München/Berlin – Endometriose ist eine der häufigsten chronischen Erkrankungen bei Frauen. Schätzungsweise zwei Millionen Frauen in Deutschland quälen sich damit – oft ohne zu wissen, was sie haben. Weshalb bis zur Diagnosestellung oft Jahre vergehen, was man tun kann und wieso Unfruchtbarkeit die Folge sein kann, erklärt Prof. Dr. Sylvia Mechsner, Oberärztin und Leiterin des Endometriosezentrums an der Klinik für Gynäkologie der Charité Berlin.
Endometriose – was ist das eigentlich?
Endometriose ist eine gutartige, aber chronische Erkrankung, bei der sich Gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedelt – im Bauchraum, in der Blasenwand, in den Harnleitern, an den Darmwänden und Eierstöcken oder gar in den Lungen. Die Läsionen sind meist auf dem Bauchfell angesiedelt, können aber auch Zysten bilden oder in angrenzende Organe einwachsen und werden von Entzündungen begleitet, dies alles kann große Schmerzen auslösen.
Was ist die Ursache für die Krankheit?
Die genauen Ursachen sind unklar, es gibt verschiedene Theorien: So wird beispielsweise vermutet, dass Zellen aus der Gebärmutterschleimhaut sich in anderen Bereichen des Körpers ansiedeln. Auch wird angenommen, dass das Zusammenspiel der Hormone oder des Immunsystems gestört ist. Eine gewisse erbliche Veranlagung ist wahrscheinlich.
Wie viele Frauen sind betroffen?
Tatsächlich ist Endometriose die häufigste Unterleibserkrankung bei Frauen. Nach Schätzungen von Experten sind zwischen 8 und 15 Prozent aller Frauen zwischen Pubertät und Wechseljahren betroffen. Bei Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch ist dieser Prozentsatz mit 40 bis 45 Prozent deutlich höher.
Welches sind die häufigsten Symptome?
Das Hauptsymptom ist in der Regel eine extrem schmerzhafte Periode, selbst unter Einnahme der Pille. Aber auch ungewollte Kinderlosigkeit, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder während der Periode beim Wasserlassen/Stuhlgang, sowie Bauch- und Rückenschmerzen können Hinweise sein. Vegetative Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen oder Durchfall sind typisch.
Weshalb vergehen oft Jahre bis zur richtigen Diagnose?
Obwohl die typischen Beschwerden der Endometriose inzwischen hinlänglich bekannt sind, haben viele Patientinnen von den ersten Symptomen bis hin zur Diagnose im Schnitt eine Odyssee von zehn Jahren hinter sich. Das liegt zum einen daran, weil die Beschwerden so vielfältig sind. Ganz häufig landen Frauen, die Endometriose haben, zum Beispiel zunächst beim Orthopäden, weil sie aufgrund der Entzündungsherde sehr starke Rückenschmerzen haben, oder gehen wegen ihrer Unterleibskrämpfe zum Gastroenterologen, der dann oft ein Reizdarmsyndrom feststellt.
Wie wird diagnostiziert?
Klarheit bringt neben einer Befragung eine gründliche Untersuchung, bei der die Scheide, die Genitalorgane und der Enddarm abgetastet werden. Bei einer Ultraschalluntersuchung durch die Scheide können größere Endometriosebereiche erkennbar sein, Bauchfellherde aber nicht. Insofern kann auch eine Ultraschalluntersuchung des Bauchs angebracht sein. Sicher nachweisen lässt sich die Endometriose meist nur durch eine Bauchspiegelung (Laparoskopie).
Was kann passieren, wenn man zu lange mit einer Behandlung wartet?
Es gibt unterschiedliche Formen und bei manchen sollte man nicht zu lange warten, um schwere Verläufe und heftige Schmerzen zu verhindern. Wir haben einen Triage-Bogen entwickelt, um die schweren Fälle herauszufischen. Diese Frauen wissen dann in der Regel schon, dass sie Zysten haben oder der Darm oder die Harnleiter befallen sind: Das sind gefährliche Formen, bei denen es nicht akzeptabel ist, zehn Monate auf einen Termin zu warten. Bei den anderen ist keine Gefahr in Verzug.
Welche Rolle spielen Hormone?
Weil das Gewebe der Endometriose-Herde dem der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, unterliegt es ebenfalls dem Einfluss des Östrogenspiegels. So zuverlässig, wie die Schleimhaut der Gebärmutter auf die Hormone reagiert – sich auf und abbaut –, reagieren leider auch die Endometriose-Herde. Das große Problem: Die Endometriose-Herde werden mit der Monatsblutung leider nicht wie die Gebärmutterschleimhaut einfach hinweggeschwemmt. Im Gegenteil: Sie bleiben, sie formieren sich, sie bilden Gewebe und sie führen zu Entzündungen, Verwachsungen und Vernarbungen.
Welche Therapieoptionen gibt es mittlerweile?
Mittels Ultraschalldiagnostik kann man feststellen, wie weit eine Endometriose fortgeschritten ist. Erkennen wir sie früh, leiten wir zuerst eine hormonelle Therapie mit einer gestagenbetonten Pille oder eine Gestagenmonotherapie ein, um den Zyklus auszuschalten, sodass keine Blutung mehr auftritt. Wenn diese also zur Ruhe kommen, sind die Beschwerden erst mal gut behandelt, auch bei fortgeschrittenen Befunden. Und sehr viele Frauen sind dann erst mal komplett schmerzfrei. Bestehen die Schmerzen aber weiterhin, müssen operative Therapien überlegt werden.
In der Regel ist das Gewebe aber gutartig?
Ja, grundsätzlich ist Endometriose eine gutartige Krankheit. Sie ist chronisch, jedoch keine Vorstufe zur Krebserkrankung. Es ist aber so, dass dieses Gewebe nichts an den Eierstöcken, an der Blase oder im Darm zu suchen hat.
Hat die Endometriose Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit?
Das wird unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert. Fest steht, dass 25 bis 50 Prozent aller Frauen mit einem Kinderwunsch, die unter Unfruchtbarkeit leiden, von Endometriose betroffen sind und erhebliche Regelschmerzen haben. Anders herum ist bei 30 bis 50 Prozent aller Endometriose-Patientinnen eine eingeschränkte Empfängnisfähigkeit nachweisbar.
Eine Frau mit Endometriose kann also noch ein Kind bekommen?
Ja. Sehr viele Frauen mit Endometriose bekommen Kinder. Nach einer Schwangerschaft als natürlicher Hormontherapie und Stillzeiten gibt es sogar vorübergehende Besserungen. Aber es ist natürlich schon so, dass die Sache erschwert wird, wenn nach dem 35sten Lebensjahr erst durch den unerfüllten Kinderwunsch auffällt, dass eine schwere Endometriose vorliegt. Frauen in diesem Alter haben natürlich nicht mehr so gute Karten, weil die Eizellqualität abnimmt. Das will niemand so gerne hören.
Auch Endometriosezysten können da ein Problem sein?
Vor allem dann, wenn sie im Alter von Anfang, Mitte zwanzig auftreten und in der Regel sofort operiert werden. Wenn wir bei diesen Frauen die Eizellreserve messen – das machen wir standardmäßig – müssen wir meist feststellen, dass sehr viele durch die OP nur noch eine reduzierte Eizellenreserve haben. Dann müssen wir z.B. eine 24-Jährige mit dem Thema Kinderwunsch konfrontieren, obwohl sie dafür noch gar nicht bereit ist. Dann gibt es oft nur noch die Möglichkeit, Eizellen einzufrieren – was aber leider nicht von den Kassen bezahlt wird.
Wann ist eine Operation wirklich nötig?
Wie schon gesagt, stehen uns zwei Behandlungs-Möglichkeiten zur Verfügung: Operationen und Hormontherapien. Operationen bitte nur, wenn sie medizinisch tatsächlich sinnvoll sind.
Sie empfehlen Ihren Patientinnen in der Regel eine Kombination mehrerer Therapieansätze.
Ja, die komplementären und bewegungsorientierten Therapieansätze sind ganz wichtig. Man kann sich das gut vorstellen, wenn man beispielsweise mal Rückenschmerzen hatte. Schnell entwickelt man eine Schon- oder Fehlhaltung. Bei Frauen mit Endometriose ist das der gesamte Beckenbodenbereich. Dann kommt es zu Verspannungen und Fehlhaltungen in den Gelenken des Beckens. Deshalb sind entlastende Therapien wie Osteopathie, Physiotherapie oder Yoga ganz wichtig.
Darf man Schmerzmittel nehmen?
Endometrioseschmerzen sind Schmerzen, die auf der visuellen Analogskala mit sieben bis neun angegeben werden. Das ist mit Wehenschmerzen vergleichbar. Selbstverständlich will ich nicht zum Schmerzmittelmissbrauch aufrufen. Aber jahrelange unzureichend behandele Schmerzen führen dazu, dass sie chronisch werden. Solange es um zyklische Schmerzen geht, die maximal drei Tage lang mit Schmerzmitteln behandelt werden und die sich mit Ibuprofen oder Naproxen gut beherrschen lassen, halte ich die Einnahme für risikoarm. Benötigt man allerdings mehr als zehn Tage im Monat Schmerzmittel, sollte man zu einem Spezialisten gehen.
Was können Frauen zusätzlich tun?
Auch hier können Frauen begleitend viel für sich selbst tun, indem sie eher pflanzenbasiert essen und viele frische und möglichst unverarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen. So können sie entzündungsfördernde Substanzen wie Histamine und Prostaglandine vermeiden. Außerdem empfiehlt sich der Verzicht auf Gluten und schnelle Zucker. Wichtig ist auch Bewegung. Vielen Frauen hilft auch Akupunktur, Homöopathie oder eine gute Entspannungstechnik.
Können Frauen, die sich so komplementär selbst behandeln, auf konservative Therapie verzichten?
Wenn mir eine Patientin sagt, sie möchte es ohne Hormone probieren, und ihre Organe sind in Ordnung, habe ich nichts dagegen. Aber das bedeutet eine sehr disziplinierte Arbeit an sich selbst. Wenn die Schmerzen darunter besser werden damit, ist das okay. Aber viele machen dies und kommen trotzdem nicht ganz zurecht. Dann sollte auch zusätzlich medizinisch behandelt werden.
Wann ist eine Totaloperation der letzte Ausweg?
Eine Gebärmutterentfernung ist ein sehr radikaler Schritt. Natürlich sinkt das Rezidivrisiko erheblich, wenn sie entfernt wird, jedoch nicht gegen null, weil ja die Eierstöcke bleiben. Auch sind die Frauen selbst nach einer Gebärmutterentfernung nicht zuverlässig schmerzfrei! Für Patientinnen, die noch Kinder bekommen wollen, ist das keine Möglichkeit. Erst ab einem Alter von 45 Jahren kann man , wenn es die Situation erforderlich macht, über eine Eierstockentfernung nachdenken – unter Abwägung aller Vor- und Nachteile. Und nur dann, wenn die Situation sich trotz aller anderen Therapieansätze nicht verbessert.
INTERVIEW: YVONNE WALBRUN