Rund eine Million Menschen in Deutschland leiden darunter. Frauen trifft es drei- bis viermal so oft wie Männer: Die Rede ist vom Karpaltunnelsyndrom (KTS), einem Nervenengpass im Bereich des Handgelenks. Dabei werde es dem Mittelnerv im Karpaltunnel zu eng, erklärt Dr. Werner Brosch, Handchirurg in Starnberg.
Was genau ist der Karpaltunnel?
Der Karpaltunnel ist eine von Bindegewebe fest umschlossene Röhre. Sie verläuft vom Unterarm zur Handinnenseite, im Bereich des Handgelenkes. Boden und seitliche Wände werden von Handwurzelknochen gebildet, das Dach von einem breiten Band (s. Grafik). „Wird dieser Kanal zu eng, dann steigt der Druck auf den Mittelnerv und die kleinen Gefäße, die ihn mit Blut versorgen“, erklärt Brosch. Die Folge: Der Nerv wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Darunter leidet seine Funktion. Langfristig könne er sogar Schaden nehmen. Typische Folgen: Ein Kribbeln, Taubheitsgefühl und Schmerzen im Bereich des Daumens bis zum halben Ringfinger (siehe Grafik). Steht der Nerv längere Zeit unter Druck, könne es passieren, dass sich Muskeln im Bereich des Daumenballens, die dieser Nerv steuert, abbauen.
Welche Ursachen hat der Nerven-Engpass?
Infrage kommt ein anlagebedingter anatomischer Engpass, etwa durch eine Verformung von Handwurzelknochen. Andere Ursachen sind eine Sehnenscheidenentzündung, rheumatische Erkrankungen sowie Stoffwechselstörungen wie die Zuckerkrankheit Diabetes mellitus. Auch Brüche oder Verletzungen in diesem Bereich sowie Arthrosen können dazu führen, ebenso Tumore und kleine Knötchen, kurz: alles, was Platz braucht. Bei Frauen sei der Karpalkanal „von Natur aus enger und kleiner“, sagt Brosch. Darum trifft es sie öfter. Auch hormonelle Einflüsse spielen eine Rolle, etwa in den Wechseljahren und in der Schwangerschaft. Leider gebe es „keine gesicherten Erkenntnisse“, wie man dem Syndrom vorbeugen könnte, sagt Brosch. Wenn man eine Neigung zu leichten Gefühlsstörungen habe, sollte man aber für das Handgelenk belastende Tätigkeiten wie Motorrad- oder Fahrradfahren und Gartenarbeit meiden.
Welches sind die ersten Anzeichen?
„Die Erkrankung beginnt meist schleichend“, sagt der Experte – mit Schmerzen oder Missempfindungen: ein Kribbeln oder Ameisenlaufen im Bereich des Daumens, Zeigefingers und Mittelfingers, vor allem nachts. Bei vielen fühlen sich die Finger steif und geschwollen an. Manche berichten, über ein Gefühl wie bei einem leichten elektrischen Schlag. Tagsüber treten Beschwerden erst nur bei Druckbelastungen auf, etwa beim Radfahren. Störungen der Feinmotorik seien ebenfalls ein Hinweis. Zum Arzt sollte man spätestens dann gehen, wenn die Nachtruhe leidet und ein Durchschlafen über längere Zeit nicht mehr möglich sei, sagt Brosch. Oder wenn die Gefühlsstörungen häufiger und länger werden. Allerhöchste Zeit werde es aber, wenn sich Gefühlsstörungen oder -verlust nicht mehr zurückbilden. Wartet man mit dem Gang zum Arzt zu lang, könne es zu einem dauerhaften Gefühlsverlust kommen, „weil sich der Nerv nicht mehr regeneriert“. Bei einer neurologischen Untersuchung sei dann oft kein elektrischer Fluss mehr im Nerv messbar. Oft haben Betroffene kaum noch Kraft in der Hand. Auch die Feinmotorik leidet: Das Einfädeln eines Fadens oder das Zuknöpfen eines Hemdes sind nicht mehr möglich.
Bei welchem Facharzt ist man richtig?
„Selbstverständlich kann eine Diagnose von den meisten Ärzten gestellt werden, aber ich als Handchirurg sage natürlich, dass ein Handchirurg die primäre Anlaufstelle sein sollte“, sagt Brosch. Um die Diagnose zu sichern, müsse immer auch ein Neurologe hinzugezogen werden: Dieser misst zum Beispiel die Nervenleitgeschwindigkeit des Mittelnervs – durch einen Druckschaden nimmt diese ab. „Ein gesunder Nerv leitet mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 bis 60 Metern pro Sekunde. Dies entspricht in etwa 200 Kilometern pro Stunde.“ Bei der neurologischen Untersuchung lasse sich außerdem genau unterscheiden, ob die Ursache der Beschwerden wirklich ein Karpaltunnelsyndrom ist – oder möglicherweise eine andere, zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule: Ein solcher könne zu ähnlichen Symptomen führen.
Was hilft gegen die Schmerzen?
„Im Frühstadium können eine Handgelenksschiene für die Nacht und entzündungshemmende Medikamente, wie Ibuprofen, helfen“, rät der Experte. Beim akuten Karpaltunnelsyndrom könne auch Kortison gespritzt werden. „Diese Behandlung sollte jedoch nur kurzzeitig erfolgen“, warnt der Experte. „In fortgeschritteneren Stadien ist eine OP notwendig.“
Wie läuft diese Operation ab?
Mit rund 300 000 Eingriffen pro Jahr gehört diese Operation zu den häufigsten in Deutschland. Sie erfolgt in der Regel ambulant, der Patient bekommt eine örtliche Betäubung. Manchmal könne auch ein leichter Dämmerschlaf nötig sein. Bei der Operation setzt der Handchirurg einen kleinen, etwa 1,5 bis zwei Zentimeter langen Schnitt im Bereich der Hohlhand, also zwischen Handwurzel und Fingern. Dann durchtrennt er das Band, das den Karpalkanal nach oben abschließt, „um dem Nerv mehr Raum zu verschaffen“, sagt Brosch. Der Eingriff dauere rund 20 Minuten. Nach zwölf bis 14 Tagen werden die Fäden gezogen. „Bis dahin sollte man Schmutz und Wasser meiden und die Hand hoch lagern. Eine volle Belastung ist frühestens nach vier bis sechs Wochen möglich.“
Wie wird die Hand wieder beweglich?
„Ich empfehle meinen Patienten, die Finger sofort wieder zu bewegen“, rät Brosch. „Damit keine Vernarbungen und Verwachsungen auftreten und der Lymphfluss nicht gestört wird.“ Tätigkeiten, die keine Schmerzen auslösen – wie zum Beispiel Besteck oder eine Tasse halten, Haare kämmen oder Zähneputzen – kann man sofort wieder ausführen. „Die Devise lautet: Alles machen, was geht, aber nichts machen was wehtut“, sagt der Experte und warnt: Auf das Handgelenk, sollte man sich in der gesamten Phase der Wundheilung nicht stützen. Ist diese abgeschlossen, empfiehlt er, die Belastung langsam zu steigern. Krankengymnastik sei dabei in der Regel nicht erforderlich. Die gute Nachricht: „Die Prognose ist sehr günstig“, sagt Brosch – und warnt zugleich: „Je länger man die Symptome hatte und je ausgeprägter der neurologische Befund war, desto länger wird es in der Regel dauern, bis man wieder das volle Gefühl an der Hand hat. Das können durchaus einige Monate sein.“