OP erspart Carin (61) den Rollstuhl

von Redaktion

VON ANDREAS BEEZ

München – Sie war noch ein Kind, als ihre lebenslange Leidensgeschichte begann. Mit zehn Jahren erkrankte Carin Bucke an Rheuma. Genauer gesagt an Polyarthritis, einer Autoimmunerkrankung, die Frauen ungefähr drei Mal so häufig trifft wie Männer. Sie kann verschiedene Gelenke unterschiedlich stark befallen, bei Buckes Verlauf tobten die Entzündungsprozesse besonders stark in der rechten Hüfte. „Rheuma kann ähnliche Schäden wie eine Tumorerkrankung anrichten“, weiß Professor Rüdiger von Eisenhart-Rothe, der Chef der Orthopädie und des Endoprothesenzentrums im Uniklinikum rechts der Isar. Deshalb brauchte seine Patientin bereits mit 22 Jahren ein künstliches Hüftgelenk.

Allerdings steckte die Endoprothetik damals in den 1970er-Jahren noch in den Kinderschuhen. So hielt Buckes erste Prothese gerade mal fünf Jahre. Zum Vergleich: Nach einer im renommierten Fachmagazin „Lancet“ veröffentlichten britischen Studie sind heute 89 Prozent der Endoprothesen nach 15 Jahren noch intakt, und 58 Prozent überdauern sogar ein Vierteljahrhundert.

Hüftprothese bereits mehrfach ausgetauscht

Doch in Buckes Fall blieb die Haltbarkeit auch bei den ausgetauschten Prothesen gering und die Zahl der sogenannten Wechsel-Operationen hoch. Mehr als zehn Mal musste sie sich unters Messer legen, damit die Ärzte ihren Gelenkersatz sanieren konnten. Ein Protheseninfekt erschwerte die Heilung. Diese Komplikation kommt zwar sehr selten vor, trifft nur etwa ein Prozent der Patienten. Sie ist aber extrem gefürchtet, weil ein Infekt in der Regel mehrere Operationen nach sich zieht. Dabei wird die entzündete Prothese durch einen sogenannten Spacer ersetzt. Der Platzhalter bleibt so lange im Becken, bis alle Keime abgetötet sind und die Entzündung abgeklungen ist. Das kann schon mal Wochen dauern. Erst danach wird eine neue Prothese eingesetzt.

Auf solche Infektbehandlungen ist das Endoprothesenzentrum des Uniklinikums rechts der Isar ebenso spezialisiert wie auf den Austausch künstlicher Gelenke. Jedes Jahr nehmen die Experten um Klinikdirektor von Eisenhart-Rothe etwa 450 Wechsel-Operationen vor.

Doch im Fall von Carin Bucke konnte von einem Routineeingriff keine Rede sein. Vor allem der Zustand ihres Beckenknochens stellte den Chefoperateur vor eine besondere Herausforderung. „Wir mussten nicht nur das Hüftgelenk ersetzen, sondern auch einen Teil des Beckens“, berichtet von Eisenhart-Rothe, der die Behandlung von Carin Bucke nach mehreren Voroperationen an anderen Kliniken übernahm. Durch die Vorschäden an ihrem Becken fand sich kaum noch genügend Knochen, um die vergleichsweise voluminöse Prothese darin stabil verankern zu können.

Maßgeschneiderter Becken-Teilersatz

Auf der Basis von Computertomografie-Aufnahmen tüftelte von Eisenhart-Rothe eine minutiöse Prothesenplanung aus und ließ einen maßgeschneiderten Beckenteilersatz samt Beckenschaufel und Hüftgelenkspfanne anfertigen. Der Clou dabei: eine Art metallischer Zapfen, der in den noch vorhandenen Knochen hineinragt und das Implantat in der richtigen Position halten soll.

Drei Stunden dauerte der Eingriff. Schon wenige Tage danach war die 61-Jährige wieder mit Walkingstöcken unterwegs: „Klar: Joggen wie früher kann ich jetzt nicht mehr, aber immerhin kann ich wieder gehen. Ich freue mich schon auf die Spaziergänge mit unserem Hund“, erzählt sie lachend. Mit ihrer positiven Einstellung taugt sie zum Vorbild für viele Leidensgenossen. „Es ist wirklich beeindruckend, dass Frau Bucke trotz ihrer langen Krankengeschichte nie die Lebensfreude und die Fröhlichkeit abhandengekommen sind“, attestiert Operateur von Eisenhart-Rothe ihr. „Eine positive Einstellung ist ganz wichtig. Sie kann sogar die Heilung fördern.“ Zumal es gerade für Gelenkersatz-Patienten heutzutage gute Behandlungsmöglichkeiten gibt – auch bei Wechsel-Operationen. „Die Annahme, man könne künstliche Gelenke grundsätzlich nur ein oder zwei Mal ersetzen, ist falsch. Frau Bucke ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass die moderne Endoprothetik selbst in schweren Fällen die Lebenssituation der Patienten sehr oft verbessern kann. Allerdings erfordern diese komplexen Eingriffe ein Höchstmaß an Spezialisierung und Erfahrung. Sie sollen deshalb nur in zertifizierten Prothesenzentren vorgenommen werden.“

Familie und Freunde geben ihr Kraft

Für Carin Bucke hat nun der Weg zurück in den Alltag begonnen. Zwar wird die frühere Logopädin und Mutter zweier Söhne (24 und 31) ihr Hinken nicht mehr loswerden, aber sie hat noch nie sinnlos Energie darauf verschwendet, mit dem Schicksal zu hadern. „Es hätte ja auch schlimmer kommen können.“ Ohne die erfolgreiche OP wäre sie wohl im Rollstuhl gelandet.

Doch auch diese Vorstellung warf sie nicht aus der Bahn – auch dank ihres Umfelds. „Ich habe eine Familie, die hinter mir steht, und einen Freundeskreis, der mir immer gezeigt hat, dass ich nicht alleine bin. Das gibt mir viel Kraft.“

Möglichst bald möchte die 61-Jährige mit nur noch einem Stock zurechtkommen. Dafür wird sie in einer ambulanten Reha fleißig trainieren. Vielleicht erfüllt sich ja am Ende auch noch ihr großer Traum: Sie möchte wieder mit ihrem Mann Heiko (61) tanzen. „Am liebsten Fox, Cha-Cha-Cha oder Rumba“, verrät Carin Bucke augenzwinkernd. Für einen Sieg in der RTL-Show „Let’s dance“ würde es vermutlich nicht mehr reichen. Aber in den Disziplinen Kampfgeist, Kraft und Optimismus ist sie längst auf der Gewinnerseite.

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