von Redaktion

VON NICOLA FÖRG

Herbstzeit: Die Blätter fallen, die Ästchen werden dürr. Auch wer – wie beispielsweise in Nordamerika – lange auf solche Ästchen schaut, sieht eben nur Äste. Dabei hockt dort die Gespenstschrecke! Gespenstschrecken schaffen es wie Äste, Zweige oder Blätter auszusehen. Die „Wandelnden Blätter“ sind eine Unterart und wirklich faszinierend. Sie sind sehr variabel in Färbung und Körperform. Sie passen sich der Umgebung nicht nur in Form und Farbe an, sie wiegen sich auch hin und her, als würden sie vom Wind bewegt. Der Blattschmetterling aus Indien sieht aus wie ein abgestorbenes Blatt – und so was fressen die wenigsten Tiere.

Die Wolfsspinne in unseren Breiten ist kaum von der Baumrinde zu unterscheiden! Mit der hell-dunklen Musterung verbindet sie sich mit dem Untergrund. Auch Eulen bedienen sich dieser perfekten Tarnung. In der Natur geht es immer ums Fressen und Gefressenwerden. Die einen tarnen sich, um keine Beute zu werden, also um ihre Feinde zu täuschen. Die anderen tarnen sich, um nicht gesehen zu werden, wenn sie auf Beute warten. Es gibt eine Reihe von tierischen Tricks, die man in zwei Gruppen einteilen kann: Mimikry und Mimese.

Bei der Mimikry ahmen Tiere das Aussehen oder auch den Geruch oder die Geräusche von anderen Tieren nach, sie imitieren einen Räuber, um selber zu überleben. Bei der Mimese ahmen Tiere hingegen das Aussehen ihres Lebensraums nach. Sie verschmelzen also mit dem Hintergrund wie die Gespenstschrecke oder der Gecko und werden quasi unsichtbar. Mimikry und Mimese sind Ergebnisse der Evolution, damit sich Tiere bestmöglich an den Lebensraum anpassen können. Nur wer überlebt, kann sich fortpflanzen. Nur wer länger überlebt, kann den Nachwuchs großziehen. Und die Anpassung muss stetig verbessert werden. Doch nicht nur die Gejagten unterliegen der Veränderung, auch die Jäger werden besser. Tarnung verschafft aber immer einen Zeitvorteil.

Die Angepassten

Bei denjenigen Kreaturen, die auf Mimese setzen, denkt man natürlich sofort an das Chamäleon. Es kann in Sekundenschnelle die Farbe der Haut ändern, um sich der Umgebung anzupassen. Tintenfische können auch ganz blitzartig und raffiniert ihre Farbe wechseln. In ihrer Haut gibt es winzige Beutel, die mit verschiedenfarbigen Pigmenten gefüllt sind. Die Beutel sind mit Muskelfasern verbunden, und wenn die Muskeln entspannen, dehnen sich die Beutel, und die Haut färbt sich an dieser Stelle. Zieht der Tintenfisch seine Muskeln zusammen, verkleinern sich die Beutel, und die Färbung verschwindet.

Bei der Mimese gibt es drei Varianten: Bei der Allomimese geht es um Pflanzen. Die sehen dann wie Unbelebtes aus. So machen es zum Beispiel die „lebenden Steine“, eine Pflanzengattung aus Afrika. Weil sie wie Gestein aussehen, werden sie von Pflanzenfressern nicht verspeist. Phytomimese nennt man es, wenn Tiere wie Pflanzen aussehen – ein cooler Trick, den viele Heuschreckenarten wie die oben erwähnten Gespenstschrecken beherrschen. Auch ein Fetzenfisch hebt sich kaum von seiner Umgebung ab. Seine Flossen sehen aus wie Algen, die am Meeresboden liegen und sind damit in dieser Umgebung nur schwer zu erkennen.

Schließlich gibt es noch die Zoomimese, bei der Tiere die Gestalt von anderen Tieren annehmen, um zum Beispiel unerkannt unter ihnen leben zu können. Es gibt einige Insektenarten, die in Ameisennestern leben, die Ameisengrille zum Beispiel, sie nimmt die Form von Ameisen an, aber auch deren Geruch! Aber auch Säugetiere nutzen Mimese. Rotluchse tarnen sich in hohem Gras, Löwen in der Savanne. Das weiße Fell des Polarfuchses verschmilzt mit seiner schneebedeckten Umgebung. Zebras sind zwar gegen das Grün zu sehen, aber sie profitieren von der Gruppe. Ihre schwarz-weißen Muster verschmelzen ineinander, werden unscharf. Der Räuber kann kein Einzeltier genau fixieren und angreifen.

Das wahrscheinlich ungewöhnlichste Beispiel für Mimese ist ein Tier, das erst 1983 in China in der bergigen Provinz Xinjiang entdeckt wurde: Forschern schaute da plötzlich aus einer Felsspalte ein kleiner grauer Kopf entgegen. Ein Tier wie ein Teddy. Ein sogenannter Pfeifhase, der der Wissenschaft bis dahin unbekannt war. Wie alle Pfeifhasenarten lebt das Tierchen in großen Höhen, bis auf 4000 Meter hinauf. Es kam über den Zeitraum von rund zehn Jahren zu einigen Sichtungen. Doch dann spielte der Hase abermals Verstecken. Es dauerte gut 20 Jahre, bis man das Tier wiederfand und zwar im Sommer 2014!

Es geht um den Ili-Pfeifhasen, der im Nordwesten Chinas seinen Lebensraum hat. Das Tier wird als stark gefährdet eingestuft, den Bestand kennt keiner, aber wie alle Tiere in großen Höhen hat der Hase mit dem Klimawandel zu kämpfen und Lebensraumverlusten. Jetzt hat er sich so lange in den Felsen getarnt und nun droht er, an immer mehr Weidevieh, Luftverschmutzung und Wärme zu scheitern!

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