Was würden Sie sagen: Welche Faktoren sind für ein langes, gesundes und vor allem glückliches Leben besonders wichtig? Als Erstes wohl eine gesunde Ernährung, dann ausreichend Schlaf – und bestimmt würden Sie auch Sport oder zumindest regelmäßige Bewegung aufzählen, oder? Vielleicht würden Sie auch von einigen Dingen abraten, die allgemein als gesundheitsschädigend gelten: etwa Alkohol, Nikotin und andere Genussgifte. Ziemlich sicher würden Sie in diesem Zusammenhang auch Stress als ungünstig nennen. Vielen Gesundheitsaposteln gilt er ja als Krank-, Dick- und Unglücklichmacher schlechthin. Aber stimmt das?
Sind Sie schon mal über die Begriffe „Hormesis“ oder „hormetische Reaktion“ gestolpert? Dahinter verbirgt sich ein Prinzip des menschlichen Körpers, das aktiv wird, sobald wir irgendwelchen schädlichen Einflüssen ausgesetzt werden: großer Hitze oder Kälte beispielsweise, UV-Strahlung, Sauerstoff- oder Nahrungsmangel. In dieser Situation springen auf Zellebene unverzüglich allerlei Schutz- und Abwehrmechanismen an, die diesen negativen Einfluss so gut es geht neutralisieren – etwa eindringende Bakterien oder Viren angreifen –, leichtere Schädigungen reparieren, und all das, was an biologischem Material nicht mehr zu retten ist, umgehend entsorgen; deshalb pellt sich ja die nicht rechtzeitig eingecremte, sonnenverbrannte Nasenspitze irgendwann.
Das Besondere an dieser Reaktion: Sie wird nie genau passend von unserem Körper produziert, sondern nach dem Überschussprinzip „viel hilft viel“. Das soll auf jeden Fall sicherstellen, dass der Körper mit dem angerichteten Schaden zurechtkommt. Das Zuviel an Schutz und Abwehr, das nach der zellulären Rettungsaktion dann noch übrig ist, bleibt für eine Weile gespeichert, sodass ein gleicher oder ähnlich negativer Reiz, der kurz danach auftritt, schneller und besser abgewehrt werden kann. Oder es werden damit einfach andere Schäden repariert, die schon vor dem negativen Reiz im Körper vorhanden waren.
Sie selbst nutzen das Prinzip der Hormesis sogar vielleicht schon aktiv, selbst wenn Sie den Begriff dafür noch nie gehört haben sollten. Intervallfasten – das ja seit einer Weile als Anti-Aging-Wundermittel gepriesen wird – basiert beispielsweise genau darauf: Indem man den Körper ein paar Stunden einem, eigentlich höchst stresserzeugenden (!), Hungerreiz aussetzt, ruft man gezielt bestimmte Enzyme im Körper auf den Plan, die darauf spezialisiert sind, die DNA zu reparieren. Vielleicht gehen Sie ja auch öfter mal gerne in die Sauna oder hatten nach dem letzten Mal Pilates einen kleinen Muskelkater? Auch hier setzen Sie Ihren Organismus jeweils kurzzeitig einem eigentlich schädlichen Reiz aus, der aber langfristig zu einer Verbesserung Ihrer Gesamtverfassung führt.
Dasselbe Prinzip gilt auch für psychischen Stress. Eine regelmäßige, kleine Portion davon ist nicht nur gut für uns, sie ist sogar sehr wichtig. Kurzzeitige Stressreize aller Art aktivieren nämlich auch unser Gehirn, halten es fit und auf Trab, sodass es optimale Leistung erbringen kann. Lernprozesse beispielsweise funktionieren überhaupt nur auf diese Weise. Nur wenn Stress stark und dauerhaft auftritt, wird er problematisch. Paracelsus hatte Recht: Die Dosis macht das Gift. Eine wichtige Erkenntnis gerade für Senioren! Ruhestand ist schön. Aber ein kleiner, wohl- dosierter Stressreiz hier und da ist Ihrer Glücksbilanz und Ihrer Gesundheit sehr zuträglich. Es muss ja nicht gleich Eisbaden sein!
Die renommierte Diplom-Psychologin und Buchautorin schreibt, warum es so wichtig ist für unser Wohlbefinden, auch ein paar kleine Stressreize zuzulassen.
Wohl dosiert sei das „Ihrer Glücksbilanz und Ihrer Gesundheit sehr zuträglich“,
sagt unsere Expertin.