„Mein Tumor ist anders!“ – wie zielgenaue Therapien gegen seltene Tumore helfen können

von Redaktion

Thomas Wagner (Name geändert) ist Mitte dreißig und gerade zum zweiten Mal Vater geworden, als ihn eine Diagnose fast von den Füßen fegt: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Dabei fühlte er sich gesund, bis auf einen leichten Schmerz im Bauch und der leicht gelblichen Gesichtsfarbe. „Und beim Laufen hatte ich das Gefühl, dass etwas Schweres dagegenschlägt“, erzählt der heute 41-jährige Münchner.

Die Ursache der Gelbsucht: Ein knapp zehn Zentimeter großer Tumor am Pankreas, der Bauchspeicheldrüse, drückt den Gallengang zu. Bald ist klar: Der Tumor ist bösartig, Wagner hat Krebs. Sein Arzt sagt ihm offen, wie es um ihn steht. Der Tumor ist zu groß für eine OP, er hat Metastasen. „Von 100 auf null, von jetzt auf gleich“, sagt Wagner.

Dazu kommt: Er leidet an einer sehr seltenen Form des Bauchspeicheldrüsenkrebs. „Ein Azinuszellkarzinom“, erklärt Prof. Hana Algül, Krebsexperte am Klinikum rechts der Isar in München und Direktor des Comprehensive Cancer Center (CCC) der beiden Münchner Unikliniken. In Deutschland werde die Diagnose weniger als 100 Mal pro Jahr gestellt, sagt er. Für Betroffene ein Problem: „Dann gibt es keine Standardtherapie.“

Wagner hilft aber genau das, nicht zu verzweifeln. Er kämpft, für seine Kinder, für seine Frau, für sich selbst. Obwohl er weiß, dass die Prognose beim Pankreaskarzinom oft nicht gut ist. „Mein Tumor ist anders“, sagt er sich – und steht die erste Chemo durch. Danach sind die Metastasen weg, der Haupttumor ist klein genug für eine OP. Der Eingriff dauert fast neun Stunden. Anders als erhofft, muss das ganze Organ entfernt werden. Das macht Wagner zum Diabetiker: Im Pankreas wird auch das Hormon Insulin gebildet. Eine weitere Chemo soll verbliebene Tumorzellen abtöten. Nun ist Wagner tumorfrei, kann wieder arbeiten – bis zum ersten Rückfall 2016. Wieder eine Chemo, noch ein Neustart.

Wagner gewinnt Zeit, in der die Forschung vorankommt: Prof. Algül war an einer Studie mit einer neuen, zielgerichteten Therapie beteiligt. Der Wirkstoff „Olaparib“ könne helfen, falls Tumorzellen eine bestimmte genetische Veränderung zeigen, die von Patientinnen mit erblichem Brustkrebs bekannt ist: eine BRCA-Mutation. Betroffene haben ein hohes Krebsrisiko, weil in ihren Zellen eine Art Erbgut-Mechaniker ausfällt. „PARP-Inhibitoren“, zu denen „Olaparib“ gehört, nutzen das: Sie verhindern, dass verbliebene Krebszellen auf andere Mechaniker ausweichen und überleben.

Bei Wagner findet sich tatsächlich so eine BRCA-Mutation. Die neue Arznei – damals schwer zu bekommen, seit Sommer 2020 zugelassen – gab ihm ein normales Leben zurück. Seit zwei Jahren ist er tumorfrei, mit nur einer Tablette pro Tag, ohne Nebenwirkungen.  ae

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