Fit und gesund bis ins hohe Alter

von Redaktion

Die Geheimnisse der Geriatrie – Eine Spezialistin erklärt den Vorsorgeplan

VON SUSANNE SASSE

München – „Die Gene schaffen einen Möglichkeitsraum, den wir mit unserem Lebensstil füllen“, sagt die Ärztin Dr. Anja Pürschel. Die 44-Jährige leitet am Münchner Helios Klinikum in München-Pasing die Klinik für Geriatrie. Sie ist Internistin und hat sich auf Geriatrie, also die Altersmedizin, spezialisiert. „Das für mich wesentlich an der Geriatrie ist, dass sie den Menschen ganzheitlich und nicht nur einzelne Erkrankungen betrachtet“, sagt Dr. Pürschel. Und wie bleibt man nun fit bis ins hohe Alter? Dafür braucht es mehrere parallele Strategien, sagt Pürschel: „Außerdem sind wir alle verschieden – man kann zwar ein paar Grundlinien aufzeigen, aber jeder sollte sich selbst Zeit nehmen, um herauszufinden, wie er gesund und glücklich wird und bleibt.“ Denn genauso wie es meist nicht nur eine Ursache ist, die Senioren einschränkt, pflegebedürftig macht oder gar ans Bett fesselt, gibt es nicht ein einziges Heilmittel, das wie ein Jungbrunnen wirkt. Wir erklären, wie man sich Leistungsfähigkeit bis ins hohe Alter erarbeiten kann:

Selbstwahrnehmung schärfen

An sich ist das eine sehr positive und höchst menschliche Eigenart, dass man sich jünger fühlt, als man ist. So bleiben wir aktiv und das ist es ja auch genau, was einen mobil hält. Doch manchmal geht es darum, ehrlich zu sich selbst zu sein und die eigenen Fähigkeiten nicht zu überschätzen. „Unser Körper ist in der Lage, viele Probleme lange zu kompensieren, also auszugleichen, doch das ist oft ein sehr fragiles Gleichgewicht, das irgendwann aus dem Lot gerät. Ein Sturz zum Beispiel kann sehr viel verändern, und wenn es danach nicht mehr gelingt, den Betroffenen wieder zu mobilisieren, dann steht Pflegebedürftigkeit im Raum, weil plötzlich auch die anderen nebenstehenden Probleme, die vorher kompensiert werden konnten, offenbar werden“, erklärt Anja Pürschel.

Muskelabbau stoppen

Ab dem 30. Lebensjahr nimmt die Muskelmasse stetig ab – das verstärkt die Sturzgefahr. Das Problem: Im Alter wird der Muskelaufbau schwieriger, Muskeln werden durch Fett ersetzt. „Es ist aber ebenso eine Tatsache, dass man erfolgreich gegensteuern kann, wenn man sich regelmäßig bewegt“, sagt Anja Pürschel. „Die Grundregel ist, dass man täglich 10 000 Schritte machen sollte, bei älteren Menschen ab 65 oder 70 Jahren reichen auch 7000 Schritte, und 150 Minuten in der Woche sollte man Sport treiben.“ Ob man nun walken geht oder täglich mit dem Hund spazieren, regelmäßig ins Fitnessstudio oder zu Fuß zu einem weiter entfernten Zeitungskasten, das ist egal. „Wichtig ist: Die Regelmäßigkeit bringt den Erfolg, derjenige, der täglich mit dem Hund rausgeht, ist in der Regel fitter als derjenige, der sporadisch das Fitnessstudio besucht“, betont die Ärztin: „Wichtig ist tatsächlich das In-Bewegung-Bleiben. Das vor die Tür gehen und noch vor die Tür gehen können ist etwas, das man nicht verlernen sollte, trotz der Corona-Pandemie und der Angst vor Ansteckung.“

Kontakte pflegen und unter Menschen gehen

„Die Isolation schadet den Menschen. Man merkt das in der Pandemie“, sagt Pürschel. Es lohne sich auf jeden Fall, sich aufzuraffen und rauszugehen, Freunde zu treffen, in einer netten Runde spazieren zu gehen, Spaß zu haben oder sich gemeinsam mit anderen sozial zu engagieren: „Kontakte sind wichtig, das merkt man stark. Die Menschen, die Freunde haben und gut integriert sind, die sind meist auch deutlich agiler“, sagt Pürschel.

Maßvoll und vitaminreich essen

Auch wenn Sie alleine sind, seien Sie es sich wert und bekochen Sie sich selbst, rät Anja Pürschel. „Achten Sie auf eine gesunde Mischkost. Klar kann man sich auch mal ein Stück Torte gönnen, denn essen ist ja auch Genuss und zu genießen gehört zum Leben dazu, aber halten Sie Maß und essen Sie jeden Tag frisches Obst und Gemüse und meiden Sie Fertiggerichte“, rät Dr. Pürschel. Wer sich ungesund ernährt, riskiert viele Krankheiten wie etwa Diabetes und Übergewicht belastet den gesamten Organismus.

Täglich mindestens 1,5 Liter trinken

Leider trinken viele Senioren zu wenig, bedauert Anja Pürschel. „Vormittags trinken sie nichts, weil sie noch rauswollen und fürchten, dann auf die Toilette zu müssen, und abends trinken sie auch nichts, um nicht nachts rauszumüssen – so ein Verhalten sollte man sich nie angewöhnen, insofern ist es wichtig, sich schon früh zu einer Trinkroutine zu erziehen und täglich 1,5 Liter Wasser zu sich zu nehmen.“

Blutdruck und Puls unter Kontrolle halten

Ab dem 60. Lebensjahr gehören regelmäßige Checks dazu. Denn einen erhöhten Blutdruck spüren die Betroffenen nicht, er tut nicht weh, sagt Anja Pürschel. „Oftmals suchen die Betroffenen erst dann, wenn sie Nasenbluten oder Kopfschmerzen bekommen, nach der Ursache – eine frühzeitige Vorsorge ist sehr viel besser, um Langzeitschäden zu verhindern“, sagt Pürschel. Eine Kontrolle des Blutbilds, des Blutdrucks ist ratsam. „Wichtig ist allerdings, dass man den Blutdruck immer um die gleiche Zeit misst, dann kann man Ausreißer gut erkennen“, sagt Pürschel. Ebenso schadet es nicht, auf den Puls zu achten – ein Ruhepuls zwischen 60 und 80 und bis zu 90 ist in Ordnung. „Eine Pulsuhr kann Fluch und Segen sein, hier sollte man sich beobachten und wenn man seine Werte kennt, dann kann man auch Ausreißer gut erkennen und Alarmsignale wahrnehmen.“

Starke Erschöpfung ernst nehmen

Wenn man sich über längere Zeit sehr erschöpft fühlt, sollte man das ernst nehmen und einen Arzt aufsuchen. Es könnte eine ernsthafte Erkrankung dahinterstehen, die behandelt werden muss. Vor allem, wenn sich der Erschöpfungszustand nicht bessert, sollte man sich nicht zurückziehen, sondern gezielt gemeinsam mit einem Arzt nach den dahinterstehenden Ursachen suchen.

Hör- und Sehschwäche nicht ignorieren

„Tragen Sie Ihr Hörgerät“, rät Dr. Pürschel. Denn andere gut zu verstehen, ist ein wichtiger Punkt, um aktiv am Leben teilnehmen zu können. Wer Probleme bei der Verständigung mit anderen feststellt, sollte sich nicht scheuen, einen Hörtest zu machen. „Das Eingestehen von Defiziten ist unser größtes Problem“, sagt Pürschel. Da im Alter die Sehkraft nachlässt, sei es wichtig, auch eine Brille zu nutzen und sich dieser nicht zu schämen.

Nutzen Sie Hilfsmittel wie den Rollator

„Wir stellen immer wieder fest, dass viele Menschen mit einem Rollator viel besser gehen als etwa mit einem Gehstock, aber sich schämen und deshalb lieber den Rollator nicht nutzen wollen – womit sie sich keinen Gefallen tun“, sagt Pürschel. Ebenso sei Inkontinenz im Alter oft ein großes und sehr schambehaftetes Thema. Einlagen, gezielte Übungen und der Gang zum Arzt helfen den Betroffenen, damit sie sich im Alltag nicht einschränken müssen.

Gelenkbeschwerden begutachten lassen

Bei Schmerzen ist es unser erster Impuls, sich zu schonen. Aber bei Gelenkverschleiß ist es wichtig, die Muskulatur zu erhalten, sagt Pürschel. „Bleiben Sie aktiv und in Bewegung. Achten Sie darauf, dass Sie nicht zu schwere Taschen tragen und sich nicht überheben“, warnt Pürschel. Wichtig ist auch eine gerade Haltung. „Gehen Sie bewusst aufrecht, das beeinflusst auch Ihre Stimmung – und nur derjenige, der den Kopf gerade ausrichtet, kann sich auch gut gezielt nach vorne orientieren“, sagt Pürschel.

Achten Sie auf ausreichend Schlaf

Im Alter nimmt das Schlafbedürfnis ab – dennoch sollte jeder darauf achten, genug zu schlafen, sagt Pürschel. Wichtig sei es, den Tag-Nacht-Rhythmus gut zu pflegen. Wer nachts nicht gut schläft, leidet dann oft unter Tagesmüdigkeit. Wenn der Nachtschlaf gestört ist, sollten die Betroffenen vielleicht auf einen Mittagsschlaf verzichten und darauf achten, vor dem Schlafengehen nichts Schweres mehr zu essen. „Vielleicht power ich mich tagsüber ein bisschen mehr aus, das hat schon so manche Tablette ersetzt.“ Es gibt sogar Menschen, bei denen das Schlafbedürfnis im Alter sehr stark abnimmt, sodass sie dann mit nur vier bis sechs Stunden Nachtruhe gut aufkommen.

Bleiben Sie geistig aktiv und positiv

„Lesen Sie, oder lösen Sie Kreuzworträtsel, oder schreiben Sie zum Beispiel für Ihre Kinder Erinnerungen auf, das hält Sie geistig aktiv und wirkt sich positiv auf Ihre Stimmung aus“, rät Dr. Pürschel. Und nehmen Sie es gelassen, wenn Sie im Alter ein wenig vergesslich werden. „Versuchen Sie dennoch, sich Dinge zu merken, Sie können sie ja auch aufschreiben.“ Es lohnt sich, Dinge zu erinnern und das Gedächtnis zu trainieren, offen zu bleiben und die Bereitschaft zu erhalten, etwas dazuzulernen.

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