Neues radioaktives Medikament bestrahlt Tumorzellen von innen

von Redaktion

Prostatakrebs: Therapie erhält die Lebensfreude eines 61-jährigen Münchners

Karl-Heinz Meier (61), langes Haar und wilder Bart, ist ein kerniger Typ. Gut gelaunt ist der Münchner ins Universitätsklinikum rechts der Isar gekommen, scherzt mit seinen Ärzten. „Das hier ist mein Jungbrunnen“, sagt er und lacht. Es ist seine Art, mit dem Prostatakrebs umzugehen – einem Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Dank der Radioliganden-Therapie geht es ihm heute wieder viel besser. Die neuen Medikamente bekämpfen den Krebs mit radioaktiver Strahlung von innen, und das kaum mit Nebenwirkungen.

Anfang 2019 bekam Meier seine Krebsdiagnose. Heftige Schmerzen hatten ihn zum Arzt geführt. Er weiß, dass der Krebs damals zu spät entdeckt wurde, um ihn noch heilen zu können. „Die ganze Prostata war verkrebst, auch Lymphdrüsen und Knochen befallen“, erzählt er. Statt zu einer Operation rieten ihm die Urologen zu einer Chemotherapie. Meier verlor seine Haare – und viel von seiner Energie. Im Dezember erfuhr er dann noch, dass sein Magen von einem anderen Tumor befallen war und entfernt werden musste. „2019 war das härteste Jahr“, meint er heute. Er sagt aber auch: „Der Krebs hat mich nur gebremst, nicht gestoppt.“

Nach Chemotherapie, Magen-Operation und Reha ging es endlich bergauf. Meier gewann viel von seiner Energie zurück, fing vor rund einem Jahr sogar wieder an in seinem Beruf als Werkzeugmachermeister zu arbeiten. Inzwischen bekam er eine Hormonbehandlung – eine Tablette pro Tag. Sie sollte den Krebs in Schach halten. Doch dann stieg der sogenannte PSA-Wert wieder, die Konzentration des „prostataspezifischen Antigens“ (PSA) im Blut. Das ist ein Zeichen, dass die Therapie nicht mehr richtig wirkt. „Bei Herrn Meier hatte sich der Prostatakrebs trotz einer Hormon- und Chemotherapie weiter im Körper ausgebreitet“, sagt Prof. Margitta Retz, Leiterin des Bereichs Uro-Onkologie der Klinik und Poliklinik für Urologie am Klinikum rechts der Isar.

Doch die Nuklearmedizin hat eigene Waffen, um diesen Krebs zurückzudrängen. „Die Ärzte haben mich erst in der Röhre untersucht und mir dann eine Behandlung mit Lutetium empfohlen“, sagt Meier, eine Therapie mit einem Lutetium-PSMA-Radioliganden. Zuvor wurde er mit einer „PSMA-PET“ untersucht. Das ist eine spezielle Form der Positronenemissionstomografie (PET). Mit radioaktiven Markern wird überprüft, ob die Krebszellen in seinem Körper bestimmte Moleküle auf ihrer Oberfläche tragen: „Prostata-spezifisches Membran-Antigen“, kurz PSMA, nennt man diesen Molekültyp. „Bei dieser Untersuchung wird eine sehr kleine Menge an Radioaktivität gegeben“, erklärt Prof. Wolfgang Weber, Direktor der Nuklearmedizinischen Klinik am Universitätsklinikum rechts der Isar. „Mit der PET-Kamera verfolgt man dann, ob und wie sich die Radioaktivität im Prostatakrebs anreichert.“ Bei Patient Meier habe sich dabei gezeigt, dass seine Tumorzellen sehr viel PSMA produzieren, sagt Prof. Matthias Eiber, Leiter der Sektion für „Theranostik“, die zur Nuklearmedizinischen Klinik gehört.

Über Meiers Krankheitsverlauf und mögliche Therapien haben sich Spezialisten im gemeinsamen Tumorboard sowie in einer interdisziplinären Beratung von Urologie und Nuklearmedizin besprochen. Sie schlugen ihm eine Therapie mit dem Radiopharmakon Lutetium-PSMA vor. Das ist ein Medikament, das den Krebs mit radioaktiver Strahlung von innen bekämpfen soll. Patienten bekommen das Mittel als Infusion, damit es sich über die Blutbahn verteilt und so auch Metastasen erreicht. Trifft es auf Prostatakrebszellen, bindet es an die PSMA-Moleküle auf ihrer Oberfläche und wird dann in die Zellen eingeschleust. Die radioaktive Strahlung tötet die Krebszellen sehr gezielt ab. Denn die Strahlung reicht weniger als einen Millimeter weit.

Meier entschied sich für diese Therapie. Weil seine Tumorzellen sehr viel PSMA bilden, setzen seine Ärzte dabei auf eine relativ hohe Strahlendosis. Alle vier bis sechs Wochen kommt er seither ins Klinikum rechts der Isar zur Behandlung, jeweils für wenige Tage. Die Infusion mit dem radioaktiven Medikament bekommt er gleich am ersten Tag. Rund zehn Minuten dauert es, bis das Mittel über eine Kanüle im Arm in seinen Körper fließt. Davor und danach erhält Meier Spülungen mit Kochsalzlösung. Die Zeit nutzt Meier, um mobil am Laptop zu arbeiten. „Seit einem Jahr habe ich mich keinen Tag krankgemeldet“, sagt er. Er klingt stolz, das kann er auch sein. Denn Meier lässt sich nicht unterkriegen. Auch die Therapie verträgt er gut, Schmerzen hat er nicht mehr. Nach der Infusion muss er dennoch im Krankenhaus bleiben: 48 Stunden dauert es, bis Reste des radioaktiven Medikaments ausgeschieden sind. Erst danach kann er gefahrlos heim zu seiner Familie. „Mein Freiheitstag“, sagt er und lacht. „An dem Tag gönne ich mir immer was Besonderes.“

Meier will sein Leben auch weiterhin auskosten, in all seiner bunten Vielfalt und trotz Krebs keinen Moment davon verschwenden. Zeit mit Familie und Freunden verbringen gehört für ihn dazu, aber auch Boogie-Woogie tanzen, barfuß in den Bergen wandern, Handball spielen oder mit seinem alten Segelboot über den Chiemsee schippern. Doch ehe er sich an seinem Freiheitstag wieder ins volle Leben stürzt, geht der Münchner stets kurz in die kleine Klinikkirche. Dort packt er seine Mundharmonika aus und spielt „Blowin’ In The Wind“ – für all diejenigen, die vor ihm gehen mussten.

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