München – Druckknöpfe verschließen, einen Reißverschluss zuziehen und ein dünneres Rohr in ein dickeres stecken, um so einen Reifen zu bekommen – das kann auch kein gesundes Kind auf Anhieb. Aber Hannah muss noch ein wenig mehr üben – die Fünfjährige hat seit Geburt eine bilaterale Zerebralparese. Das heißt, dass bei ihr die beiden Körperseiten nicht so einfach zusammenarbeiten wie bei einem gesunden Kind, erklärt Physiotherapeutin Martina Harmening, die im Kinderzentrum des Bezirks Oberbayern die Leitung Therapien innehat. Wegen ihrer Vorbelastung kann Hannah Tätigkeiten, die eine erhebliche Feinkoordination benötigen, wie einen Knopf zu schließen, nicht so schnell lernen. Ein wenig zusätzliche Motivation allerdings bewirkt Wunder – besonders wenn sie so charmant auf vier Pfoten daherkommt wie Red, ein sechsjähriger rotbrauner Mischlingsrüde, der zum Therapiehund ausgebildet ist.
Wie ein Zirkusdirektor einen Reifen halten, damit Red durchspringt – dieses Erfolgserlebnis muss sich Hannah erst verdienen, indem sie sich anstrengt und mit beiden Händen arbeitet. Anders sind die Einzelteile, aus denen der Reifen zusammengesetzt wird, nicht zusammenzubekommen. Aber mit ein wenig Unterstützung durch die Therapeutin klappt es ganz schnell. Und die Anstrengung bemerkt Hannah kaum, denn dazu ist sie viel zu begeistert von den drei Therapiehunden, die brav auf ihren Einsatz warten.
„Die Motivation und die Konzentration steigern sich im Beisein der Hunde enorm“, freut sich Physiotherapeutin Martina Harmening. Seit April kann sie gezielt Hunde als Co-Therapeuten einsetzen, dank einer Spende der Stiftung „Hunde helfen heilen“.
„Der Kontakt zu einem Hund ist für viele eine wundervolle Erfahrung. Ein Therapeut auf vier Pfoten spendet den Kindern Trost, bringt Freude und Nähe, schafft Abwechslung im Alltag und begleitet die Kinder auf ihrem oft schwierigen Weg“, sagt der Stifter und Vorstand Helmut Lindner: „In vielen Fällen kann ein speziell ausgebildeter Therapiehund die Tür zur Seele öffnen.“
Einem Hund ein Leckerli in einem Täschchen zu verstecken bereitet Hannah so viel Spaß, dass sie die Anstrengung, beide Hände zu koordinieren, gar nicht bemerkt, Dann darf sie dem Hund die Belohnungen füttern. Aus der flachen Hand? Das traut sie sich nicht – und so nimmt sie einen Suppenschöpfer zu Hilfe. Und übt so gleich noch unbewusst das Balancieren der improvisierten Futterschaufel.
„Es funktioniert toll mit den Hunden, die Kinder werden ganz respektvoll und bauen mit einem anderen Lebewesen eine Beziehung auf und wir erreichen mit der Therapie so nebenbei ein ganz anderes Spektrum“, sagt Martina Harmening. Seit April konnte sie 80 Familien im Rahmen von deren stationären Aufenthalten die tiergestützte Therapie ermöglichen, freut sie sich. „Leider wird die Therapie mit Kunden aber nicht von den Krankenkassen gezahlt“ – so kann das KBO die Hundetherapie nur dank der Spende der gemeinnützigen Stiftung „Hunde helfen heilen“ anbieten.
„Wir sind sehr froh darüber, denn die Therapiehunde verbessern die Therapieerfolge“, sagt Physiotherapeutin Martina Harmening. Es gibt bereits einige Studien, die sich mit tiergestützten Therapien bei Kindern beschäftigen – und laut diesen verbessert ein Therapiehund bei Autisten die Zugänglichkeit, Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) hilft er, sich besser zu konzentrieren. Kinder, die schwere Erlebnisse und Traumata verarbeiten müssen, lernen mit den Hunden, Vertrauen aufzubauen, und verbessern die Beziehungsfähigkeit. Auch bei Kindern mit Trisomie 21 (Down Syndrom) haben Hunde positive Wirkung auf den Therapieerfolg. Um die Therapie zu einer Kassenleistung werden zu lassen, dazu aber reicht die Studienlage derzeit noch nicht aus.
Aber unabhängig von aller Wissenschaft zeigt sich auch bei Hannah, dass die Hunde die Therapie unheimlich erleichtern. Sie bringen Abwechslung und wirken als Eisbrecher. Das merkt man: Hannah lässt sich auch durch die Reporterin und den Fotografen nicht ablenken. Und freut sich, dass auch die Hunde sichtlich Spaß an der Stunde haben. Rüde Red macht sich super – er ist neu, die anderen beiden Therapiehunde Hope und Angel von „Petzis Hundetraining“ kommen schon seit gut einem halben Jahr einmal pro Woche zu den Kindern der Eltern-Kind-Station, die dort behandelt werden wegen Bewegungs-, Entwicklungs-, Verhaltens- und Sprachstörungen oder Autismus-Spektrum-Störungen.
Die halbe Stunde, die Hannah heute mit den drei Hunden arbeiten darf, verfliegt wie im Flug – und als Hannah mit ihrer Mama das Zimmer wieder verlässt, strahlt sie. So gut das geht, denn wegen ihrer Einschränkung kann Hannah nicht so lächeln wie andere Kinder. Aber dass sie sich freut, wie gut heute wieder alles geklappt hat, das spüren alle – zuallererst die Hunde, die die Emotionen der Menschen ja nicht aus dem Gesicht alleine ablesen. Da sehen die vierbeinigen Therapeuten manchmal vielleicht sogar mehr – und unterstützen und ergänzen so die Physiotherapeuten.