von Redaktion

VON NICOLA FÖRG

Das Verschwinden der großen Beutegreifer in Deutschland (und teils in Europa) ist eine traurige Geschichte der direkten Verfolgung. Sie galten als Konkurrenten um das jagdbare Wild, als Gefahr für Weidetiere. Bär und Wolf waren die Bösen in Märchen und Legenden, man bekämpfte sie mit Fallen und Tellereisen. Sie wurden vergiftet oder erschossen – und ausgerottet.

Doch sie kommen zurück. Einer aus dem Reigen der wilden drei ist der Luchs. Den kaum einer je gesehen hat! Katzen, gar nicht groß, grazil, schlank und hochbeinig. Und damit beginnt es schon mit der Fehleinschätzung. Luchse in Zoos sind oft auch Luchse aus Asien, ziemliche Brocken, aber Luchse im Bayerischen Wald und im Pfälzerwald stammen vom Mittelgebirgstyp ab, sind gerade mal kniehoch und sicher nicht groß wie ein Schäferhund!

Aus dem Reich der Märchen hält sich auch hartnäckig die Geschichte, dass vom Bund Naturschutz Luchse Anfang der 1970er-Jahre illegal ausgewildert wurden. „Das war nicht illegal“, sagt Biologin Sybille Wölfl, die seit 15 Jahren Luchsmonitoring in Bayern betreibt. „Es gab damals überhaupt kein Gesetz, das man hätte anwenden können. Es waren fünf bis sieben Tiere aus den Karpaten. Richtig ist, dass man damals die Bevölkerung nicht mit ins Boot geholt hatte.“ In den 1980er-Jahren wurden auf tschechischer Seite in einer offiziellen Aktion insgesamt 17 Tiere (sechs Weibchen und elf Männchen) im Bereich des heutigen Sumava-Nationalparks freigelassen. Tiere halten sich nun mal nicht an Grenzen und vermischen sich natürlich schnell. Erschwerend für den Luchs kam hinzu, dass sein Auftauchen immer in Verbindung mit der Nationalparkgründung Bayerischer Wald gebracht wurde. Und der Park ist nicht in allen Teilen der Bevölkerung geliebt, ergo war auch der Luchs Feindbild. Wilde Gerüchte, stille Post und Jägerlatein machten es der scheuen Katze von Beginn an schwer bis unmöglich. Und es geht eine Geschichte, dass ein Bayerwald-Jäger auf dem Sterbebett gestand, er habe schon 1971 den ersten Luchs am Arber geschossen. Es plagte ihn!

Wozu denn auch auf Luchse schießen? „Etwa 80 Prozent der Luchsbeute besteht aus Rehen. Daneben frisst der Luchs Hasen, Vögel oder auch Kleinnager. Übergriffe auf Schafe oder Ziegen sind im Bayerischen Wald kaum ein Thema, Angriffe auf Gatterwild Einzelfälle“, sagt Wölfl. 1997 fand das große Luchssymposium in Deggendorf statt und es wurde ein Fonds für Ausgleichszahlungen aufgelegt. Der aber nie ganz abgerufen wurde, weil es so wenig verbürgte Schäden an privaten Nutztieren gab.

Bleiben die Rehe: Natürlich gibt es Kandidaten unter den Jägern, die sich freuen, ein so faszinierendes Tier wie den Luchs im Wald zu haben. Die anderen sind zwiegespalten, die dritte Gruppe duldet keine Konkurrenz – auch wenn der Luchs kaum Wild jagt.

„Es sterben hunderte Rehe mehr im Straßenverkehr als durch einen Luchs“, sagte Wölfl. „Es ist ein irrationaler Beuteneid des menschlichen Jägers“, sagt Wölfl. Genau genommen müssten die Jäger froh sein, wenn jemand mithilft, Rehe in Schach zu halten. „Wir wissen de facto nichts über den Rehbestand! An der Hochschule wird anhand von Fallbeispielen nach wie vor gelehrt, dass es zehnmal so viele gibt, wie man sieht. Aber das lässt sich nicht pauschal auf alle Lebensräume übertragen. Der Luchs hingegen ist gut untersucht. Und er hat große Probleme!“ Denn Luchse haben auch ohne menschliche Nachstellung ein schweres Leben und eine geringe Reproduktionsrate. „Luchse sind vorwiegend in der Dämmerung und nachts aktiv. Das Weibchen zieht ihre im Frühsommer geborenen Jungen allein auf und betreut diese bis in den nächsten Spätwinter hinein. Im Alter von neun bis zehn Monaten müssen die Halbwüchsigen das mütterliche Wohngebiet verlassen und sich ein eigenes Revier suchen. Viele Junge überleben das erste Lebensjahr nicht, oft verhungern sie. Von vier geborenen Jungen überlebt meist nur eines bis zur Etablierung des eigenen Revieres. Todesursachen sind etwa Verhungern, Krankheiten wie Katzenseuche oder Räude – und immer wieder Verkehrsunfälle oder illegale Jagd.“

Wölfl schwankt in ihrem Tun zwischen Hoffnung und Frustration. „Die illegale Nachstellung bleibt ein Problem, der Aufschrei in den Medien hat dazu geführt, dass der eine oder andere davon Abstand genommen hat. Seit 2016 gibt es einen leicht positiven Trend, aber jedes Einzeltier zählt!“ Es mag sein, dass innerhalb von zwei bis sechs Monaten das Revier neu besetzt wird. „Es gäbe noch genug freie Gebiete, aber speziell weibliche Tiere sind sehr zurückhaltend bei der Ausbreitung. Sie bleiben lieber in der Nähe der Mutter, suchen ein benachbartes Revier.“ Luchse sind auch weniger kühn beim Überschreiten von Autobahnen oder Siedlungsachsen, sie drehen eher um, was per se zwar klug ist. Aber ohne vernetzte Lebensräume, ohne Korridore zwischen Gebieten sieht es schlecht aus für die schöne Katze. Der Luchs ist noch lange nicht aus dem Gröbsten raus, es gibt immer wieder Projekte, um dem Luchs auf die Sprünge zu helfen, aber Projektgelder enden eben auch. Solange eine Art am Tropf hängt, bleibt sie sehr gefährdet. Wölfl argumentiert immer wissenschaftlich. Dann hat sie Luchswaisenkinder aufgezogen und das war auch hochemotional. „So kluge Tiere, so sozial, so ungeheuer liebevolle Viecher.“

Interessanter Link

> www.luchs-bayern.de (Luchsprojekt Bayern; die Seite bietet umfangreiche Informationen zur Biologie und zum Monitoring und Management des Luchses.)

> www.bund-naturschutz. de/tiere-in-bayern/luchs

(Wer Luchsen helfen will)

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