Alle Hoffnungen ruhen auf neuem Medikament

von Redaktion

Münchner Arzt: „Die Dunkelziffer der betroffenen Kinder muss wesentlich höher sein“

München – Von einer Aussicht auf Heilung zu sprechen, wäre nach Ansicht von Dr. Steffen Leiz nicht seriös. Wohl aber von der realistischen Chance, dass eines Tages schwere epileptische Anfälle bei Kindern mit einem Defekt im SCN8A-Gen beherrschbar sein werden.

Und dass damit Kinder wie Marie eines Tages ohne geistige beziehungsweise körperliche Einschränkungen aufwachsen können: Der Münchner Kinder- und Jugendarzt Dr. Steffen Leiz mit dem Schwerpunkt für Neuropädiatrie arbeitet seit dem Jahr 2004 in der Kinderklinik der Kliniken Dritter Orden in Nymphenburg und behandelt auch die kleine Marie: „Erst im Jahr 2012 wurde der Defekt im SCN8A-Gen entdeckt. Damals kannte man weltweit nur einige Fälle, heute sind es über 400. Die Dunkelziffer muss aber wesentlich höher sein.“

Bis vor acht Jahren war es schwierig, SCN8A überhaupt zu diagnostizieren: „Mittlerweile gibt es ein neues Verfahren der genetischen Diagnostik namens Next Generation Sequencing, das uns die Diagnose genetischer Veränderungen deutlich erleichtert.“ Erste epileptische Anfälle treten bei diesen Säuglingen oft ab dem fünften Monat auf: „Wenn bei allen Untersuchungen keine Diagnose gefunden wird, liegt der Verdacht auf eine durch eine Genmutation verursachte Epilepsie wie etwa SCN8A nahe.“

Eine Mutation ist ein Gendefekt, der sich nicht verhindern lässt. Er kann vererbt werden oder wie im Fall von SCNA8 Fall neu („de novo“) entstehen. Vereinfacht erklärt betrifft SCN8A einen speziellen Natriumkanal auf Nervenzellen: „In der Folge entsteht eine Über-Erregbarkeit des Gehirns, die sich dann in epileptischen Anfällen äußert.“ Diese sind trotz starker, krampflösender Medikamente häufig schwer oder gar nicht beherrschbar. Im schlimmsten Fall droht dann der Atemstillstand. „Dass Medikamente nicht wirken, kann immer passieren. Auch bei anderen Krankheiten. In Maries Fall war bei den ersten Anfällen die Erregbarkeit des Gehirns offensichtlich stärker als die Wirkung des Beruhigungsmittels.“

Voraussichtlich noch in diesem Jahr startet eine internationale Studie an großen Epilepsiezentren, zu denen in Deutschland die Kinderneurologie der Schön Klinik Vogtareuth gehört. Dr. Leiz: „Getestet wird ein Medikament, das hochspezifisch auf genau diesen Natriumkanal einwirkt und ihn blockiert. Die Frage ist dann: Lassen sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen, wenn sie im Reagenzglas oder Tierversuch funktionieren?“

Große Hoffnungen ruhen somit auf der Präzisionsmedizin, die individuelle Behandlungsstrategien und Therapien entwickelt und in der Onkologie und Neurologie zu bereits bemerkenswerten Durchbrüchen geführt hat. „Wir hoffen, dass das Medikament nicht nur die Epilepsie, sondern auch Entwicklungsstörungen bessern könnte. Dann wäre SCN8A zumindest beherrschbar“, so Dr. Leiz.

Doch nicht in jedem Fall hat diese Mutation katastrophale Folgen für ein Kind. Dr. Leiz: „Mutationen im SCN8A-Gen führen über eine gesteigerte Erregbarkeit des Gehirns zu Epilepsien und beeinflussen auch die geistige und motorische Entwicklung. Es gibt leider einige schwere Fälle mit massiven Entwicklungsstörungen. Ein Teil verläuft jedoch leicht bis mittelschwer.“

Zu diesen mittelschweren Fällen zählt auch Marie. Dr. Leiz begleitete neben der Familie Böhm noch eine weitere Münchner Familie mit einem SCN8A-Kind. Es war ein kleiner Bub. Er wurde nur sieben Jahre alt.  dop

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