München – Wie stark die Corona-Krise die Menschen belastet, hat sich inzwischen auch durch wissenschaftliche Studien herauskristallisiert: Laut einer in der renommierten Zeitschrift „Lancet“ veröffentlichten Untersuchung sind die Angst- und Depressionswerte bei Corona-Erkrankten, aber auch bei Menschen in Isolationsmaßnahmen drastisch erhöht. Menschen, die an einer psychischen Krankheit leiden, haben eine um zehn Jahre verkürzte Lebenserwartung. Umso wichtiger ist es, auf die eigene psychische Gesundheit zu achten. Im Internet finden sich viele Angebote für Menschen, die schon krank geworden sind.
Aber auch Gesunde sollten etwas dafür tun, um ihre Psyche in einem ausgewogenen Zustand zu halten. Wie das funktioniert, erläuterte Dr. Götz Berberich, Chefarzt der Psychosomatischen Klinik in Weidach, beim Seminar zur Psychischen Gesundheit in Corona-Zeiten der Vereinigung Health Care Bayern. Er zeigte Möglichkeiten zur Selbsthilfe in Zeiten von Corona und darüber hinaus auf. „Wichtig ist es, die psychischen Grundbedürfnisse zu kennen und darauf zu achten, dass sie erfüllt werden“, erklärte Berberich. Maßgeblich sind folgende Punkte:
Lustgewinn gegen Unlustvermeidung
„Wir haben zwei Bedürfnisse: Zum einen wollen wir uns verwöhnen, genießen und Lebenslust erleben, auf der anderen Seite ist es für uns ganz wichtig, dass wir Unlust vermeiden“, erklärt Berberich. Nun ist in Zeiten der Pandemie die Waagschale unausgeglichen, und dadurch komme der Lustgewinn zu kurz. „Wir sollten uns also bewusst im Lustgewinn üben und zum Beispiel gut essen und trinken, uns auf angenehme Weise körperlich betätigen, Entspannung üben, bewusst entschleunigen und uns – soweit möglich – der Kunst und der Ästethik widmen“, rät der Psychologe.
Bindungsbedürfnis und Autonomie
Der Mensch braucht Autonomie. um sich zu entwickeln, aber auch Bindungen. Dieses Bindungsbedürfnis wurde in der Pandemie durch gefühlte oder tatsächlich gegebene Isolation gefährdet. Die Kontaktaufnahme scheint aber schwieriger, als sie wirklich ist, sagt Berberich: „Wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, haben wir in der Zeit der Kontaktbeschränkungen weniger Kontakte gehalten, als uns möglich gewesen wäre – wir hätten Zeit und die technischen Möglichkeiten gehabt, um viel mehr Kontakt halten, als wir das getan haben.“ Er rät für künftige Krisen, bewusst Kontakt zu pflegen, Solidarität zu zeigen und Hilfe anzubieten, Verantwortung zu übernehmen. Berberich: „Wichtig ist es auch, bewusst zugewandt zu sein und unter der Maske zu lächeln – das sieht man, wenn auch nur an den Augen, und es wirkt positiv für die eigene Psyche.“
Selbstwert stärken und nachsichtig sein
In der Pandemie sind die üblichen Ziele oft nicht erreichbar und Funktionsfähigkeiten ausgesetzt. Wichtig ist es, sich dann nicht zu verurteilen. Wir sollten gegenseitig Verständnis für behinderte Abläufe aufbringen. Zudem müssen wir uns klarmachen, dass die Beachtung der Corona-Regeln ein ziemlicher Akt von Altruismus ist und wir und dadurch gegenseitig Respekt und Achtung des jeweils anderen beweisen. „Ich rate es jedem, sich selbst zu loben und sich vor Augen zu halten, dass wir alle das eigentlich ziemlich gut machen“, empfiehlt Berberich.
Sich klarmachen, dass Kontrolle möglich ist
Der Mensch hat das Bedürfnis, das eigene Leben zu kontrollieren. Diese Kontrolle scheint er durch die Pandemie ein Stück weit verloren zu haben. „Objektiv aber ist die Kontrolle weit weniger eingeschränkt als subjektiv wahrgenommen“, sagt Berberich. Er rät dazu, das Unveränderliche anzunehmen, um Energie freizusetzen für das Veränderbare.
Selbstverwirklichung und Sinnstiftung
Isolation, Rückzug und Entschleunigung sollten nicht schöngeredet werden, sagt Berberich, aber man könne diese äußeren Zwänge auch als Gelegenheit verstehen. Der Psychologe rät dazu, der Spiritualität Raum zu geben, wertebasiert zu leben und sich selbst an jedem Abend zu fragen, wofür man heute dankbar sein kann. Wer ein Dankbarkeitstagebuch führt, der steigert sein positives Lebensgefühl. Zudem biete die Zwangspause eines Lockdowns auch die Gelegenheit, neue Projekte in Angriff zu nehmen – etwa das Erlernen einer Fremdsprache – oder neue Hobbys zu entdecken und auszuprobieren.
Alltag strukturieren und sich bewegen
Wichtig ist es zuletzt, die Tagesstruktur aufrechtzuerhalten und eben gerade nicht viel Zeit bequem auf der Couch zu verbringen. Stattdessen sollte man sich bewegen – am besten an der frischen Luft.