von Redaktion

VON NICOLA FÖRG

Still war es in den Museen in Zeiten von Lockdowns, die Kunstwerke blieben unter sich. Sollte man meinen. Aber nur, weil sich der Mensch vom kulturellen Acker gemacht hatte, war ganz schön was los in den Ausstellungen und Depots. Dort tummelten sich kleine Tierchen, die groß darin sind, das Kulturerbe der Menschheit zu schreddern. Sie heißen Kleidermotten, Brotkäfer, Papierfischchen, Teppichkäfer, Nage- und Splintholzkäfer oder Trockenholztermiten. Arten, die als echte Kosmopoliten in den Museen, Sammlungen und Archiven weltweit ihr Unwesen treiben!

Großbritannien mit allen seinen Schlössern und Herrenhäusern ist auch so ein Paradies für kleine Krabbler. Der National Trust schlug Alarm: Museumsschädlinge haben in Großbritannien im Lockdown-Jahr 2020 um elf Prozent zugenommen. Der Mensch geht, die Larve kommt! Grund: Es ist ruhig und dunkel. Die Schädlinge haben Kunstverstand – oder auch nicht: Kleidermotten fraßen sich im ostenglischen Herrenhaus Blickling Hall durch eine Tapisserie, die immerhin keine Geringere als Katharina die Große dem britischen Botschafter geschenkt hatte. In England nutzt der National Trust nun Pheromone, um die männlichen Motten bei der Paarung zu verwirren…

Egal ob Museen in England, Deutschland oder anderswo auf der Welt: Wenn’s krabbelt, wird Stephan Biebl aus Benediktbeuern (Lks. Bad Tölz-Wolfratshausen) gerufen. Das liegt ihm in den Genen: Schon 1893 war der Ururgroßvater Schädlings- bekämpfer in München, die fünfte Generation hat Holztechnik studiert und sich ebenfalls der Schädlingsbekämpfung verschrieben.

Vor Jahren wurde der Fachmann wegen Holzwurmbefall in einen Reitstall gerufen. Nachdem er ein paar Mal dort tätig wurde, meinte eine kleine Reiterin: „Ah, da kommt der Holzwurmflüsterer.“ Eine Marke war geboren!

20 Jahre Erfahrung in Museen führten dazu, dass Biebl wahrlich keine Werbung machen muss. Museen, Kuratoren und Restauratoren sind vernetzt, sie alle holen im Notfall Biebl. „Ich bin oft im Museum, bevor eine Ausstellung öffnet, oder manchmal auch nachts“, lacht Biebl. Ein verdächtiges Insekt wurde gesichtet, er kann Entwarnung geben: „Das ist bloß eine amerikanische Kiefernwanze, die schaut gruselig aus, ist aber für Exponate völlig ungefährlich. Auch alle die Waldschaben, die, aus Italien stammend, den Sprung über die Alpen geschafft haben, sind harmlos.“

Ob das beruhigt? Krabbeltiere gibt es überall, das hat nicht nur mit mangelnder Hygiene zu tun. Und Biebl ergänzt: „Der Begriff Schädling kommt vom Menschen! Der Holzwurm agiert seiner Art entsprechend, ihm ist es egal, dass er gerade den Rahmen eines zwei Millionen Euro teuren Kunstwerkes durchbohrt. Über Leihgaben wandern diese von Museum zu Museum. Dabei sitzen sie in den Transportkisten und den Verpackungen und so verschleppt man die Schädlinge weltweit.“ Außerdem deckt schließlich der Mensch den Tisch für die Tierchen.

„Gerade in Museen für Moderne Kunst werden sie fündig. Viele Bilderrahmen sind aus Laubholz, paradiesisch für Splintholzkäfer.“ Überhaupt die Moderne: „Zeitgenössische Kunst generiert ihre eigenen Probleme. Da haben wir alte Hamburger, Fett, Räume voller Erdnussflips – ein Schlaraffenland für Schädlinge“, so Biebl. Auch heruntergefallene Brotkrümel und Häppchenreste von der Vernissage sind Leckereien. „Es gab diesen Fall eines Kunstwerks in einem süddeutschen Kunstmuseum, das aus Schweineknochen bestand, das dann Besuch vom rotbeinigen Schinkenkäfer bekam.“ Von wem auch sonst! Die findigen Kulturfolger profitieren auch von der konstanten Innenraumtemperatur in Museen und der Luftfeuchtigkeit. Doch während in den USA ganz offen über Schädlinge geredet wird, geniert man sich hierzulande. Aber mit Schädlingen muss man leben lernen, es gibt Lösungen: Im Verkehrszentrum des Deutschen Museums auf der Schwanthalerhöhe wurden beispielsweise vor vielen Jahren Kleidermotten eingeschleppt. Klar, Oldtimer sind voll von Rosshaar, Filz und Stoff. Die wurden biologisch bekämpft – mit winzig kleinen Schlupfwespen. Wenn für bestimmte Schädlingsarten natürliche Gegenspieler verfügbar sind, können diese Nützlinge zur biologischen Bekämpfung ausgebracht werden. Für Kleidermotten, den Gemeinen Nagekäfer, Brotkäfer und einige Speckkäferarten ist das möglich. Früher kam da meist die Giftkeule zum Einsatz, heute re-agiert man umsichtiger: IPM, „Integrated Pest Management“, heißt es weltweit, um das Heer ungeliebter Tierchen im Griff zu behalten. „Damit gemeint ist vor allem Prävention und Überwachung, ein Vorgehen, das man aus dem Pflanzenschutz übernommen hat. Man muss wissen, welches Schädigungspotenzial von einer bestimmten Schädlingsart ausgehen kann. Eine Schabe ist ja noch kein Befall“, sagt Biebl. „Ein Papierfischchen im Krankenhaus ist nur ein Lästling, in einer Bibliothek aber können mehrere zu einer Katastrophe werden.“ Wenn es um Befall geht, muss man reagieren: „Man kann die Tiere wegfangen, intensive Reinigung und der Entzug der Nahrungsgrundlage helfen. Es gibt auch den Einsatz von Stickstoff, der maschinell erzeugt wird.“ Ansonsten hilft Hitze oder Kälte und das ist für Privatpersonen doch beruhigend. Mit der Energiekrise wird es eh kühler werden in den heimischen Stuben… >> Interessante Links > www.holzwurm fluesterer.de > www.museums schaedlinge.de

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