War es das jetzt – oder gibt es Hoffnung auf Heilung? Es ist diese eine Frage, die wohl alle Menschen mit einer Krebsdiagnose umtreibt. Die gute Nachricht: Immer mehr Patienten können geheilt werden. Selbst Betroffene, deren Erkrankung spät entdeckt wurde, dürfen auf mehr wertvolle Lebenszeit hoffen. Möglich machen das Innovationen in der Medizin. Doch welche Arzneien sind neu im Einsatz? Wo bringt eine OP-Methode den Durchbruch? Und: Wie wird künstliche Intelligenz die Therapie in Zukunft verbessern? Kurz vor dem Weltkrebstag am Donnerstag haben wir uns unter Münchner Experten umgehört. Hier stellen wir eine Auswahl neuer Therapien vor, die richtig Mut machen.
Blutkrebs: So hilft eine Gentherapie
Ein noch recht junges Konzept im Kampf gegen Krebs sind „CAR-T-Zellen“. Dazu muss man wissen: T-Zellen sind bestimmte Immunzellen, die der Körper herstellt und die man aus dem Blut gewinnen kann. Im Labor werden sie mit einem gentechnischen Eingriff „scharf auf die Oberflächen-Antigene der Tumorzellen“ gemacht wie Prof. Florian Bassermann erklärt, Hämatologe, Onkologe und Direktor der Klinik für Innere Medizin III am Klinikum rechts der Isar in München.
Diese CAR-T-Zellen werden im Labor vermehrt. Der Patient erhält also seine eigenen, nun veränderten Zellen per Infusion zurück. Das macht die Sache teuer: Rund 300 000 Euro kostet eine Infusion. Nötig ist nur eine.
Zugelassen sind bereits CAR-T-Zell-Linien für Patienten mit bestimmten akuten lymphatischen Leukämien (ALL) und B-Zell-Lymphomen, wenn andere Ansätze nicht geholfen haben. Viele dieser Patienten würden sehr gut auf die Therapie ansprechen, auch eine langfristige Tumorkontrolle werde beobachtet, sagt Bassermann. Betroffene sind dann nicht geheilt, haben aber ein normales Blutbild und keine Beschwerden mehr. Darauf dürfen bald auch Patienten mit Knochenmarkskrebs hoffen, dem multiplen Myelom: „Da erwarten wir die ersten Zulassungen für das zweite Quartal 2021“, sagt der Experte.
Blutkrebs: Antikörper locken Immunzellen an
Bei Blutkrebs gibt es noch einen Ansatz, das Immunsystem gegen den Krebs zu nutzen: bispezifische Antikörper. Diese Moleküle haben zwei Bindungsstellen. Mit der einen heften sie sich an körpereigene Immunzellen, die andere erkennt gezielt Tumorzellen. Bei Patienten mit Multiplem Myelom und auch anderen Krebserkrankungen des Blutes werden solche Antikörper in klinischen Studien getestet – und das mit vielversprechenden Ergebnissen, wie Bassermann sagt. „Da rechnen wir für hoffentlich nächstes Jahr mit einer Zulassung.“ Und: Dieser Ansatz könnte irgendwann auch bei „soliden“, also Tumoren von Organen, nutzbar sein.
Eierstockkrebs: Echter Durchbruch bei der OP
Erkenntnisse, die neuen Mut machen, gibt es auch für Frauen mit Eierstockkrebs. „Bei drei Viertel der Patientinnen wird dieser Krebs erst in fortgeschrittenem Stadium festgestellt“, sagt Prof. Sven Mahner, Direktor der Frauenklinik am LMU Klinikum München. Trotz optimaler Therapie erleiden viele daher einen Rückfall. Dann war es bis vor kurzem Standard, Betroffene nur noch mit Medikamenten zu behandeln, aber nicht erneut zu operieren. Dass sich das doch lohnt, hat die weltweite, in Deutschland initiierte DESKTOP-Studie mit mehr als 400 Teilnehmerinnen gezeigt: Können bei der OP alle Tumore erfolgreich entfernt werden, „gewinnen Patientinnen im Schnitt rund drei Jahre an Lebenszeit“, sagt Mahner. „Das ist die bahnbrechendste Neuerung der vergangenen Monate – ein operativer Durchbruch.“
Entscheidend dafür seien zwei Faktoren: Dass man nur Frauen operiert, bei denen auch tatsächlich die Aussicht besteht, den Tumor komplett entfernen zu können und dass dieser Eingriff an einem Zentrum für Eierstockkrebs durchgeführt wird. „Es hat sich in dieser Studie erneut eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig die Spezialisierung für den Erfolg der Operation ist“, betont Mahner. „Denn eine erfolgreiche OP bedeutet hier längeres Überleben, bei Frauen mit Ersterkrankung oft sogar Heilung!“
Blasenkrebs: Neue Immuntherapie
Eigentlich sind Immuntherapien beim Blasenkarzinom nichts Neues: Hat der Krebs nur die Schleimhautzellen befallen, entfernt man diese erst per Blasenspiegelung. Bei Patienten mit hohem Rückfallrisiko spritzt man danach alle paar Wochen abgeschwächte Tuberkulosebakterien in die Blase. „Sie sollen Immunzellen anlocken, die verbliebene Krebszellen angreifen“, erklärt Dr. Jozefina Casuscelli, Leiterin der Uro-Onkologischen Tagesklinik am LMU Klinikum München. „Die Therapie wirkt sehr gut – aber leider nicht bei allen.“ Diesen könnte bald eine systemische Immuntherapie helfen: Medikamente, die man „Checkpoint-Inhibitoren“ nennt, lösen im Immunsystem eine Bremse. Sie sind schon beim Haut- und Lungenkrebs im Einsatz. Ende diesen oder auch erst Anfang kommenden Jahres könnte nun ein Mittel bei „nicht-muskelinvasivem Blasenkrebs“ dazu kommen: „Pembrolizumab“.
Darmkrebs: Künstliche Intelligenz als Berater
Krebsart und Stadium zu kennen, reicht heute nicht mehr, um die optimale Therapie für einen Patienten zu finden – auch beim Darmkrebs. „Man versucht den Tumor genauer zu charakterisieren“, erklärt Prof. Dirk Wilhelm, Oberarzt und Leiter der Darmchirurgie am Klinikum rechts der Isar in München. Größe, Stadium, Lage, molekulare Eigenschaften – immer mehr Informationen müssen Ärzte in die Wahl der Therapie einbeziehen. Dazu kommen immer mehr neue Studien. Künstliche Intelligenz (KI) könnte helfen, den Überblick zu bewahren, erklärt Wilhelm – und automatisch auf all dieses Wissen zuzugreifen. Gemeint sind selbstlernende Computersysteme, die die Krebsmedizin enorm beschleunigen könnten. Doch: Damit KI helfen kann, braucht sie viele und vor allem standardisierte Daten – vom Arztbrief bis zum Röntgenbild. Forscher versuchen dazu auch, einen „digitalen Zwilling“ zu erschaffen. Das ist ein Modell mit genau den Eigenschaften, die der echte Patient hat. Reichlich mit Daten gefüttert, kann KI Muster erkennen – und so die Therapie verbessern. Sie könnte helfen, das beste Mittel für die Chemo zu finden oder eine Antwort auf die Frage liefern, welcher Darm-Eingriff für den Patienten das geringste Risiko besitzt, erklärt Wilhelm – ein Blick in die Zukunft. Eine KI werde den Menschen aber nie ersetzen, sondern nur unterstützen. „Der Arzt lässt sich von einem Computer-System beraten – bleibt aber immer in der Verantwortung.“
Trotz Corona: Bei Beschwerden zum Arzt
Trotz Corona hat sich in der Krebsmedizin viel getan. Doch: Auch die besten Therapien helfen nicht, wenn Menschen trotz Beschwerden nicht oder viel zu spät zum Arzt gehen – aus Angst vor einer Corona-Infektion. „Wir haben zum Teil Erstdiagnosen, bei denen wir die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“, klagt Bassermann. Dabei werde in den Kliniken alles für die Sicherheit der Patienten getan. „Die Kliniken sind sicher.“