„Die Leber leidet stumm“

von Redaktion

Ein Experte erklärt, wie wichtig Vorsorge ist – Machen Sie hier den Lebercheck!

Mit bis zu zwei Kilo Gewicht ist die Leber die zentrale Chemiefabrik des Körpers. Ein Multitalent – verantwortlich für die Verwertung von Nahrungsbestandteilen, die Produktion lebenswichtiger Proteine, Hormone, Vitamine und Blutgerinnungsfaktoren, vor allem aber auch für die Entgiftung von Fremdstoffen und körpereigenen Abbauprodukten. Im Gegensatz zum Herzen, das zumindest zeitweise durch eine Pumpe ersetzt werden kann, existiert bisher kein Verfahren, das die Leber auch nur für einen einzigen Tag ersetzen könnte. Was aber, wenn diese Chemiefabrik in Kurzarbeit geht? „Die Leber leidet stumm“, sagt Prof. Alexander Gerbes, Leiter des Lebercentrums der Medizinischen Klinik II am Klinikum Großhadern. Etwa zwei Drittel der Leberkranken wissen gar nicht, dass ihre Leber nicht mehr gesund ist. Denn: Diese schmerzt nicht und ihre Funktionen bleiben lange erhalten. Im Interview hat sich unsere Autorin Dr. Corinna Martens für Sie erklären lassen, warum Vorsorge so wichtig ist.

Herr Prof. Gerbes, was sind die häufigsten Ursachen für erhöhte Leberwerte?

Hier ist natürlich in erster Linie der Alkohol zu nennen, gefolgt von der Fettleber und ihren Folgen. Diese beiden Ursachen sind nicht immer klar voneinander abzugrenzen. Zusammen mit den virusbedingten Entzündungen (Hepatitis B und C) machen diese etwa 90 Prozent aller Lebererkrankungen aus.

Gibt es Warnsignale?

Das ist ein großes Problem. Denn es gibt nicht das eine typische Leitsymptom. Es gibt eher uncharakteristische Zeichen wie zunehmende Müdigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche oder Juckreiz am ganzen Körper.

Wie kann man erkennen, ob man zu einer Risikogruppe gehört?

Da empfehle ich den Lebercheck (siehe Grafik). Den haben wir zusammen mit dem Bayerischen Gesundheitsministerium, Ärzte- und Apothekerverbänden und der AOK Bayern erstellt. Mit zehn einfachen Fragen kann jeder für sich prüfen, ob ein Risiko vorliegt. Er ersetzt natürlich in keinem Fall die ärztliche Beratung. Im Verdachtsfall rate ich dringend dazu, zum Arzt zu gehen.

Warum ist die Fettleber auf dem Weg zur neuen Volkskrankheit?

Übergewicht und in der Folge Typ II Diabetes mellitus begünstigen die Fettleber. Je höher also der Anteil stark übergewichtiger Menschen in der Bevölkerung ist, umso größer ist das Risiko. Hier gibt es alarmierende Daten aus den USA, ein Land mit einem sehr hohen Anteil junger Menschen mit massivem Übergewicht. Je länger Patienten übergewichtig sind, desto größer ist ihr Risiko. Mal ganz abgesehen von schwerwiegenden Folgeerkrankungen. Allerdings gibt es auch einen geringen Anteil schlanker Patienten mit einer Fettleber. Das hat dann meist genetische Ursachen.

Wie kommt es zu einer Fettleber – und warum ist mehr Fett in der Leber so gefährlich?

In der Leber werden Fette wie die Triglyceride hergestellt und wieder abgebaut. Sie sind der effektivste Energiespeicher für den Körper. Wenn jedoch mehr Fette hinzugefügt als abgebaut werden, gerät das Gleichgewicht durcheinander und es lagert sich Fett ein. Das ist dann die Fettleber. Sie kann darauf mit einer Entzündung reagieren, in ähnlicher Weise wie es auch bei einer Hepatitis B oder C der Fall ist. Die Entzündung kann schließlich bis zur Zirrhose und sogar zu Leberkrebs führen.

Wie erkennt der Arzt eine Fettleber?

Durch eine Kombination aus simplen Bluttests und einer Ultraschalluntersuchung der Leber.

Woran erkennt der Arzt den Schweregrad der Erkrankung?

Dafür verfügen wir über spezielle Ultraschallgeräte, mit deren Hilfe der Fettgehalt und die Steifigkeit der Leber ermittelt wird. Es gibt auch spezielle Laborwerte, mit denen ein Risikoindex ermittelt werden kann. Zudem gibt es die Möglichkeit einer Gewebeentnahme, auf die aber in den meisten Fällen verzichtet werden kann. All diese Möglichkeiten besprechen wir vorab stets mit den Patienten in unserer Leberambulanz.

Ist die Fettleber heilbar?

Prinzipiell kann sich die Fettleber vollständig zurückbilden und somit ausheilen. Voraussetzung ist die kontrollierte, kontinuierliche Gewichtsabnahme. Zwei bis drei Kilo im Monat sollten es schon sein. Jedoch ein Wort der Warnung: Von Nulldiäten muss ich absolut abraten, da der Stoffwechsel umgestellt wird und die Probleme in der Leber noch größer werden.

Was kann jeder tun, um seine Leber zu schützen?

Einfach gesund leben. Also eine gesunde Mischkost, Vermeidung von Übergewicht und regelmäßige Bewegung. Überraschenderweise hat sich gezeigt, dass zum Beispiel mindestens zwei Tassen Kaffee am Tag einen positiven Effekt auf die Lebergesundheit haben und sogar eine bereits bestehende Leberschädigung verringert werden kann. Vermeintlich leberschützende Nahrungsergänzungsmittel wie z. B. die Mariendistel sind außerordentlich umstritten. Das ist nicht empfehlenswert.

Zwischen Leber und Milz passt immer noch ein Pils, sagt der Volksmund. Aber wie viel Alkohol verträgt eine Leber wirklich?

Geht man von einer gesunden Leber aus, kann man sagen: Frauen bis zu 20 Gramm Alkohol am Tag. Das entspricht etwa einer Halben Bier oder einem Viertel Wein. Für Männer gilt etwa die doppelte Menge. Sollten jedoch schon erhöhte Leberwerte bestehen, kann laut WHO bereits die Hälfte dieser Alkoholmengen verantwortlich für die Probleme sein.

Gibt es neue Therapien für Leberkrankheiten?

Hat der Patient eine Fettleber, müssen zunächst Diabetes und Übergewicht behandelt werden. Nicht-Diabetiker können im Rahmen von Studien und ärztlich überwacht hochdosiertes Vitamin E oder spezielle Gallensäuren einnehmen. Eine einfache Medikation gibt es leider bisher nicht. Sicherlich einer der größten therapeutischen Durchbrüche der letzten Zeit und jüngst auch mit dem Nobelpreis geehrt, sind die neuen Hepatitis C-Therapien. Damit können weit über 90 Prozent der Betroffenen von ihrer Hepatitis C geheilt werden. Die WHO will die Hepatitis C bis zum Jahr 2030 eliminieren.

Sind vorerkrankte Leber-Patienten stärker gefährdet hinsichtlich einer Sars-CoV-2-Infektion?

Es gibt keine Daten, dass es bei diesen Patienten häufiger zu einer Covid-19-Infektion kommt. Kommt es jedoch zu einer Sars-CoV-2-Infektion, ist der Verlauf häufig schwerer.

Was verspricht der aktuelle Stand der Forschung für die Zukunft?

Es wird viel daran geforscht, bei bereits bestehender Leberverfettung ein Fortschreiten der Erkrankung medikamentös zu verhindern. Eine weitere Zielsetzung ist es, auch das Hepatitis B-Virus nicht nur in Schach zu halten, sondern ebenfalls zu eliminieren. Zudem gibt es bei Leberkrebs vielversprechende, medikamentöse Ansätze mit neuen Antikörpertherapien.

Interview: Dr. Corinna Martens

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