„Ein Rollator? Ich? Kommt nicht in Frage, das ist was für alte Leute!“ Meine Schwiegermutter fuchtelt mit dem Kartoffelschäler. Mein Mann grinst hinter ihrem Rücken, und ich überlege, ob es einen diplomatischen Weg gibt, sie auf ihr Geburtsjahr (1934) hinzuweisen. Aber der Kartoffelschäler macht mir Angst. Meine Schwiegermutter ist Spanierin, an Temperament mangelt es ihr also nicht. Dafür seit einem angeknacksten Rückenwirbel leider etwas an Gehsicherheit, was mich beunruhigt, denn nun wagt sie sich immer weniger außer Haus. Das schränkt ihre Kontakt- und Erlebnismöglichkeiten ein und schafft zudem eine negative Abwärtsspirale: Je mehr sie daheim sitzt, desto unbeweglicher und unsicherer wird sie natürlich auf lange Sicht. Deswegen mein wenig erfolgreicher heutiger Vorstoß.
Beweglichkeit ist ein wichtiger Teil unserer Lebensqualität – nicht nur im höheren Lebensalter. Eine große mexikanische Studie wies 2016 überzeugend nach, dass depressive Symptome und geringere Lebenszufriedenheit bei Senioren nicht einfach so mit dem Alter zunehmen, sondern vor allem mit verminderter Mobilität zu tun haben. Untersuchungen aus Australien, Schweden und anderen Ländern bestätigten diesen Zusammenhang.
Wird uns Mobilität als zentraler Aspekt unserer persönlichen Freiheit genommen oder auch nur stark eingeschränkt, fühlen wir uns unglücklich. Das hat Corona uns allen im Frühling deutlich vor Augen geführt. Der Soziologe Hartmut Rosa sprach in diesem Zusammenhang von der „radikal verkürzten Weltreichweite“. Er meinte damit die Reduzierung unseres persönlichen Lebensradius in räumlicher und zeitlicher Hinsicht: weder können wir ja derzeit große Reisen unternehmen, noch weit in die Zukunft hinein planen.
Der Begriff passt aber auch ganz unabhängig von Corona gut zum Thema. Denn verkleinert sich unser physiscer Bewegungsradius dauerhaft, wirkt sich das häufig auch negativ auf unsere geistige Beweglichkeit aus. Unsere Welt verengt sich dann, innen wie außen.
Als treue/r Leser/in meiner Kolumne wissen Sie außerdem natürlich, dass neue Erfahrungen unser Belohnungszentrum im Gehirn besonders gut stimulieren. Es schüttet dann glücklich machende Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin und Noradrenalin aus. Innerhalb unserer heimischen vier Wände begegnet uns aber in aller Regel weit weniger Neues als außerhalb davon.
„Ein Rollator ist für viele das optische Zeichen einer Behinderung“, sagt Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilfe. Klar, dass man sich da erst einmal sträubt. Da hilft nur, eine alte Psychologen-Weisheit zu bemühen: Die Kraft zur Veränderung kommt aus dem Ziel! Ist ein Ziel nur attraktiv genug, dann überwinden wir auch Widerstände – innere wie äußere – auf dem Weg dorthin. Also: Wofür lohnt es sich, wieder eigenständig mobil(er) zu werden? Welches persönliche Plus an Lebensqualität ließe sich mit Rollator (oder anderer Mobilitätshilfe) vielleicht zurückerobern? Dann bekommt der Rollator im eigenen Kopf plötzlich nämlich eine ganz andere, positive Konnotation.
Vielleicht erzähle ich meiner Schwiegermami ja mal von dem hundertjährigen Briten Tom Moore. Der wurde dieser Tage von Queen Elizabeth II. zum Ritter geschlagen, nachdem er mit einem Spendenlauf am Rollator (!) für den Corona-geschüttelten staatlichen Gesundheitsdienst knapp 36 Millionen Euro gesammelt hatte. Anvisiert waren ursprünglich 1000 Euro. Aber so ein richtig wichtiges Ziel entwickelt halt manchmal seine spezielle Anziehungskraft …
Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum man sich im Alter nicht genieren sollte, einen Rollator zu nutzen, wenn man nicht mehr so sicher auf den Beinen ist – und was man dadurch gewinnt.