Lebensqualität dank neuer Blase

von Redaktion

VON ANDREAS BEEZ

München – Vor etwa 30 Jahren hatte Dr. Christiane Preiß (65) eine gynäkologische Operation, seitdem immer mal wieder mit Blasenentzündungen und Problemen beim Wasserlassen zu kämpfen. Wie viele andere Frauen auch empfand sie diese chronischen Harnwegsinfekte zwar als schmerzhaft und nervig, aber nicht als übermäßig gefährlich oder gar lebensbedrohlich. Trotzdem ging die medizinische Gutachterin irgendwann sicherheitshalber zu ihren Kollegen ins LMU Klinikum, ließ sich von den Urologen in Großhadern durchchecken. Möglicherweise hat ihr diese Entscheidung das Leben gerettet. Denn die Ärzte entdeckten zwar einen Tumor in ihrer Harnblase, aber der Krebsherd hatte noch keine Metastasen gebildet.

„In solchen Fällen sind die Heilungschancen sehr gut“, weiß LMU-Chefurologe Professor Christian Stief. „Wenn ein Harnblasentumor bereits gestreut hat, breiten sich die gefürchteten Metastasen meistens sehr schnell aus. Diese Krebsart gilt als noch aggressiver als beispielsweise Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. Leider leben die Patienten dann oft nur noch wenige Monate bis Jahre. Andererseits gibt es auch eine ermutigende Botschaft: Bei früh entdecktem Harnblasenkrebs und konsequenter Behandlung haben die Patienten oft eine normale Lebenserwartung.“

Alarmsignale ernst nehmen

Umso wichtiger sei es, die Frühwarnzeichen der Erkrankung zu erkennen und ernst zu nehmen, betont Privatdozent Dr. Gerald Schulz, der Leiter des Harnblasenkarzinom-Zentrums im LMU Klinikum. „Gerade Blut im Urin sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen – selbst dann nicht, wenn man ansonsten keine Schmerzen hat. Und auch wenn es beim Wasserlassen immer wieder brennt, gilt: lieber mal zur Kontrolle beim Arzt vorbeischauen.“

In solchen Fällen ist oftmals eine ambulante Blasenspiegelung (ohne Narkose) notwendig. Diese wird in vielen urologischen Arztpraxen angeboten. Eine Untersuchung in der „Röhre“ wäre laut Urologie-Chef Stief bei Verdacht auf ein Harnblasenkarzinom keine Alternative: „Verfahren wie CT oder MRT liefern Schnittbilder, bei sogenannten Hohlorganen wie der Blase sind sie alleine nicht aussagekräftig genug. Für eine sichere Diagnose brauchen wir die Endoskopie.“ Das bedeutet: Die Ärzte führen mithilfe eines Untersuchungsgeräts – in der Fachsprache Zystoskop genannt – einen kleinen biegsamen Schlauch in die Blase ein. An dessen Ende befindet sich eine Minikamera, die Bilder aus dem Inneren der Blase auf einen Monitor überträgt.

Mit dieser bewährten Methode konnten die Ärzte auch bei Dr. Christiane Preiß einen Tumor enttarnen. „Als ich die Krebsdiagnose bekam, war ich zunächst geschockt. Aber für mich war auch völlig klar: Es gibt ein Danach“, erinnert sich die Münchnerin im Gespräch mit unserer Zeitung. „Entscheidend war, dass ich noch keine Metastasen hatte. Und als ich den histologischen Befund bekam, dass auch noch keine Lymphknoten befallen sind, da war ich einfach nur glücklich.“

Eine Operation blieb ihr allerdings nicht erspart. Denn Dr. Preiß gehört zu den etwa 20 Prozent der Patienten, deren Tumor bereits in den Blasenmuskel eingewachsen ist. In etwa 80 Prozent der Fälle ist zunächst „nur“ die Blasenschleimhaut befallen. „Dann können wir den Tumor in der Regel endoskopisch entfernen – vom Prozedere her ähnlich wie einen Polypen im Rahmen einer Darmspiegelung“, erklärt Stief.

Bei Patienten wie Dr. Preiß hingegen muss die gesamte Blase raus. Diese kann heute meist durch eine Neo-Blase ersetzt werden, wie die Mediziner sagen. Diese neue Blase wird aus einem Stück Dünndarm des Patienten geformt. „Sie erfüllt die Funktion der alten Blase und erspart den Patienten eine dauerhafte Ableitung des Urins über einen sogenannten Stoma in einen Bauchbeutel“, erklärt Harnblasen-Spezialist Schulz.

So schaffen Ärzte eine Neo-Blase

Dazu ist allerdings eine – gerade im Vergleich zur minimalinvasiven Entfernung eines früh entdeckten Schleimhaut-Tumors – große, etwa dreistündige Operation nötig. Im ersten Schritt entfernen die Urologen die Blase und entnehmen ein etwa 55 Zentimeter langes Stück Dünndarm. Zum Hintergrund: Ein Mensch hat etwa sechseinhalb Meter Darm, davon etwa fünf Meter Dünndarm. „Das entnommene Stück ist lang genug, um eine neue Blase daraus zu formen, und gleichzeitig kurz genug, damit der Patient später keine Verdauungsprobleme bekommt“, weiß Stief.

Der Darmanteil wird mitsamt seiner Blutgefäße und Nerven zu einer Neo-Blase vernäht und an die Stelle der alten Blase versetzt. Mit der Zeit lernt der Darmanteil – vereinfacht erklärt –, die Aufgabe der Blase zu übernehmen. Denn auch der Darm lässt sich ja durch Muskelkontraktionen steuern. „Anfangs ist die Neo-Blase oft übersäuert, weil Darmgewebe gewohnt ist, Flüssigkeit aufzunehmen. Deshalb muss der Patient täglich Tabletten schlucken, um diese Übersäuerung zu neutralisieren“, berichtet Schulz. „Aber der Tablettenbedarf wird mit der Zeit immer geringer, weil sich das Gewebe an seine neue Aufgabe anpasst. Der verpflanzte Darm lernt praktisch, dass er nun eine Blase ist“, ergänzt Stief.

Bei diesem Umwandlungsprozess muss auch der Patient helfen – mit intensivem Beckenbodentraining. Die nötigen Übungstechniken erlernt er in der Regel in einer drei- bis vierwöchigen stationären Reha. „Wenn man fleißig übt, spielt sich das immer besser ein. Ich bin vor einem Jahr operiert worden und seit drei Monaten beschwerdefrei“, erzählt Preiß. „Die Blase hält – selbst wenn ich Sport treibe. Ich bin sehr zufrieden, dass ich seit der OP so gut zurechtkomme.“

Die Neo-Blase hat sogar ein größeres Volumen als die natürliche Blase. Sie hält in aller Regel ein Leben lang. Das kann auch Helmut Prem (91) bestätigen. Der ehemalige Lehrer aus Eichenau im Landkreis Fürstenfeldbruck bekam sie vor zehn Jahren eingesetzt und hat bis heute keine Probleme damit. „Ich achte darauf, dass ich öfter zur Toilette gehe, stelle mir dafür auch mal nachts den Wecker. Ansonsten habe ich keinerlei Einschränkungen, mache zum Beispiel meine geliebten Saunagänge.“ Auch Schafkopfen steht nach wie vor auf seinem Freizeitprogramm. „Über meine Blase muss ich mir beim Karteln keine Gedanken machen“, erzählt er schmunzelnd.

Regelmäßige Kontrolle ist wichtig

In der Regel schließt sich an die Operation ein etwa zweiwöchiger Krankenhaus-aufenthalt an. „Diese Schonzeit braucht der Körper, damit die Verbindungen zwischen Neo-Blase und Harnleiter zusammenwachsen können“, berichtet der Großhaderner Chefurologe Stief. Dabei achtet ein spezialisiertes Pflegeteam darauf, dass die Patienten möglichst schnell wieder auf die Beine kommen. „Mit der OP alleine ist es noch nicht getan. Eine professionelle Nachsorge ist ein Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg“, betont Operateur Schulz. Dazu arbeiten die LMU-Spezialisten auch mit niedergelassenen Urologen zusammen. Die Kontrolltermine regelmäßig wahrzunehmen, sei wie bei allen Krebserkrankungen enorm wichtig, betont Stief. „Diese Zeit ist gut investiert, um auf Dauer gesund zu bleiben und viel Lebensqualität genießen zu können.“ Und seine Patientin Preiß betont: „Natürlich ist es eine aufwendige Behandlung, aber man muss immer positiv bleiben. Ich bin sehr dankbar, dass ich heute wieder ein ganz normales Leben führen kann.“

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