„Kinder müssen oft zu lange warten“

von Redaktion

Der Chef der Kinder- und Jugendpsychiatrie spricht über aktuelle Probleme

München – Sind Kinder oder Jugendliche psychisch krank, dann können manche ambulant behandelt werden, andere sind so schwer erkrankt, dass eine stationäre Therapie angezeigt ist. Wieder andere können und sollen nicht aus ihren Familien gerissen werden und sind nachts am besten im eigenen Bett aufgehoben, doch muss so viel getan werden, dass eine rein ambulante Behandlung nicht ausreicht. In der Tagesklinik im Sankt Vinzenz Haus an der Nussbaumstraße in München zeigen Fachleute solchen Kindern und Jugendlichen Wege aus der Krise. Wie das funktioniert, erklärt Professor Gerd Schulte-Körne, Direktor der Klinik für Kinder-und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, der Ludwigs Maximilians-Universität München.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Corona ist nicht vorbei, und man muss bedenken, dass wir schon vor der Pandemie seit vielen Jahren zu 100 Prozent belegt waren. Die Folge der Pandemie ist, dass Kinder und Jugendliche länger auf ihre Therapien warten mussten – und das kann schlimme Folgen haben. Wartet zum Beispiel eine Jugendliche mit einer Essstörung sechs Wochen länger auf eine Therapie, kann es sein, dass sie in der Zeit dann so viel abgenommen hat, dass eine stationäre Therapie angezeigt ist.

Wie empfinden Sie den Umgang mit psychischer Krankheit bei Kindern in unserer Gesellschaft?

Es wird häufig vergessen, dass Kinder psychisch erkranken. Alle denken bei diesem Begriff immer an Erwachsene und zu wenig an die Kinder und Jugendlichen. Das ist aber ein großer Fehler, da die meisten psychischen Krankheiten ja im Kinder- und Jugendalter beginnen. Man kann schon sagen, je später man das erkennt und je später dann auch eine Behandlung erfolgt, desto problematischer sind dann auch die Entwicklungsverläufe, weil natürlich eine Depression oder eine schwere Angststörung bei einem Kind viel ausmacht. Es beeinflusst viele Bereiche, das schulische und soziale Leben und deshalb ist es so wichtig, früh und genau hinzuschauen und mit Methoden zu behandeln, die auch wirksam sind, so wie wir das hier in der neuen Tagesklinik tun.

Wie verläuft so eine Behandlung?

Das kann man natürlich nicht pauschal sagen, es gibt verschiedene psychotherapeutische Verfahren. Der Grundgedanke ist, die Widerstandskraft, die sogenannte Resilienz, zu stärken, Es geht darum, Prozesse anzustoßen und sich Zeit zu nehmen, um festzustellen, was sind denn eigentlich die Ursachen für das Problem. Um dann zu schauen, was sind denn selbst meine Kräfte, um etwas dagegen zu tun. Also wir versprechen nicht, dass wir die Probleme lösen für die Kinder und Jugendlichen, sondern wir begleiten sie bei der Lösung und helfen, gestörte Verhaltensweisen aufzudecken, Konflikte zu entdecken und Interaktionen in der Familie verändern. Der Unterschied zur stationären Behandlung ist bei der Tagesklinik, dass die Kinder morgens zu uns gebracht werden, sie hier auch zur Schule gehen und behandelt werden und abends dann wieder in der Familie sind. Das ermöglicht es uns auch, sehr eng mit den Familien zusammenzuarbeiten.

Interview: Susanne Sasse

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