Neue Waffen gegen Krebs

von Redaktion

Zwölf Experten der zwei Münchner Unikliniken erklären Fortschritte und Heilmethoden

VON SUSANNE SASSE

München – Wissenschaftler gehen im Kampf gegen Krebs neue Wege. Ein wesentliche Strategie besteht heute darin, jeden Patienten mit einer ganz individuellen Krebstherapie zu behandeln. Denn jeder Tumor ist anders – und hat andere Angriffspunkte, an denen er besiegt werden kann. Um ihn nachhaltig zu bekämpfen, werden die Therapiemethoden neu kombiniert. Auch bei den Therapien gibt es neue Medikamente, zum Beispiel die Immuntherapie, bei der der erkrankte Körper darauf programmiert wird, den Feind selbst mit der eigenen Immunabwehr zu vernichten. Die Forschung hat in den vergangenen Jahrzehnten unglaubliche Fortschritte gemacht. Wir erklären die neuen Waffen gegen Krebs:

Gebündeltes Wissen

In der Forschung und der Entwicklung neuer Medikamente tut sich viel – doch nicht alle Medikamente sind bereits zugelassen. An den großen Forschungszentren wie an den beiden Münchner Universitätskliniken laufen Studien mit neuartigen und bahnbrechenden Medikamenten, die auch für an fortgeschrittenem Krebs Erkrankte Perspektiven bieten.

Was Patienten wissen müssen: Die Behandlung von Krebs, etwa die komplizierte Operation eines Speiseröhrentumors, verläuft umso besser, je mehr Erfahrung der Operateur beziehungsweise die Klinik hat. In Tumorzentren der Universitätskliniken gibt es hochspezialisierte Fachleute, zudem finden sich alle Fachrichtungen in einem Haus (Interdisziplinarität). Wenn also etwa bei einer Antikörpertherapie Probleme an der Haut auftreten, kann sich diese gleich ein Dermatologe aus dem Haus ansehen. „Es ist in Deutschland ein großes Problem, dass die Onkologie nicht – wie in allen anderen europäischen Ländern – eine Zentrumsmedizin ist, denn eine Krebserkrankung ist immer so komplex, dass Spezialisten mit viel Erfahrung und wissenschaftlicher Expertise draufschauen müssen – und diese sollten dann entscheiden, ob die Behandlung selbst dezentral, also nicht in der Uniklinik, vorgenommen werden kann, oder ob der Betroffene direkt in einem Zentrum therapiert werden sollte“, betont Professor Claus Belka, Direktor der Radio-Onkologie der LMU-Klinik. Auch die Überlebenszahlen illustrieren deutlich, um wie viel besser Patienten vor allem bei seltenen oder komplizierten Krebsarten wie etwa einem Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreas) in Zentren aufgehoben sind: So starben im Jahr 2019 in allen Krankenhäusern 12,1 Prozent der Patienten nach einer Pankreas-OP, in den Unikliniken waren es nur 6,4 Prozent. „Die Sterblichkeit ist also um die Hälfte niedriger“, betont Professorin Julia Mayerle, Gastroenterologin der LMU.

In München haben die beiden Universitätskliniken der Technischen Universität (TUM) und der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) sich zum Comprehensive Cancer Center München (CCCM) zusammengeschlossen, das von Professor Hana Algül, Leiter des Tumortherapiezentrums am Klinikum rechts der Isar, und von Professor Volker Heinemann, Leiter der onkologischen Tagesklinik der LMU-Klinik, geleitet wird. Die engmaschige Verknüpfung der Spezialisten aus verschiedenen Fachrichtungen ermöglicht eine bestmögliche Behandlungskontrolle und auch Nachsorge, betonen beide. In Tumorboards, die an beiden Kliniken für verschiedene Krebserkrankungen stattfinden, wird jeder neue Tumorpatient diskutiert – alle Fachrichtungen setzen sich dabei an einen Tisch und legen die bestmögliche Therapiestrategie für jeden Einzelfall fest. Ein einzelner Arzt kann niemals so viele Aspekte eines Falles berücksichtigen wie ein Zusammenschluss hochspezialisierter Fachleute.

Molekulare Diagnostik

Die molekulare Diagnostik bietet die Möglichkeit, sogar die DNA (Erbinformation) der einzelnen Tumore zu analysieren. Allerdings sind die gewonnenen Daten so komplex, dass sie nur von Experten in den Molekularen Tumorboards der Unikliniken ausgewertet und gedeutet werden sollten. Dank der Molekularen Tumorboards ist es möglich, individuell gezielte und wirksame Therapien zu planen, ganz im Sinne der personalisierten Krebsmedizin (Präzisionsonkologie). Das ist ein bedeutender Fortschritt in der Behandlung – künftig wird es immer mehr darum gehen, für jeden Einzelfall die passende Strategie zu entwickeln, sagt Professor Sven Mahner, Direktor der LMU-Frauenklinik.

Genetische Analyse

Bei erblicher Krebsbelastung in Familien kann die genetische Analyse sogar bewirken, dass ganze Familien gerettet werden – wenn nämlich die genetische Belastung frühzeitig entdeckt wird und so schon gegengesteuert werden kann, bevor sich der Krebs entwickelt. Dies kann beispielsweise beim Krebs in der Bauchspeicheldrüse 5 bis 15 Prozent der Betroffenen retten.

Immuntherapie

Der wichtigste Unterschied zu den herkömmlichen Therapien ist, dass die Immuntherapie in einzelnen Fällen tatsächlich heilen, also den Krebs vollständig vernichten kann. Vor allem aber kann sie die Prognosen der Patienten häufig deutlich verbessern. Allerdings können Immuntherapien bislang schwere Nebenwirkungen haben. Zudem funktionieren sie nur bei einem Teil der Erkrankten, häufig sind das Patienten, bei denen der Krebs erblich bedingt ist.

Neue Wege im OP

Die Chirurgie bietet viele Verfahren, die heute auch oft in Kombination angewendet werden, erklärt Professor Jürgen Gschwend, Uroonkologe an der TUM. Zum einen gibt es die klassische offene OP, weiterhin minimalinvasive Techniken, zudem robotergestützte Chirurgie. Heutzutage nutzen die Chirurgen auch Bildgebung, wie PET-CT oder PET-MRT, und operieren nicht mehr quasi blind. Ziel einer OP ist es, den Tumor und befallene Lymphknoten vollständig zu entfernen – unter Erhalt der Funktionalität des jeweiligen Organs.

Erhalt des Organs

Bei der Krebsbehandlung steht heute viel mehr als früher der Erhalt der Funktion des befallenen Organs im Fokus. Hier arbeiten in den Krebszentren die Spezialisten verschiedenster Fachrichtungen zusammen und entwickeln ein Konzept.

Chemotherapie

Medikamente, die bei einer Chemotherapie das Tumorwachstum hemmen, werden heute immer zielgerichteter und weniger schädigend eingesetzt – auch ermöglichen immer neue Wirkstoff- und Therapiekombinationen passgenauere Behandlungen, erklärt Dr. Johannes Ettl, Spezialist für konservative Tumortherrapie an der TUM-Frauenklinik. Chemotherapie dient dazu, Krebs zurückzudrängen oder das Fortschreiten der Krankheit zu verlangsamen. Bei einzelnen Krebsarten, etwa dem Hodenkrebs ist man so weit, Patienten dauerhaft zu heilen, sagt Dr. Robert Tauber, Oberarzt an der Urologie der TUM.

PARP-Inhibitoren

PARP-Inhibitoren sind Stoffe, die verhindern, dass sich Krebszellen nach einer Chemotherapie wieder selbst reparieren. Diese neuartigen Hemmstoffe stabilisieren also den Chemo-Erfolg, sagt Dr. Friederike Hagemann, Brustkrebsexpertin der LMU Frauenklinik.

Strahlentherapie

Die Strahlentherapie wird heute so punktgenau und mit individueller Strahlendosis eingesetzt, dass Spätfolgen und akute Nebenwirkungen wie Hautrötungen vermieden werden (Früher gab es teils schwere Verbrennungen etc.). Neu ist auch, dass auch dann bestrahlt werden kann, wenn der Tumor einige wenige Metastasen gebildet hat, das nennt man Oligometastasierung. „Diese kann man heute mit einer stereotaktischen Strahlentherapie komplett abtöten“, erklärt TUM-Strahlentherapiespezialistin Professor Stephanie Combs. Die beiden Münchner Universitätskliniken halten eine Vielzahl von technischen Exzellenzlösungen wie MRT LINAC, Gamma Knife, Tomotherapie, Surface Scanning, ExacTracDynamic und Ultraschall Guidance vor, sagt Professor Claus Belka, Direktor der Radio-Onkologie der LMU-Klinik und betont: „Wichtig ist es, dass die Funktionsweise der Geräte wissenschaftlich überprüft wird, und sie durch Teams von Medizinphysikexperten abgesichert angewendet werden – das erlaubt es, Risiken zu minimieren und mit maximaler Wirkung zu behandeln.“

Angiogenesehemmer

Angiogenesehemmer sind Medikamente, die spezifisch im Tumorgewebe wirken und dort die Neubildung von Blutgefäßen unterdrücken. So hemmen sie das Wachstum des Tumors oder lassen ihn sogar schrumpfen.

Anti-Hormontherapie

Etwa 70 bis 80 Prozent der Frauen mit Brustkrebs haben einen Tumor, der durch Hormone wie Östrogen angeregt wird. Durch Substanzen wird die Wirkung dieser Hormone unterdrückt. Auch bei anderen Krebsarten kann mit der Anti-Hormontherapie gearbeitet werden – etwa, indem bei Prostatakrebs die Bildung oder Aufnahme von Testosteron blockiert wird.

Antikörpertherapie

Aus menschlichem Eiweiß hergestellte Antikörper heften sich gezielt an die Oberfläche von Tumoren und greifen dort die Krebszellen an. Bei einigen Krebsarten wie dem Brustkrebs konnten so die Überlebensraten der Betroffenen gesteigert werden.

Nuklearmedizin

Nuklearmedizinische Therapien helfen, Tumoren sichtbar zu machen, erklärt PD Dr. Jozefina Casuscelli; Leiterin Uro-Onkologie LMU. Mit radioaktiven Farbstoffen werden Tumorzellen eingefärbt, um sie bei der OP zu identifizieren.

Verfeinerte Nachsorge

Auch bei der Nachsorge hat sich viel getan – so können Ärzte bei gewissen Warnsignalen die biologische Aktivität im ganzen Körper darstellen (PET CT). Ein weiterer Weg ist es, neben Tumormarkern auch Untersuchungen auf zirkulierende Tumorzellen oder Tumor-DNA einzusetzen. Steigen diese an, sucht man im Körper nach neuaufgetretenen Befunden.

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