München – Nach Weihnachten stürmen traditionell Zehntausende bayerische Brettl-Fans die Skipisten vor allem im Voralpenland, in Österreich und Südtirol. Die Folge: Sonderschichten in vielen Krankenhaus-Notaufnahmen und orthopädischen Spezialkliniken. „Wir behandeln jetzt schon zunehmend Verletzungen von Freizeit-Skifahrern aus München und der Region. Besonders häufig ist das Knie betroffen. Neben Kreuzbandrissen nehmen Brüche des Schienbeinkopfs dramatisch zu“, warnt Dr. Manuel Köhne vom Spezialistenzentrum Orthopädische Chirurgie München (OCM).
Carvingskier verleiten zu überhöhtem Tempo
Als leitender Mannschaftsarzt der deutschen alpinen Ski-Asse operiert er Weltcup-Stars aus Deutschland, darunter Kitzbühel-Sieger Thomas Dreßen, und auch Athleten aus Österreich. Aber auch hunderte Freizeit-Skifahrer landen jedes Jahr auf seinem Operationstisch in der Sollner Sana-Klinik. Die Entwicklungen in der Unfallstatistik erlebt Köhne also praktisch hautnah mit. „Auffällig ist, dass die Hälfte aller Skiverletzungen bei Frauen aktuell das Knie betreffen. Und davon sind dann etwa ein Drittel wiederum Kreuzbandverletzungen. Dazu kommen noch Meniskus-, Seitenband – und Knorpelverletzungen und immer mehr Tibiakopffrakturen. Diese hängen direkt mit den Carvingskiern zusammen“, berichtet Köhne, ausgewiesener Kniespezialist, selbst leidenschaftlicher Skifahrer und Zillertal-Fan. „Mit den Carvern können Hobbyskifahrer recht einfach hohe Geschwindigkeiten fahren. Der Knochen außen am Schienbeinkopf ist weich. Bei bestimmten Drehungen und Bewegungen wird das Knie gestaucht, und der Schienbeinkopf bricht dann. Diese Verletzungen nehmen gerade vor allem im Freizeitsport dramatisch zu.“
Die Unfälle sind häufig auf ähnliche Fehler zurückzuführen. So wärmen sich nach wie vor die wenigsten auf, bevor sie die erste Abfahrt in Angriff nehmen. „Egal wie teuer und gut der Skianzug ist, die Muskulatur ist vor allem am Anfang des Skitages immer unterkühlt. Und eine kalte Muskulatur ist eben nicht parat. Nicht nur, dass der Muskel sich verletzen könnte, sondern er kann nicht arbeiten und die Gelenke und die Bänder nicht unterstützen“, erklärt Köhne.
Schon bei der Ausrüstung gehen viele Brettl-Fans ein unnötiges Risiko ein. „Bei Frauen ist die Bindung oft zu fest eingestellt. Dadurch erhöht sich die Gefahr von Knieverletzungen bei einem Sturz. Auch die Skischuhe müssen passen. Wer im Gelände unterwegs ist, sollte zwingend einen Rückenprotektor tragen. Und ein Skihelm ist sowieso absolute Pflicht, bevor man überhaupt den ersten Schwung macht.“
Jeder fünfte Unfall ist ein Zusammenstoß
Eine extreme Gefahr gehe von überhöhter Geschwindigkeit aus, mahnt Köhne. „Man hat noch nie so viele untrainierte und unerfahrene Skifahrer gesehen, die mit sehr hohem Tempo unterwegs sind. Die neuen Ski sind ganz sicher der Grund, warum die Kollisionsunfälle so steigen. 20 Prozent aller Unfälle haben mit einem Zusammenprall zu tun – mit einem anderen Skifahrer, irgendeinem Schild oder mit einem Baum neben der Piste. Das neue Material macht es einfach möglich, dass man sehr schnell lernt und sehr schnell unterwegs ist.“
Zudem überschätzen viele Skifahrer ihre konditionellen Fähigkeiten. „.Neben der ersten Fahrt morgens passiert tatsächlich am meisten zwischen 15 und 16 Uhr“, sagt Köhne. „Viele sind da schon sehr müde. Die Pisten sind überfüllt, weil jeder runter will und muss. Keiner kann mir sagen, dass er nach sechs oder sieben Stunden auf der Piste noch die gleiche Kraft hat wie am Morgen. Der Muskel ist dann schon müde. Dazu beginnt auch die Konzentration nachzulassen. Das ist leider der Klassiker. Ganz viele dieser Unfälle wären vermeidbar.“