Ammer, Fink und Meise für mehr Lebensfreude

von Redaktion

Kann das Beobachten von Vögeln das Wohlbefinden von Senioren in Heimen verbessern? Dieser Frage sind drei Jahre lang Psychologinnen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) nachgegangen. Elisabeth Kals, Patricia Zieris und Susanne Freund haben dazu die Wirksamkeit von „Alle Vögel sind schon da“ erforscht. So heißt ein 2017 gestartetes bayernweites Projekt des Landesbundes für Vogelschutz (LBV). Dabei haben Pflegeeinrichtungen Futterhäuser aufgestellt, um Spatz und Specht anzulocken – und so die Lebensqualität der Bewohner zu steigern. Und: Es hat geklappt!

Frau Kals, Frau Zieris, was macht das Vogelbeobachten in Seniorenheimen gesellschaftlich relevant?

Kals: Das Projekt ist bezogen auf seine vielfältige Wirksamkeit großartig gedacht: Dieser Ansatz verbessert wesentlich die Lebensqualität von Menschen, die gerade in vollstationären Pflegeeinrichtungen oft reduziert ist, und wirkt gesundheitspräventiv. Gleichzeitig wird ein Beitrag zum Naturschutz geleistet – und soziales Engagement gefördert.

Ganz konkret: We haben Sie geforscht?

Zieris: Unser Anliegen war es, herauszufinden, was es mit Senioren in Pflegeeinrichtungen macht, wenn sie an eigens eingerichteten Futterstellen Vögel beobachten. Dazu haben wir ihnen und den Heimmitarbeiterinnen, zum Teil mehrmals, Fragebögen vorgelegt.

Und was ist dabei herausgekommen?

Zieris: Rund ein Viertel der gut 1500 befragten Senioren pflegt die Vogelbeobachtung fast täglich, nur sieben Prozent nie. Je länger das Projekt lief, desto mehr stieg das Interesse der Bewohner sogar noch. Das zeigt: Das Projekt ist zielgruppengerecht. Wir konnten zudem belegen, dass es sich bei den älteren Menschen stark positiv auf Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Mobilität und psychosoziale Gesundheit auswirkt.

Wie erklären Sie das?

Zieris: Aufbauend auf der Biophilia-Hypothese, wonach der Mensch genetisch eine Verbundenheit zur Natur hat, geht man davon aus, dass die Nähe zu ihr und der Austausch über sie das Wohlbefinden fördern kann. Das hat sich in diesem Fall bestätigt. Der Fokus auf Vögel ist sehr passend, als man diese stark mit Freiheit verbindet – etwas, was viele Heimbewohnerinnen und -bewohner nicht mehr so erleben können wie in ihrem früheren Leben. An das werden sie nun aber positiv erinnert. Zudem gibt es viele Gedichte und Lieder über Vögel. Auch das weckt Erinnerungen und animiert zum Mitsprechen und Mitsingen – selbst Bewohner mit demenziellen Entwicklungen. Kals: Darüber hinaus bekommen die Senioren das Gefühl von Verantwortung und Zugehörigkeit, wenn sie sich gemeinsam ums Füttern der Vögel kümmern. Dieser Beitrag zum Artenschutz ist auch sinnstiftend. Überdies haben die Senioren ein Gesprächsthema im Umgang mit ihren Angehörigen – und zwar ein positiv besetztes, bei dem es nicht um die Probleme des Alters geht … Zieris: Positives berichten auch die von uns befragten Heimmitarbeiterinnen. Sie erleben Schönes gemeinsam mit den Menschen, um die sie sich kümmern, und nehmen die Freude über die gestiegene Lebensqualität der Senioren mit nach Hause. Insofern erstaunt es nicht, dass auch unter dem Personal die Akzeptanz des LBV-Projekts sehr hoch ist und nicht etwa mit großem Mehraufwand verbunden wird.

Wie hat sich die Corona-Krise auf das Projekt ausgewirkt?

Zieris: Sie hat die Teilnahme daran noch einmal angeschoben, wohl auch, weil sonst viele der anderen Angebote ausgefallen sind. Statt 25 haben 30 Prozent der Befragten fast täglich Vögel beobachtet, statt sieben taten es nur noch vier Prozent nie. Entsprechend haben sich die positiven Wirkungen verstärkt.

Das Vogelbeobachten in den Heimen geht auch nach Abschluss Ihrer Forschung weiter. Sollte dabei künftig irgendetwas geändert werden?

Zieris: Indem man beispielsweise gemeinsam mit Kindergartenkindern Vögel bastelte, könnten die Bewohner über das Projekt stärker mit der Außenwelt verknüpft werden. Kals: Man könnte das Projekt aufgrund seiner nachgewiesenen Wirksamkeit gut auch außerhalb von Bayern umsetzen. Darüber hinaus bleibt festzuhalten: Naturkontakt tut dem Menschen und damit auch der Gesellschaft gut. Das sollte man gerade in der Stadt bedenken, wenn es etwa um Bildung oder die Gestaltung öffentlicher Räume geht.

Interview: Christopher Beschnitt

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