München – Obwohl die Corona-Neuinfektionen gestern den sechsten Tag in Folge in Deutschland anstiegen, ist gefühlt eine Art Entwarnung in Sachen Corona gegeben, Länder wie Österreich und die Schweiz haben inzwischen die Maßnahmen weitgehend abgeschafft. Doch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erhebt warnend seine Stimme und fordert eine neue Diskussion über Schutzmaßnahmen vor einer nächsten Welle. Auch die Münchner Virologin Prof. Ulrike Protzer rät weiterhin zu Vorsicht.
Entwarnung sei nicht angezeigt, vielmehr solle man sich weiterhin schützen, erklärte Protzer gestern im Presseclub München. Impfen, boostern, Vorsichtsmaßnahmen, all das sei nach wie vor wichtig. Inzwischen sei allerdings relativ klar, dass das viele Desinfizieren zwar gut gegen Bakterien helfe, weniger gut aber gegen das Coronavirus, das sich hauptsächlich durch die Luft überträgt.
Wie sieht die Zukunft aus, sind etwa Großveranstaltungen wie das Oktoberfest im Herbst wieder möglich? „Schauen wir mal“, unkte die Professorin an der Technischen Universität München (TUM), gab aber zu verstehen, dass sie es für möglich halte, mit „sinnvollen Konzepten“ wie etwa einer 2G-Regelung die Besucher zu schützen.
Älteren Menschen, die bereits vor Monaten geboostert wurden, rät die Münchner Virologin zu einer vierten Spritze, um so die individuelle Impfantwort, die der Körper geben kann, bestmöglich zu stärken. Insgesamt hätte sich Deutschland in der Corona-Pandemie sehr gut geschlagen, resümierte die Wissenschaftlerin, trotz der relativ alten Bevölkerung blieb die Sterbequote relativ niedrig.
Die Zahlen: In Deutschland hat die Pandemie fast 125 000 Menschenleben gefordert. Weltweit starben an Corona sechs Millionen Menschen. Die Impfung hat Covid-19 zwar etwas von seinem Schrecken genommen, aber dennoch: Knapp 30 Prozent der bayerischen Corona-Toten im Oktober vergangenen Jahres, als die Delta-Variante kursierte, waren doppelt geimpft. Diese Zahlen des bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit haben damals bei manchen Menschen Zweifel an der Wirksamkeit der Impfung hervorgerufen. Dann aber kam die Omikron-Variante, die etwas milder verläuft, aber weit ansteckender ist. Mit dieser Variante stecken sich laut den Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) auch immer wieder geimpfte und geboosterte Menschen an. Doch liegt das Risiko eines Geboosterten im Alter von 60 Jahren oder älter, mit Covid-19-Symptomen intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen, bei weniger als 0,2 Prozent. Im Vergleich dazu ist die Wahrscheinlichkeit für einen Ungeimpften fast acht Mal höher. Schon eine Grundimmunisierung reduziert das Risiko erheblich, und zwar um 55 Prozent im Vergleich zu Erkrankten ohne Impfung.
Hinzu kommt: Wer sich warum ansteckt und warum manchen verschont bleiben, ist bislang weitgehend unklar. „Unterschiedliche Verläufe lassen sich immer noch schwer vorhersagen“, sagte Prof. Ulrike Protzer gestern. Ihre Tochter, drei Mal geimpft, hatte sich angesteckt – sie dagegen nicht. Warum, das kann auch die renommierte Virologin nicht erklären. Da aber die Impfung den Körper dabei unterstütze, eine Infektion lokal und schnell zu bewältigen, senke sie auch das Ansteckungsrisiko – und helfe also weiterhin, die Pandemie einzudämmen. SUSANNE SASSE