GLÜCKSFITNESS – DAS SCHÖNSTE GEFÜHL IM BESTEN ALTER

Wie reden Sie eigentlich mit sich?

von Redaktion

„ … und dann hat bei dem Bild, das ich gemalt habe, die Perspektive nicht gestimmt, und dann dachte ich: ,Mensch, lass es doch einfach gleich ganz sein mit dem Zeichnen! Und das Flötenspiel auch. Alles was du machst, ist immer nur dilettantisch. Nie kannst du was richtig, alles immer nur so lala. Beim Italienischkurs ist es genauso. Ich kann mich gut verständigen, aber so richtig fließend sprechen geht einfach immer noch nicht!’“

Meine Klientin – nennen wir sie Frau A. – muss nach dieser Tirade erst mal Luft holen. Frustriert schaut sie mich an. Jetzt verstehe ich hoffentlich, warum sie mit sich stets so unzufrieden ist? Ich nicke mitfühlend und frage interessiert: „Und sagen Sie mal, Frau A., wenn Sie sich dann innerlich so richtig runtergeputzt haben – stellt sich die aufbauende und motivierende Wirkung so einer Strafpredigt bei Ihnen dann eigentlich unmittelbar ein? Oder erst mit einem gewissen Zeitverzug?“ Frau A. stutzt einen Augenblick, dann muss sie lachen: „Na ja, aufbauen tut mich das natürlich nicht. Und motivieren auch nicht. Ich muss mich dann hinterher eher erst mal wieder an die Noten oder ans Zeichenbrett zwingen. Aber wenn ich etwas nicht gut gemacht habe, dann muss ich mich doch schon auch selber kritisieren, oder? Dann kann ich mich doch nicht dafür loben?“

Frau A. stolpert an dieser Stelle über ein Prinzip, das Sie aus meinen früheren Texten schon kennen: Um uns vor vermeidbaren künftigen Gefahren zu schützen, hat uns die Evolution darauf programmiert, eigene Fehler – und überhaupt alles Negative um uns herum – viel intensiver wahrzunehmen als Erfolge und Positives. In einer Art „innerem Dialog“ mit uns selbst analysieren und bewerten wir alle die ganze Zeit über, meist ohne uns dessen überhaupt bewusst zu sein, alles, was wir tun und erleben. Als hätten wir einen übereifrigen Fußballreporter in unserem Kopf, der permanent und in Echtzeit unser ganzes Leben für ein interessiert lauschendes Publikum – uns selbst nämlich – kommentiert. Achten Sie mal ganz bewusst darauf!

Aufgrund unserer evolutionären Prägung trägt dieser Reporter bei den meisten von uns eine extreme Neigung zum Korrigieren, Zensieren und Kritisieren in sich. Er ist fast immer ein gnadenloser Perfektionist, der sich gern an die schwäbische Devise: „Nicht geschimpft ist Lob genug!“ hält. Was dann leider oft dazu führt, dass seine Kommentare einen negativen, geradezu autohypnotischen Sog in unserem Kopf entfesseln. Und damit nicht mehr hilfreich (wie von der Evolution eigentlich vorgesehen), sondern schlicht kontraproduktiv sind. Weil uns dieser Sog natürlich unglückliche Gefühle beschert. Und uns oft auch ganz unnötig unter Druck setzt.

Diesen eifrigen Reporter bekommt keiner von uns aus dem Kopf, dazu klebt der zu sehr an seinem Sessel. Man kann aber durchaus einen Kollegen anheuern, dessen Job-Beschreibung lautet: „Stelle neben jeden der kritischen Kommentare ab sofort einen wohlwollenden!“ Auf Anhieb erst mal nicht so einfach! Ich bitte Frau A. daher: „Stellen Sie sich vor, der nette Reporter kommentiert gar nicht Ihre Zeichnung und Ihr Flötenspiel, sondern die Ihrer besten Freundin. Was sagt er dazu?“ Sie überlegt kurz, dann geht ein Strahlen über ihr Gesicht: „Er sagt ihr, dass sie vielleicht nicht perfekt in irgendwas ist, dafür aber sehr vielseitig begabt und interessiert. Und dass das Wichtigste sowieso ist, dass ihr das Ganze Spaß macht!“

Na, ich würde doch mal sagen, den Typ stellen wir gleich ein!

VON FELICITAS HEYNE

Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum es so wichtig ist, sich selbst nicht immer unter Druck zu setzen – sondern wohlwollend kleine Schwächen zu beurteilen.

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