Das Hämmern im Kopf

von Redaktion

Migräne: Typische Beschwerden – Häufige Schmerzauslöser – Jüngste Therapieoptionen

Migräne ist häufiger als Diabetes, Epilepsie und Asthma zusammengenommen. Sie tritt in Deutschland täglich bei rund 900 000 Menschen auf. Etwa 15 Prozent der Bevölkerung leiden regelmäßig unter den Attacken. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Bayern ist trauriger Spitzenreiter: Jeder Fünfte litt in den vergangenen zwölf Monaten einmal oder mehrmals pro Woche unter Migräne; im Bundesschnitt war es nur jeder Sechste, heißt es bei der Techniker Krankenkasse.

Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung – die Symptome sind individuell verschieden. Doch woran erkennen Betroffene eine Migräne? Worauf sollten Sie bei einer Attacke achten? Was ist in der Akutphase zu tun? Welche Therapien gibt es? Und: Wie beugt man am besten vor? All diese Fragen beantworten unsere Experten: Privat-Dozentin Stefanie Förderreuther, Oberärztin und Leiterin des Neurologischen Konsiliardienstes an der Neurologischen Klinik der LMU München, und Professor Thomas R. Tölle, Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerzmedizin (ZIS) der Neurologischen Klinik am Klinikum rechts der Isar der TU München.

Wie viele Kopfschmerzarten gibt es?

Experten unterscheiden mehr als 150 Kopfschmerzarten. „Wichtig ist die Differenzierung in primäre und sekundäre Kopfschmerzen“, sagt Tölle. Primäre Kopfschmerzen seien eigenständige Erkrankungen – wie Spannungskopfschmerzen und Migräne. Sekundäre Kopfschmerzen indes die Folge einer anderen Erkrankung, etwa eines Schlaganfalls, und sehr selten.

Spannungskopfschmerzen oder Migräne: Was ist der Unterschied?

„Spannungskopfschmerzen sind deutlich leichter als Migränekopfschmerzen“, erklärt Förderreuther. Sie betreffen in der Regel den ganzen Kopf, sind dumpf, bedrückend und nehmen bei körperlicher Belastung nicht an Intensität zu. Sie dauern manchmal nur eine halbe Stunde, manchmal auch tagelang. Begleitsymptome wie Übelkeit, Lärm oder Lichtüberempfindlichkeit fehlen – anders als bei der Migräne. „Migräne ist ein sehr schwerer Kopfschmerz, der einen in der Attacke regelrecht ausknockt“, erklärt Förderreuther. Eine Besonderheit sei die „Aura“, die bei rund 20 Prozent der Patienten auftrete, meist im Vorfeld der Kopfschmerzphase: „In der Auraphase kommt es typischerweise zu Sehstörungen mit Flimmer- und Flackersehen, manchmal auch zu kribbelnden Missempfindungen, die sich etwa von der Hand über den Arm bis zum Gesicht hin ausbreiten, oder Wortfindungsstörungen.“

Wie diagnostiziert man eine Migräne?

Es gibt keinen medizinischen Test, um Migräne nachzuweisen. „Die Diagnose beruht auf der typischen Schilderung der Attacken, der Beschwerdefreiheit zwischen den Attacken und einem körperlichen Untersuchungsbefund, der die Kopfschmerzen nicht erklärt“, sagt Förderreuther. Bei typischen Befunden sei keine bildgebende Diagnostik mit Computertomografie oder Kernspintomografie erforderlich.

Steigt die Zahl der Betroffenen?

„Tatsächlich sieht es so aus, als würde die Zahl der Migräne-Patienten steigen“, sagt Förderreuther. Die genaue Ursache dafür sei wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen. Viele Experten gehen aber davon aus, „dass die zunehmende Stressbelastung im Alltag, die ständige Erreichbarkeit und die damit oft verbundene Änderung von Lebensgewohnheiten eine gewichtige Rolle spielen“.

Wie kann man vorbeugen?

„Für Patienten ist es wichtig, sehr viel über ihre Erkrankung zu wissen“, sagt Tölle. Sie müssten etwa lernen, dass sie an einer Krankheit leiden, die ihnen auch durch Vererbung mit in die Wiege gelegt wurde – „und dass Lebensumstände wie Stress, häusliche oder berufliche Überbelastung zur Verstärkung der Beschwerden oder zum häufigeren Auftreten führen können“. Nikotin, Alkohol, Koffein, Bewegungsmangel, Schlafstörungen und Stress können „wichtige Ursachen für die Verschlimmerung sein“. Auch können Lebensmittel, wenn man nachweislich an Unverträglichkeiten leidet, Kopfschmerzen verstärken. „Ausreichend Schlaf ist wichtig, Sport treiben und seelischen Ausgleich schaffen – wie das Pflegen von sozialen Aktivitäten.“ Wenn all das nichts bringt, „sollten Patienten mit einem Arzt über die Teilnahme an einem mehrwöchigen Therapieverfahren der „multimodalen Schmerztherapie“ nachdenken. Dort werden diese Dinge vermittelt, zudem die richtigen Medikamente und eine notwendige Prophylaxe eingesetzt.

Wann sollte man Medikamente einnehmen?

Grundsätzlich muss jeder Patient wissen, dass die häufige Einnahme von Schmerzmitteln die Migräne über die Zeit immer schlechter macht. „Zur Behandlung einer Attacke kann man Schmerzmittel einsetzen, die in der Apotheke ohne Rezept erhältlich sind, und spezielle Migränemittel, die sogenannten Triptane, die man zum Teil auch ohne Rezept bekommt“, sagt Förderreuther. Meist würden diese jedoch vom Arzt verschrieben. Damit Betroffene nicht im Teufelskreis landen – „mit immer mehr Migräne und immer mehr Bedarf an Akutschmerzmitteln“ –, brauchten viele (vorübergehend) eine medikamentöse vorbeugende Therapie. „Bei einer solchen Prophylaxe nehmen Patienten täglich Medikamente ein, die nach sechs bis acht Wochen allmählich dazu führen, dass die Migräneattacken seltener auftreten.“ Wichtig sei, die Behandlung mit dem Arzt zu planen und im Verlauf zu kontrollieren.

Wann sollte man definitiv zum Arzt?

„Immer dann, wenn die Kopfschmerzen in irgendeiner Weise untypisch sind, also eine extreme Heftigkeit erreichen, plötzlich häufiger oder aus anderen Ursachen auftreten“, sagt Tölle. Zudem wenn sich der Charakter der Beschwerden verändert und bei Kopfschmerzen längere Einschränkungen der Leistungsfähigkeit auftreten. „Spätestens dann sollte ein Neurologe eingeschaltet werden.“

Haben sich in jüngster Zeit vielversprechende Migräne-Therapien entwickelt?

Es gibt tatsächlich in der vorbeugenden Behandlung eine ganz neue Substanzklasse: Antikörper, die sich gegen den Botenstoff CGRP beziehungsweise dessen Rezeptor richten. Der Botenstoff CGRP spielt beim Entstehen der Migränekopfschmerzen eine wichtige Rolle. „Diese neuen Medikamente müssen in der Regel einmal im Monat gespritzt werden und wirken dann für vier Wochen“, sagt Förderreuther. Die Medikamente seien gut verträglich und wirkten rasch. „Leider sind sie sehr teuer. Die Krankenkassen erstatten die Kosten nur dann, wenn die herkömmlichen Medikamente zur Migräneprophylaxe nicht gewirkt haben, nicht vertragen wurden oder kontraindiziert sind.“ B. NAZAREWSKA

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