Sophie Baur kennt in den Wäldern um Steingaden (Lk. Weilheim-Schongau) fast jeden Baum. Sie verbrachte Stunden dort, immer zwischen Hoffnung und Anspannung. Und Frustration. Wenn sich wieder keine Rehgeiß zeigte. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) schreibt ihre Doktorarbeit über das Verhalten von Rehgeißen. Ein anspruchsvolles Unterfangen: Denn nur wer das Verhalten der Rehgeiß kennt, kann den Mähtod von Kitzen im Frühjahr minimieren. Denn die Geiß entscheidet, wo sie ihr Kitz ablegt. Und wer viele Daten hat, weiß am Ende um die Gefährdungslage. Dadurch können Landwirte gezielt gewarnt werden, wo ein Kitz liegen könnte.
„Das Projekt ist sehr datenhungrig“, sagt Baur, deren Arbeit schon lange vor der Setzzeit begann. Eben mit Warten! Rehgeißen sollten im Bereich Steingaden, in Hagenau und in Öttingen besendert werden, aber dazu muss man sie erst einmal fangen. „Das passiert jetzt nicht wie in einem Indiana-Jones-Film mit einem sackartigen Netz, das das Tier nach oben reißt“, schmunzelt Baur. Es gibt zwei schonende Fang-Systeme: Eines ist eine Netzfalle, bei der ein spezielles und sehr weiches Netz in einem kreisförmigen Bereich am Boden liegt und über ein ausgeklügeltes System von Gewichten und Magneten per Funk ausgelöst und so die Falle aktiviert werden kann. Die andere ist eine hölzerne Kastenfalle. An eine solche müssen sich die Tiere erst einmal gewöhnen. Darin befindet sich natürlich etwas Leckeres (Kirrung) und die Tiere müssen „schon ein bisschen mutig sein“, um hineinzugehen. Diese Fallen zu beobachten, prägte den Alltag von Baur. Bis der Tag kommt, an dem die Falle zugeht. „Das Reh bekommt einen Sichtschutz, es wird dann in der Regel ruhig. Es erhält eine Ohrmarke und ein Telemetriehalsband mit dem Sender.“
Spannend bleibt es: Man kann der Geiß nicht ansehen, ob sie trächtig ist und nur dann ist sie für das Projekt auch interessant. 35 Geißen sind in den drei Studiengebieten mittlerweile besendert, und nun kann man die Wege der Geißen nachvollziehen. Und das ist interessant. „Es gibt überhaupt nicht das Einheitsreh, es sind sehr individuelle Tiere“, sagt Baur. „Es gab im letzten Jahr Geißen mit einem Streifgebiet von 20 Hektar, aber auch eine besonders reiselustige, die bis zu 300 Hektar durchstreifte.“
Das Erhellende ist natürlich, wie sich die Gebiete verändern vor der Geburt, mit kleinem Kitz und dann wieder mit mobilem Jungtier. „In der Setzzeit wird der Bewegungsradius der Geiß sehr klein.“ Aber wo legen Geißen die Kitze ab? Gibt es bevorzugte Liegeplätze der Jungtiere? Geißen legen die Kitze gerne in mittleres bis hohes Gras, wo der Fuchs sie nicht sehen kann. Sie bevorzugen Standorte, wo sie sich selber schnell verstecken können und dennoch Sicht auf das Kitz haben.
Das Besendern ist nur ein Baustein im Projekt. Um die vielen weiteren Daten zu sammeln, braucht es auch fleißige Datenmelder und natürlich Drohnen. Sie sind aus der Kitzrettung nicht mehr wegzudenken, denn noch immer werden tausende Rehkitze bei der Wiesenmahd getötet oder verstümmelt. Engagierte Landwirte, Jäger und Freiwillige wollen dem Mähtod von Kitzen und Wiesenbrütern ein Ende setzen. Drohnen mit Wärmebildtechnik kosten aber 5000 Euro aufwärts, weshalb das Bundeslandwirtschaftsministerium einen Fördertopf für die Anschaffung der Geräte eingerichtet hat. Eingetragene Vereine, die die Pflege und Förderung des Jagdwesens sowie des Tier-, Natur- und Landschaftsschutzes oder die Rettung von Wildtieren in ihrer Satzung verankert haben, als auch Kreisjagdvereine können 60 Prozent der Investitionskosten erstattet bekommen.
Baur ist unterdessen wieder in Steingaden unterwegs. Langsam wird es ernst. Sie beobachtet die besenderten Geißen und da ist eine, die mit dem Halsband immer noch in die inzwischen deaktivierte Kastenfalle läuft. „Die ist herzlich unerschrocken“, lacht Baur. Und hofft für die kühne Geiß, dass ihr Kitz es schaffen wird. Am Forschungsprojekt „Wildtierrettungsstrategien“ sind neben der LWF die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) und die TU München beteiligt. Je mehr wildbiologische Hintergründe bekannt sind, je mehr man weiß, wie Geißen und Kitze „ticken“, desto gezielter kann man Kitze finden oder Geißen vergrämen, damit sie sich einen anderen Platz suchen. Ziel ist: „Mehr Rehkitze sollen den Sommer erleben!“ >> Interessanter Link www.lwf.bayern.de/biodiversitaet/wildtiermonitoring_ jagd/245340