Bessere Chancen bei Krebs

von Redaktion

Münchner Topwissenschaftlerin erklärt Alarmzeichen und Vorsorgemethoden

VON SUSANNE SASSE

München – Den Kampf gegen Krebs in der Bauchspeicheldrüse hat Professor Julia Mayerle zu ihrer Lebensaufgabe gemacht. Umso dramatischer war es für sie, dass sie im vergangenen Jahr am Bett ihrer Mutter saß und hoffte, sie würde ihre Pankreas-Krebserkrankung überleben – vergebens. „Der Tod meiner Mutter an einem Pankreaskarzinom ist wohl die größte Niederlage meines Lebens, da ich den größten Teil meines Lebens zu Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse geforscht habe“, sagt die Direktorin der Poliklinik II Klinikum der Universität München. „Allerdings ist der schmerzliche Verlust für mich zugleich der größte Ansporn weiterzumachen, denn die Mutter eines Freundes wird kommen.“

Früherkennung und Krebs-Prävention sind Mayerles zwei Lebensthemen. Denn in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Menschen, die weltweit an Krebs sterben, von rund acht Millionen auf fast zehn Millionen gestiegen – nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist Krebs die zweithäufigste Todesursache. Die meisten Betroffenen in Deutschland sterben an Darmkrebs. Ein Drama, wenn man sich vor Augen hält, dass 90 Prozent der Todesfälle wegen Darmkrebs durch Früherkennung und Vorsorge verhindert werden können. Die Expertin erklärt, was jeder zur Früherkennung von Magen-, Bauchspeicheldrüsen- und Darmkrebs wissen muss. Wer sollte sich untersuchen lassen, wie wird untersucht, was sind Alarmsignale und wie hat die Wissenschaft die Methoden und die Erfolge bei der Früherkennung immer mehr verbessert? Die Antworten auf diese Fragen zu kennen, kann Leben retten!

Darmkrebs: Die häufigste Krebsart

Darmkrebs, das kolorektale Karzinom, ist die häufigste Krebserkrankung in Deutschland – und tückisch, da es quasi keine Symptome gibt. Es gibt etwa 66 000 Neuerkrankungen pro Jahr (34 000 Frauen und 32 000 Männer). Nach Lungenkrebs mit rund 44 000 Todesfällen pro Jahr ist Darmkrebs mit 30 000 Todesfällen pro Jahr die zweittödlichste Krebsart. Zum Vergleich: Im Straßenverkehr starben in Deutschland im vergangenen Jahr 2724 Menschen. Die Ursache, warum die Krebserkrankungen zunehmen, sind vielfältig, zum einen liegt es daran, dass wir immer älter werden, aber auch daran, dass wir ungesund leben – zu viel und die falsche Ernährung, zu wenig Bewegung, Tabakkonsum, „unsere Sonnenanbeterei“, genetische Ursachen, häufige Röntgenbestrahlung und auch Infektionen mit krebserregenden Viren wie HPV, HP, HCV und HBV.

Früherkennung senkt die Todeszahlen

Vor zwanzig Jahren lag Deutschland bei den Neuerkrankungen noch auf Rang eins – dank Darmkrebsfrüherkennung und Überwachung von Risikopatienten konnte die Neuerkrankungsrate auf Rang sieben in Europa abgesenkt werden. Früherkennung bei Darmkrebs ist so effektiv, da es im Durchschnitt zehn bis 15 Jahre dauert, bis sich aus einer Darmkrebs-Vorstufe ein Krebsgeschwür bildet. Zudem werden Wucherungen in der Darmwand – sogenannte Polypen – oft auch gleich bei der Darmspiegelung entfernt. Dies senkt statistisch die Sterblichkeit bereit um 53 Prozent. Wird nach der Polypenentfernung adäquat nachkontrolliert, sinkt die Sterblichkeit dann um 76 bis 90 Prozent. Besonders effektiv sind die Nachkontrollen mit modernsten Geräten, bei denen auch computergesteuerte Kameras eingesetzt werden, die auch die Auffälligkeiten entdecken, die das menschliche Auge übersehen könnte.

Frauen sollten ab 50 Jahren jährlich einen Stuhltest abgeben, der dann auf unsichtbares (okkultes) Blut untersucht wird und mit 55 Jahren zur Darmspiegelung, die dann nach zehn Jahren wiederholt werden sollte. Alternativ können sie alle zwei Jahre ihren Stuhl testen lassen.

Bei Männern ist schon mit 50 eine Darmspiegelung vorgesehen, hinzu kommen die Stuhluntersuchungen.

Aber: Bayern sind Vorsorgemuffel

Aber: Nur knapp 16 Prozent der Bayern nehmen das Angebot einer vorsorglichen Darmspiegelung (Koloskopie) wahr. Das ist tragisch, dramatisch – und eigentlich unerklärlich, wenn man bedenkt, dass an sich fast alle Darmkrebstodesfälle verhindert werden könnten. Ganz vorne auf der Liste stehen die Hamburger, von denen immerhin fast 30 Prozent eine Koloskopie machen, Schlusslicht sind die Hessen mit nicht einmal zehn Prozent. „Unser Ziel muss sein, hier ganz viel Aufmerksamkeit zu erregen – wir haben sogar schon einmal jedem, der eine Darmspiegelung machte, danach ein alkoholfreies Weißbier mit Brezen ausgegeben“, erzählt Professor Mayerle.

Beim Magenkrebs sind oft Familien betroffen

Napoleon starb an Magenkrebs, ebenso einige weitere Familienmitglieder des französischen Kaisers, der Anfang des 19. Jahrhunderts zum mächtigsten Staatsmann Europas aufstieg. Auf dem Gewissen hat den legendären Feldherrn höchstwahrscheinlich aber ein ganz winziges Lebewesen: das Bakterium Helicobacter pylori, erklärte Professor Julia Mayerle. „Circa 90 Prozent aller Magenkarzinome stehen im Zusammenhang mit Helicobacter pylori“, sagt Mayerle.

Spätes Auftreten bietet Chance für Prävention

Die Krebsdaten zeigen, dass Magenkrebs in der Regel erst ab 45 Jahren auftritt und das Risiko mit dem Alter steigt. Auffällig ist zudem, dass immer meist doppelt so viele Männer wie Frauen betroffen sind. Das Helicobacter pylori ist weltweit in der Bevölkerung verbreitet, allerdings unterschiedlich stark: In Südostasien tragen mehr als 60 Prozent der Menschen das Bakterium in sich, in Europa nur rund 31 Prozent.

Bei ein bis zwei von zehn Menschen mit dauerhafter Helicobacter-Entzündung entwickelt sich ein Geschwür des Magens oder Zwölffingerdarms.

Welche Symptome macht Helicobacter?

In dem meisten Fällen bemerken Infizierte die Infektion gar nicht – und für die meisten Menschen bleibt die Infektion auch harmlos. Eine Helicobacter-Besiedlung des Magens kann zu einer Entzündung der Magenschleimhaut führen. Symptome hierfür können Völlegefühl, Bauchschmerzen oder Übelkeit sein.

Entdeckt wird eine Infektion durch eine Magenspiegelung, bei der Proben von der Darmschleimwand genommen werden – aber auch im Stuhl und sogar der Atemluft kann der Nachweis gelingen. Wie man sich infiziert, ist noch nicht voll erforscht – die meisten Infektionen passieren allerdings schon im Kindheitsalter.

Mit Antibiotikum lässt sich eine Infektion erfolgreich behandeln. „So werden 50 Prozent der Magenkarzinome verhindert“, erklärt Professor Julia Mayerle.

Selten: Krebs in der Bauchspeicheldrüse

Das Pankreaskarzinom, also der Bauchspeicheldrüsenkrebs, ist sehr selten, aber auch sehr tödlich. „Die Inzidenz liegt bei 16 zu 100 000, aber bei Betroffenen beträgt die mittlere Überlebenszeit nur neun Monate“, sagt Professor Mayerle. Die komplette Bevölkerung zu screenen, um Erkrankte zu finden, gliche der Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen – wäre weitgehend vergeblich. Es gibt aber durchaus Risikofaktoren: Zum einen ist es ein neu diagnostizierter Diabetes Typ 2 bei einem über 50-jährigen Patienten – diese Erkenntnis ist neu. Weitere Risikofaktoren, bei denen ein Screening sinnvoll ist, sind ein Lynch-Syndrom, ein Auftreten von Pankreas-Krebs in der Familie und chronische Pancreatitis. Regelmäßig überwacht werden müssen die Menschen, bei denen die erbliche Magen-Darm-Erkrankung Peutz-Jeghers-Syndrome vorliegt – ebenso bei chronischer Bauchspeicheldrüsenentzündung und beim selten vorkommenden FAMM-PC-Syndrom.

Neue Methoden bei der Diagnose

Eine sogenannte Metabolom-Analyse kann helfen, ein Pankreaskarzinom zu entdecken. „Metabolom nennt man alle kleinen Stoffwechselprodukte, doch der Metabolom-Test ist nur in der Hochrisikogruppe sinnvoll, und die beträgt ein Prozent der Bevölkerung“, erklärt Professor Julia Mayerle. Bei diesen ist der Test auch wichtig, denn Pankreaskrebs ist heimtückisch. Tumore in der Bauchspeicheldrüse werden meist spät entdeckt und die Sterblichkeit ist hoch.

Diesen Horror erlebte sogar Professor Julia Mayerle – als einer der renommiertesten Pankreas-Spezialisten in Deutschland. Sie bangte vergebens um ihre Mutter.

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