Alle reden vom Impfen und von Corona. Andere wichtige Schutzmaßnahmen werden da leicht vergessen – zum Beispiel die FSME-Impfung, die vor der Frühsommer-Meningoenzephalitis schützt. Eine Hirnhautentzündung, die von Viren ausgelöst wird, die von Zecken übertragen werden. 2020 war ein FSME-Rekordjahr: Das Robert Koch-Institut (RKI) registrierte mit 704 Infektionen die höchste Zahl seit Beginn der Datenerfassung im Jahr 2001 – ein Anstieg um 58 Prozent im Vergleich zu 2019. Ein Grund: Viele haben ihren Sommerurlaub wegen Corona daheim verbracht und das gern in der Natur. Auch jetzt im Frühling drängt es viele ins Grüne. Der Münchner Internist Dr. Karlheinz Zeilberger erklärt, wie Sie sich dabei schützen können.
Wird es noch mehr FSME-Fälle geben?
Tatsächlich spricht einiges für einen weiteren Anstieg: Dazu gehören die teils milden Temperaturen im Februar, bei denen sich Zecken leichter vermehren konnten – die kleinen Krabbler sind schon ab acht Grad sehr aktiv. Dazu kommen die Corona-Maßnahmen: Aus Mangel an Alternativen verbringen mehr Menschen mehr Zeit im Freien in ihrer näheren Umgebung. In Bayern trifft uns das besonders hart: Bis auf Städte wie München, Augsburg und Schweinfurt sowie den Landkreis Fürstenfeldbruck gilt inzwischen der gesamte Freistaat als FSME-Risikogebiet. Auch für Münchner gibt es keine Entwarnung: Wer radelt nicht gern mal an der Isar entlang oder wandert in den Bergen?
Gefahr in Gras und im Gebüsch
Zecken kommen praktisch überall vor, wo es Pflanzen gibt – auch in Gärten und Parks. Dort klettern sie zum Beispiel auf Grashalme, auf niedriges Gebüsch oder herumliegendes Holz. Kommt ein Tier oder ein Mensch vorbei und streift sie ab, hält sie sich sofort fest. „Zecken fallen nicht von Bäumen und können nicht springen“, sagt Zeilberger. „Die meisten Zecken warten in einer Höhe von weniger als einem Meter über dem Boden.“ Sein Rat daher: „Wer oft in der Natur unterwegs ist, Schwammerl oder Brombeeren suchen geht, im freien Gelände joggt oder Golf spielt, sollte dabei am besten enge, lange Hosen tragen – und sich gegen FSME impfen lassen.“
Warum ist die FSME-Impfung so wichtig?
Die Impfung bedeutet einen kleinen Piks ohne nennenswerte Nebenwirkungen, der im Zweifelsfall aber vor Hirn- und Nervenschäden schützt, die bis hin zu Lähmungen reichen können. Wer noch nie geimpft wurde, braucht eine Grundimmunisierung aus drei Impfungen: Nach der ersten Spritze wird vier bis zwölf Wochen später erneut geimpft. Die dritte Impfung folgt fünf bis zwölf Monate nach der zweiten. Danach ist nur noch alle drei bis fünf Jahre eine Auffrischungsimpfung nötig. „Da seit Jahrzehnten gegen FSME geimpft wird, sind die meisten Menschen grundimmunisiert“, sagt Zeilberger. „Viele vergessen jedoch die Auffrischung.“ Was aber, wenn die Impfpause länger als fünf Jahre war – muss man dann von vorn anfangen? Nein! „Auch dann reicht eine Dosis, um den Impfschutz wiederherzustellen“, sagt Zeilberger. Und: Hausärzte haben den Impfstoff normalerweise im Praxis-Kühlschrank vorrätig. Der Patient bestätige mündlich, dass er sich gesund fühle, werde aufgeklärt, geimpft und könne die Praxis „sofort wieder verlassen“, sagt der Experte. „Eine Sache von maximal fünf Minuten.“ Er rät: Impfpass prüfen und bei Bedarf gleich einen Termin ausmachen. Außer: „Wer schon einen Corona-Impftermin hat oder zeitnah mit einem rechnet, sollte die FSME-Impfung im Zweifelsfall hintenanstellen.“ Denn: Bei der Covid-19-Injektion dürfe zwei Wochen davor und zwei Wochen danach keine andere Impfung verabreicht werden.
Wie kann man sich vor Zecken schützen?
Immer wichtig: umsichtiges Verhalten! Das betrifft gerade auch Besitzer von Haustieren, denn gern schleppen Katzen und Hunde Zecken zu Hause ein. Sie sollten am besten Zeckenhalsbänder tragen. Ansonsten gilt: Geschlossene Kleidung im Freien ist das eine, regelmäßiges Absuchen das andere. Denn Zecken stechen selten sofort zu, wenn sie es auf die Haut geschafft haben. Sie krabbeln bis zu einer Stunde herum und suchen sich eine möglichst geschützte Stelle. Bis sie sich vollgesaugt haben, dauert es abhängig von ihrem Alter zwei bis acht Tagen Blut. Der Haaransatz, die Ohren, Achseln, Bauchnabel, Kniekehlen und der Genitalbereich sind bei Zecken darum beliebt. Gerne mögen sie auch die Haut im Hüftbereich, wo die Hose aufliegt oder das Handgelenk unter dem Uhrarmband. Regelmäßiges Absuchen lohnt sich: „So erwischt man die Zecke vielleicht schon, bevor sie zusticht“, sagt Zeilberger. Zum Schutz vor einer FSME ist das besonders wichtig: Hat die Zecke angedockt, überträgt sie FSME-Viren leider schnell. Wer die Zecke schnell entfernt, reduziert zumindest das Risiko einer Borreliose, die von Bakterien ausgelöst und ebenfalls von Zecken übertragen wird (siehe Kasten). Das geschieht aber meist erst nach ein bis zwei Saugtagen.
Zecke raus mit Kleber und Öl? Bloß nicht!
Wer eine Zecke entdeckt, die sich festgesaugt hat, sollte sie also schnell entfernen – und zwar im Ganzen. Bleiben Teile zurück, kann das zu einer Entzündung führen. Wird die Zecke gequetscht, könnten Erreger in die Wunde gelangen. Am besten greift man die Zecke daher mit einer Pinzette oder im Notfall mit den Fingernägeln. Dabei sollte man nahe an der Haut ansetzen – an ihren Mundwerkzeugen also „und niemals am vollgesogenen Körper“, warnt Zeilberger. „Hat man sie fest im Griff, zieht man sie langsam und gerade heraus.“ Drehen sollte man sie dabei möglichst nicht und: auf keinen Fall darf man sie zuvor mit Öl oder Klebstoff beträufeln. Das könnte dazu führen, dass die Zecke ihren Speichel abgibt – und damit mögliche Infektionserreger.
Wie behandelt man die Stichstelle?
Nach dem Entfernen der Zecke gilt: Die Wunde sorgfältig desinfizieren und die Stichstelle noch einige Zeit beobachten. Sollte nach einigen Tagen bis Wochen eine deutliche ringförmige Hautrötung entstehen, die in der Mitte oft blasser ist als am Rand, und sich ausweiten, bestehe der Verdacht auf eine Borreliose. „Dann sollten Sie unbedingt zu einem Arzt gehen“, rät der Experte. Eine FSME-Infektion erkennt man dagegen nicht so leicht. „Wer sieben bis 14 Tage nach einem Zeckenstich und einem Aufenthalt in einem FSME-Risikogebiet grippeähnliche Symptome wie Fieber, Abgeschlagenheit, Unwohlsein, Kopf- oder Gliederschmerzen spürt, sollte auch das ärztlich abklären lassen“, empfiehlt Zeilberger daher.
Wie verrät sich eine FSME?
Eine FSME-Erkrankung verläuft in zwei Phasen und beginnt ein bis zwei Wochen nach dem Zeckenstich mit Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen. Da viele Menschen nicht bemerken, dass sie von einer Zecke gestochen wurden, vermuten sie oft eine Sommergrippe als Ursache. Nach ein paar Tagen lässt das Fieber nach. Für die meisten Infizierten ist die Krankheit nach dieser ersten Phase überstanden. Es gibt auch seltene, aber schwere Verläufe: Nach etwa einer Woche ohne Beschwerden steigt das Fieber dann plötzlich wieder stark an, weitere Symptome treten auf. Die Schwere der Erkrankung hängt nun davon ab, wo sich die Entzündung ausbreitet. Bei etwa der Hälfte der Patienten sind „nur“ die Hirnhäute entzündet, bei schweren Verläufen kommt es außerdem zu einer Gehirnentzündung. Noch seltener, dafür am schlimmsten, ist eine Rückenmarksentzündung, die zu Lähmungen von Armen oder Beinen führen kann. Die gute Nachricht: „Bis zu 95 Prozent aller Infizierten haben überhaupt keine Symptome oder landen zumindest nicht in der zweiten Phase“, sagt Zeilberger. „Das hängt davon ab, wie viele Viren die Zecke übertragen hat und wie stark das eigene Immunsystem ist.“ Deshalb gibt es keinen Grund zur Panik: Die Wahrscheinlichkeit, FSME zu bekommen, sei minimal, die seltenen, schweren Verläufe allerdings fatal. „Das will niemand durchstehen – und es lässt sich einfach durch eine Impfung verhindern.“ SUSANNE HÖPPNER