Beinahe wäre mir die Nachricht zwischen all den Meldungen zum Wiederanstieg der Corona-Neuinfektionen, Debatten um Zwangstests für Urlaubsrückkehrer und Überlegungen zum wieder anstehenden Schulbeginn entgangen. Es war nur eine kleine Randnotiz in meiner Zeitung: „Rentner psychisch stabil.“ Darunter stand: „Senioren haben ein höheres Risiko, einen schweren Verlauf der Viruskrankheit Covid-19 zu entwickeln. Trotzdem sind sie es, die in der Mehrzahl psychisch stabil durch die Krise gehen und die Lockdowns mittragen.“
Neugierig fing ich an zu recherchieren. Hatten nicht alle möglichen Experten (mich eingeschlossen) zu Beginn der Corona-Krise große Bedenken hinsichtlich der psychischen Gesundheit älterer Mitbürger geäußert? Hatten wir nicht schon eine ganze Generation quasi geschlossen in Depressionen, Angststörungen und psychosomatischen Krankheiten versinken sehen? Es schien ja ganz logisch, dass gerade Senioren doppelt seelisch belastet sein müssten. Schließlich trug nun jeder ab dem ersten grauen Haar über Nacht auf einmal das Etikett „Risikogruppe“ fett auf der Stirn. Gleichzeitig brachen mit einem Schlag durch das allseitige Bemühen, Ältere möglichst gut zu schützen, deren sämtlichen positiven Sozialkontakte in Freizeit und Familie weg.
Wie nun aber eine große Studie der Universität Leipzig mit mehr als 1000 Studienteilnehmern zwischen 65 und 94 Jahren zeigte, lagen wir alle weit daneben. Prof. Dr. Steffi G. Riedel-Heller kommentiert ihre Untersuchungsergebnisse selbst wie folgt: „Wir wussten, dass jüngere Menschen durch die Pandemie psychosozial belastet sind. Dass alte und hochaltrige Menschen psychisch so stabil im Lockdown waren, hat uns überrascht.“ Die Forscher vermuten: Vor allem eine größere Bereitschaft zur Akzeptanz von widrigen Umständen, geboren aus der längeren Lebenserfahrung, bringt Ältere so verblüffend gut durch die Corona-Pandemie. Senioren mussten einfach schon sehr viel öfter Lebenskrisen meistern als junge Menschen, sei es privat oder beruflich. In sich tragen sie das beruhigende Wissen, dass sie das noch jedes Mal irgendwie geschafft haben. Das lässt sie auch angesichts der derzeitigen Situation offensichtlich gelassener als erwartet reagieren. Meine Nachbarin formuliert es so: „Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen, als Deutschland in Trümmern lag. Im Vergleich dazu geht es uns doch hier immer noch blendend. Mich bringt Corona nicht aus der Ruhe!“
Vielleicht kennen Sie ja die Kübler-Ross-Akzeptanz-Kurve? Die Begründerin der modernen Sterbeforschung beschrieb darin fünf Phasen, die todkranke Menschen häufig durchlaufen: vom Nicht-Wahrhaben-Wollen dessen, was ihnen da zustößt, über Zorn darüber („Wie ungerecht!“) und Verhandlungsversuchen (mit den Ärzten, mit dem Schicksal) bis hin zu einer Phase der Depression. Am Ende des Prozesses steht irgendwann die Akzeptanz des Unabänderlichen. Diese Phasen werden nicht linear und nacheinander von jedermann durchlaufen. Sie beschreiben aber psychisches Erleben auch angesichts anderer Schicksalsschläge – wie eben der Corona-Krise – oft sehr gut.
Es sieht ganz so aus, als hätten die Senioren in diesem Prozess alle anderen mal eben auf der Standspur überholt: Während viele Jüngere mental noch (oder wieder) in der Leugnungsphase oder im Zorn feststecken, sind sie offenbar längst bei der Akzeptanz angekommen: „Es ist, wie es ist – machen wir das Beste daraus.“ Chapeau, kann ich da nur sagen!
Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum viele ältere Menschen – trotz zahlreicher Widrigkeiten – seelisch gut durch die Corona-Krise kommen.