München – Darmprobleme sind einer der häufigsten Anlässe für einen Arztbesuch, stellt die Techniker-Krankenkasse in ihrer Statistik fest. Vor allem schmerzhafte und immer wiederkehrende Beschwerden können die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken, weiß Professor Prof. Franz Bader, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Minimalinvasive Chirurgie im Isarklinikum in München. Er und seine Experten erklären auf der heutigen Medizinseite fünf häufige Erkrankungen und Funktionsstörungen unseres lebenswichtigen Verdauungsorgans, die Ursachen und die Behandlungsmethoden. Die Erkrankungen im Einzelnen:
Entzündliche Darmausstülpungen
Heftige Bauchschmerzen im linken Unterbauch, Verdauungsbeschwerden, eventuell auch Fieber und ein starkes Krankheitsgefühl – das können die Anzeichen dafür sein, dass sich im Dickdarm eine Ausstülpung entzündet hat, erklärt Prof. Franz Bader. In der Fachsprache nennen Mediziner dieser Erkrankung Divertikulitis. Sie entsteht, wenn sich Ausstülpungen am Darm, sogenannte Divertikel, entzünden. Diese Divertikel sind weit verbreitet: 70 Prozent der über 70-Jährigen haben solche in der Darmschleimhaut des Dickdarms. Aber nur in einem Viertel der Fälle bereiten sie Probleme und entzünden sich. Aber selbst wenn sie sich entzünden, heißt das noch lange nicht, dass eine Operation notwendig ist. In den allermeisten Fällen lässt sich die Entzündung in den Griff bekommen – häufig auch ohne Antibiotika. Kommt es aber zu immer wiederkehrenden Entzündungen, einer daraus resultierenden Verengung (sogenannte Stenose) oder gar zu einer Perforation, muss der sogenannte Sigmadarm, ein Teilstück des Dickdarms, operativ entfernt werden, erklärt Privatdozent und Oberarzt Dr. Maximilian Sohn. Entfernt man den am häufigsten betroffenen Darmabschnitt – den sog. Sigmadarm – ist die Gefahr einer neuerlichen Entzündung nahezu vollständig gebannt.
Die Divertikel nehmen in der westlichen Welt deutlich zu. Inzwischen haben die Hälfte der über 60-Jährigen solche Ausstülpungen – viele aber ohne Probleme, da sie sich nicht entzünden, erklärt PD Dr. Maximilian Sohn: Während es in den 1980er-Jahren rund 115 Neuerkrankungen pro 100 000 Patientenjahre gab, waren es in den 2000er-Jahren bereits 188 pro 100 000. „Der Grund für diese deutliche Zunahme ist noch unbekannt“, sagt Dr. Sohn.
Um die Entstehung von Entzündungen zu verhindern, rät der Chirurg zu ausreichend Bewegung, gesunder Ernährung und der Vermeidung beziehungsweise der Reduktion von Übergewicht.
Chronisch entzündeter Dickdarm
Die Anzeichen einer chronischen Dickdarmentzündung, der sogenannten Colitis ulcerosa, sind ebenfalls Entzündungen und heftige Schmerzen mit massiven Durchfällen, Blutbeimengungen und Fieber. Diese chronisch entzündliche Darmkrankheit betrifft nur den Dickdarm. Die Colitis ulcerosa breitet sich immer von hinten vom After aus – schlimmstenfalls bis an das Ende des Dickdarms. Bei der Colitis ulcerosa ist die Barrierefunktion der Darmwand gestört und so können Darmbakterien und andere Entzündungsstoffe in die eigentlich sterile Darmwand eindringen und dort Entzündungen verursachen.
In der modernen Behandlung dieser Erkrankung werden oft Antikörper eingesetzt, die das Immunsystem unterdrücken und so dabei helfen, die Entzündung in den Griff zu bekommen – häufig kann dadurch auf Kortison verzichtet werden. Hilft das nicht, kann der Dickdarm operativ entfernt werden – an spezialisierten Zentren in minimalinvasiver Schlüssellochtechnik.
„Bleibt die Colitis ulcerosa unbehandelt, steigt das Risiko für Darmkrebs“, sagt Chefarzt Bader. Auch diese Darmkrankheit wird immer häufiger. Die Ursachen sind unbekannt, neben genetischen Faktoren gibt es verschiedene andere Gründe. „Statistiken zeigen, dass sie in Neapel weit seltener ist als in Norwegen, insofern liegt der Rückschluss nahe, dass ein gewisses Nord-Süd Gefälle herrscht. Insofern könne man daraus auch schließen, „dass unsere natürliche Bakterienflora im Darm – das sogenannte Mikrobiom – eine große Rolle für unsere Gesundheit spielt“ sagt Privatdozent Dr. Sohn.
Das Schreckgespenst Morbus Crohn
Heftige Bauchkrämpfe, Durchfall und Erbrechen – und das oft wochenlang: Patienten mit Morbus Crohn leiden meistaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa sehr. Die Erkrankung ist, anders als Colitis ulcerosa, nicht auf den Dickdarm beschränkt, sondern kann vom Mund bis zum After auftreten. Meistens entwickelt sie sich am Übergang vom Dickdarm zum Dünndarm. Aber dann breitet sich die Entzündung meist nicht linear entlang des Darms aus, sondern springt und überspringt dabei Bereiche. Insofern ist die Erkrankung schwer einzuschätzen. „Der Verlauf kann von Patient zu Patient ganz verschieden sein, der eine bekommt die Krankheit durch Schonkost in der Griff, bei dem anderen helfen auch Medikamente kaum“, erklärt Prof. Bader. Auch kann die Entzündung auf andere Bereiche übergreifen – auf die Augen über die Leber und die Haut bis zu entzündeten Gallenwegen können all diese Folgen möglich sein. Heute geht man bei der Therapie neue Wege. Während früher vor allem Kortison und andere das Immunsystem unterdrückende Medikamente zum Einsatz kamen, werden heute gezielt einzelne Entzündungsbotenstoffe angegriffen. Einer dieser Signalstoffe, die das Immunsystem aktivieren und so eine Entzündung hervorrufen, nennt sich Tumornekrosefaktor, kurz TNF. Wird dieser blockiert, hemmt das die Entzündung.
Manchmal aber ist bei Morbus Crohn eine Operation die erste Wahl. Da sich die Entzündung meist dort entwickelt, wo der Dünndarm in den Dickdarm übergeht, kann es sehr wirksam sein, dieses Stück des Darms zu entfernen. Geschieht dies rechtzeitig, bevor die Entzündung in andere Bereiche springen konnte, ist der Patient nach der OP geheilt. Dies gelingt bei 50 Prozent der Patienten.
Minimalinvasive OP fast immer möglich
Im Isarklinikum in München werden fast alle dieser Darmoperationen minimalinvasiv durchgeführt. Dies hat für die Patienten viele Vorteile – die Narbe ist sehr klein und nach zwei bis fünf Tagen können sie die Klinik scvhon wieder verlassen. „In Deutschland werden nur 46 Prozent der Darmoperationen minimal-invasiv durchgeführt, aber dieser Prozentsatz könnte viel höher sein“, sagt Isarklinikum-Chefchirurg Prof. Bader. In seiner Abteilung seien viele Spezialisten am Werk und dank deren Expertise können effektiv 98 Prozent solcher Eingriffe minimalinvasiv vorgenommen werden. „Ich rate allen Patienten, ein Zentrum mit interdisziplinär zusammenarbeitenden Spezialisten aufzusuchen, denn entzündliche Darmerkrankungen sind sehr komplex“, sagt Bader.
So gibt es im Isarklinikum München ein multidisziplinäres Team aus Gastroenterologen, Chirurgen, Radiologen, Ernährungsberatern und Psychologen, das die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bespricht und gemeinsam behandelt, ein sogenanntes CED-Board. Hier tauschen sich die Experten über die jeweiligen Patienten aus und können so optimal behandeln, da das Fachwissen mehrerer Disziplinen gemeinsam genutzt werden kann.
Funktionsstörungen sind weit verbreitet
Der menschliche Verdauungstrakt ist ein sieben Meter langes, höchst komplexes System. Ist die Funktion des Darms gestört, leiden die Menschen an ganz unterschiedlichen Symptomen. Häufig sind Verstopfung, manchmal auch gefolgt von Durchfall, aber auch Entleerungsstörungen. Probleme sind deshalb so komplex, weil der Darm ein gewundener Muskelschlauch mit vielen Nerven ist, die für eine gesunde Funktion alle gut zusammenspielen müssen. Um einen Stuhlgang zu ermöglichen, müssen zudem die Muskeln des Beckenbodens zuammenarbeiten – dieser ist unterteilt in drei Bereiche: Der vorderste steuert die Blasenfunktion, der mittlere Gebärmutter, Scheide oder Prostata und der hintere den Darm. „Vor allem nach schweren Geburten oder Zwillingsschwangerschaften haben viele Frauen später Probleme mit der Funktion des Darms“, weiß Prof. Bader. Ein oft schambehaftetes Thema, das jede und jeder Betroffene aber ansprechen sollte bei einem Spezialisten-Team. Dies sind sogenannte Beckenbodenzentren, wo sich Chirurgen, Gynäkologen und Urologen sowie spezialisierte Physiotherapeuten um die Patienten kümmern, rät der Mediziner.
Übrigens: Wie häufig man aufs Klo muss, ist individuell verschieden – von drei Stuhlgängen täglich bis zu drei in der Woche ist alles im Bereich des Normalen.
Das Reizdarmsyndrom hat viele Facetten
Besonders komplex ist auch das Reizdarmsyndrom, bei dem Betroffene erheblich leiden, ohne dass eine Ursache feststellbar ist. Halten die Beschwerden mehr als drei Monate an, sollten Betroffene nach den Ursachen suchen, rät Privatdozent Dr. Holger Seidl, der Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Gastroenterologische Onkologie des Isar-Klinikums. Zunächst wird untersucht, ob Krebs, eine schwere Entzündung oder eine andere organische Ursache vorliegt, sagt er. Die Leber und die anderen am Darm liegenden Organe werden per Ultraschall untersucht, der Darm selbst per Darmspiegelung. Ergibt sich dann keine sichtbare Ursache und wirkt die Darmschleimhaut gesund, heißt das aber nicht, dass sich die Patienten die Beschwerden nur einbilden, betont Seidl: „Dass etwas gesund wirkt, heißt nicht, dass es auch gut funktioniert.“
In seiner Klinik gibt es individuelle Ansätze, den Patienten zu helfen – denn jeder ist anders. Die Patienten bekommen Aufbaukuren, um die Darmfunktion wieder hochzufahren, anderen helfen Naturmedizin oder Probiotika, also wichtige Darmbakterien, die sie verabreicht bekommen. Um die überreizten Schmerzbahnen wieder zu beruhigen, helfen manchmal auch Allergieblocker, kurzfristig auch Psychopharmaka oder andere Medikamente. Denn das Problem der überreizten Darm-Hirnachse ist, dass Schmerzen teilweise immer intensiver wahrgenommen werden. Schlimm für die Patienten, denn der überreizte Darm kann das ganze Leben erheblich beeinträchtigen. Und wenn sich der Alltag vor allem um die Verdauung dreht, kommt das Leben zu kurz.