Sollten sich Krebspatienten gegen das neue Coronavirus impfen lassen, sobald es geht? Oder ist eine Impfung während der Therapie wirkungslos oder schädlich? Fragen wie diese treiben viele Betroffene um. „Das Thema spielt eine große Rolle – sowohl bei Patienten unter Chemotherapie als auch in der Nachsorge“, bestätigen Prof. Michael von Bergwelt, Hämatologe, Onkologe, Infektiologe und Direktor der Medizinischen Klinik III am Klinikum der LMU München und PD Dr. Clemens Gießen-Jung, Oberarzt für Hämatologie und Onkologie am selben Klinikum. „Viele Patienten wären sofort bereit, sich impfen zu lassen.“ Hier lesen Sie die wichtigsten Antworten.
Dürfen Krebspatienten früher zur Impfung?
Derzeit kann sich nur impfen lassen, wer zusätzlich zu seiner Erkrankung noch ein anderes Kriterium erfüllt, also etwa über 80 Jahre alt ist. Krebs allein führt noch nicht zur Einstufung „höchste Priorität“. Erst in der zweiten Phase sieht der Plan des Bundesministeriums für Gesundheit eine Impfung akut an Krebs Erkrankter vor sowie für Menschen in den ersten fünf Jahren nach überstandener Krebserkrankung („hohe Priorität“). Genesene, deren Krebserkrankung länger zurückliegt, werden mit „erhöhter Priorität“, also erst in der dritten Phase, geimpft – es sei denn, sie sind über 70 Jahre alt.
Hat jeder Krebskranke ein erhöhtes Risiko?
„Die Impfung ist enorm wichtig“, sagt Gießen-Jung. „Wir warten schon darauf, dass unsere Patienten an der Reihe sind.“ Dass Krebs das Risiko eines schweren Covid-19-Verlaufs erhöhen kann, darin seien sich Verbände wie die Deutsche Krebsgesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) einig. Allerdings sehen diese durchaus Unterschiede bezüglich des Risikos – auch wenn im Impfplan derzeit nicht weiter differenziert wird. „Wir wissen aus verschiedenen Ländern von schweren Verläufen von Patienten mit hämatologischen Erkrankungen, also akuten und chronischen Leukämien, malignen Lymphomen und Multiplem Myelom“, nennt Gießen-Jung ein Beispiel. Ein erhöhtes Risiko hätten auch Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren, deren Erkrankung auf eine Behandlung nicht oder nicht dauerhaft in den vergangenen fünf Jahren angeprochen hat. Sie profitierten daher wahrscheinlich noch mehr von der Impfung. „Das steht aber nicht im Widerspruch zur aktuellen Priorisierung“, betont Prof. von Bergwelt. „Es könnte aber helfen, falls sich die Verfügbarkeit des Impfstoffes verzögert oder für eine zukünftige, noch detailliertere Differenzierung.“
Werden Angehörige bevorzugt geimpft?
„Wir befürworten eine Impfung für enge Kontaktpersonen“, sagt Gießen-Jung. Das ist im Impfplan auch vorgesehen: Demnach können sich bis zu zwei enge Kontaktpersonen einer Person mit „hoher Priorität“ ebenfalls impfen lassen. Hier ist aber auch noch viel im Fluss. „Beinahe täglich gibt es neue Erkenntnisse und Empfehlungen“, sagt Gießen-Jung. „Das kann beim Einzelnen Unsicherheit auslösen, aber man muss das positiv sehen: Wir werden immer besser verstehen, für wen die Impfung am meisten Nutzen bringt. Auch wird es vielleicht Anpassungen geben, wenn mehr Impfstoff verfügbar ist.“
Wirkt die Impfung während der Chemo?
„Durch eine Chemotherapie oder Antikörper-Behandlung treffen und schwächen wir das Immunsystem direkt und indirekt“, erklärt Prof. von Bergwelt. „Daher kann der Schutz einer Covid-19-Impfung bei immunsupprimierten Patienten geringer sein.“ Wie hoch die Wirkung genau ist, weiß man jedoch nicht. Der Grund: Patienten, die gerade eine Chemotherapie erhielten, durften an den Impfstudien nicht teilnehmen. „Daher wissen wir nicht genau, wie stark dieser Effekt ist“, sagt Gießen-Jung. Aber: Es gibt Erfahrungen mit anderen Impfstoffen: „Von der Influenza-Impfung wissen wir recht gut, dass sie einen positiven Effekt auf die Verläufe hat“, sagt er. Das gelte auch für Patienten, bei denen die Therapie die B-Zellen, bestimmte Immunzellen also, vorübergehend praktisch zum Verschwinden gebracht hat. Das kann etwa als Teil einer Lymphom-Behandlung der Fall sein oder auch nach einer Stammzelltransplantation. Für Impfungen werde dann allgemein ein zeitlicher Abstand von drei, besser von mehr als sechs Monaten zur letzten Therapie empfohlen. Daran orientieren sich Onkologen derzeit bei der Corona-Impfung. „Auch hier sind in nächster Zeit aber noch mehr Informationen zu erwarten und vielleicht noch genauere Empfehlungen.“
Ist Impfen während der Therapie riskant?
Allgemein gilt: „Die aktuell verfügbaren Impfstoffe erscheinen von ihrem Sicherheitsprofil sehr sicher“, sagt Gießen-Jung. Wenn Patienten aber eine schwere allergieartige Nebenwirkung hatten – das kann auch bei einer Krebsbehandlung sein –, müsse man Nutzen und Risiko sorgfältig abwägen. Während einer laufenden Chemo- oder auch bei einer Antikörper-Therapie sollten Patienten die Frage nach der Impfung, auch nach dem richtigen Zeitpunkt, mit ihrem behandelnden Onkologen besprechen, rät er. Hier geht es aber vor allem darum, die bestmögliche Wirkung zu erzielen.
Wie ist das bei einer Strahlentherapie?
Auch hier gilt: „Die individuelle Risikokonstellation muss für jeden Patienten beurteilt werden“, sagt Prof. Stephanie Combs, Radioonkologin am Universitätsklinikum rechts der Isar in München und Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für RadioOnkologie (DEGRO). In den meisten Fällen sei jedoch auch bei einer laufenden Strahlentherapie eine Impfung möglich. „Insbesondere dann, wenn eine langwierige, gegebenenfalls mit einer Chemotherapie kombinierte Therapie notwendig ist, muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine Covid-Impfung möglich ist.“ Die nötigen Bescheinigungen erhalten Patienten von ihren Radioonkologen.
Wo finden Betroffene aktuelle Infos?
Mit den Erkenntnissen zum Coronavirus verändern sich auch die Empfehlungen. Wer auf dem Laufenden bleiben will, findet etwa auf der Internetseite des Krebsinformationsdienstes seriöse und aktuelle Informationen (https://bit.ly/2NDYKoL) sowie auch bei der Deutschen Krebsgesellschaft (https://bit.ly/3pzq4lp). ANDREA EPPNER