangerschaft vorzubereiten. In der Zeit vor den Tagen kämpfen dabei viele mit Stimmungsschwankungen oder sogar körperlichen Beschwerden, auch als Prämenstruelles Syndrom (PMS) bekannt. Auf den Zyklus wirken auch hormonelle Verhütungsmittel ein – wie etwa die Antibabypille, die heuer 60 Jahre alt wird. „Sie wirkt, indem sie dem Körper eine Schwangerschaft vorgaukelt.“

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