GLÜCKSFITNESS – DAS SCHÖNSTE GEFÜHL IM BESTEN ALTER

Helfen macht glücklich – sich helfen lassen auch!

von Redaktion

In meiner Praxis hängen seit Kurzem drei Bleistiftradierungen einer jungen Südtiroler Künstlerin. Eine davon mag ich ganz besonders. Sie zeigt eine Katze, ihr gegenüber sitzt eine junge Frau im Schneidersitz auf dem Boden. „Was war das Mutigste, was du je gesagt hast?“, fragt die junge Frau auf dem Bild die Katze. Und die Katze antwortet schlicht: „Hilfe!“

Fast jedes Mal, wenn mein Telefon klingelt und jemand mich um einen Termin für eine erste Beratung bittet, wird mein Blick geradezu magisch von dieser Zeichnung angezogen. Denn fast jedes Mal spüre ich gerade in diesem ersten Kontakt, wie schwer es den meisten Menschen fällt, eine Therapeutin um Hilfe zu bitten. Fast alle haben diesen Anruf lange vor sich her geschoben, den meisten geht es zu dem Zeitpunkt, an dem sie dann doch zum Hörer greifen, schon ziemlich schlecht. Fast alle haben vorher lange mit sich selbst gerungen – manchmal auch mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin, wenn sie mich wegen eines Beziehungsproblems aufsuchen möchten. Fast alle rufen erst an, wenn sie gar keine andere Möglichkeit mehr sehen. Warum eigentlich?

Im richtigen Moment um Hilfe bitten zu können (und zwar ganz generell, keineswegs nur bezogen auf TherapeutInnen!), ist eine ganz wichtige Voraussetzung für unser persönliches Glück. Und dennoch kurioserweise eine von vielen völlig unterschätzte, ja sogar manchmal sogar eher negativ bewertete Fähigkeit. Was Wunder in unserer Zeit, da Stärke und Erfolg als Maß aller Dinge gelten? Nur keine Schwäche zeigen, nur keine Verwundbarkeit zugeben! Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch, koste es, was es wolle! Dabei ist es eigentlich ganz unvermeidlich, dass jeder von uns im Laufe seines Lebens immer wieder an Punkte stößt, wo er alleine nicht weiterkommt. Wer dann nicht um Hilfe bitten kann, ist schlecht dran. Scham, Stolz, falsch verstandene Eitelkeit, die Angst vor Zurückweisung oder einfach Perfektionismus können es einem schwer machen. Manchmal halten einen auch überhöhte Ansprüche an einen selbst in der Überzeugung gefangen, man müsse mit allem alleine fertigwerden. Insbesondere Senioren wollen ja oft partout niemandem zur Last fallen. Anderen helfen – ja gerne, jederzeit! Das fühlt sich immer gut an. Aber wenn ich selbst um Hilfe bitte, dann stehe ich ja vielleicht anschließend in der Schuld des anderen? Zumindest muss ich mich ihm verletzlich zeigen in diesem Moment. Das ist schwer auszuhalten und fühlt sich ohnmächtig an. Lieber ertrage ich es weiterhin, dass es mir nicht gut geht.

„Nein, lass nur, ich mach das schon!“ Dieser Satz kommt den meisten von uns ganz schnell über die Lippen, selbst wenn es nur um das Angebot geht, einen Kuchen zum Kaffeeklatsch mitzubringen. Beobachten Sie sich doch mal selbst im Alltag: Wie oft lehnen Sie Hilfsangebote geradezu reflexartig ab – selbst dann, wenn Sie die Hilfe eigentlich ganz gut brauchen könnten oder zumindest ganz angenehm fänden? Selbst wenn die Angebote ehrlich gemeint waren und nicht nur höflichkeitshalber gemacht wurden? Und wann haben Sie das letzte Mal aktiv jemand anderen um Hilfe gebeten?

Wenn die zögerlichen Anrufer dann irgendwann bei mir in der Praxis sitzen, zeige ich ihnen jetzt jedenfalls stets die Zeichnung von dem Mädchen mit der Katze. Dann müssen sie lächeln. Und verstehen, dass man sich selbst oft am besten hilft, indem man um Hilfe bittet. Das ist also niemals ein Zeichen von Schwäche, sondern ein Zeichen von Mut, Stärke und Kompetenz. Es zeugt von guter Selbstfürsorge. Ihre Glücksbilanz dankt es Ihnen!

VON FELICITAS HEYNE

Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum es so wichtig ist, zu erkennen, dass „man sich selbst oft am besten hilft, indem man um Hilfe bittet“. Das sei nie ein Zeichen von Schwäche – sondern ein Zeichen von Mut, Stärke und Kompetenz.

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