Kampf gegen Keime

von Redaktion

Warum immer mehr Resistenzen die Wirksamkeit von Antibiotika bedrohen und wie wir gegensteuern können

VON SUSANNE SASSE

München – Es war ein Segen für die Menschheit, als Alexander Fleming im Jahr 1928 das Antibiotikum Penicillin entdeckte. Nun konnte man infizierte Wunden, Entzündungen und zahlreiche weitere bakteriell verursachte Erkrankungen effektiv behandeln. Heute aber droht diese medizinische Wunderwaffe wirkungslos zu werden. Immer häufiger entwickeln Bakterien Resistenzen, sind also widerstandsfähig gegenüber Antibiotika. Ein internationales Forscherteam schlägt Alarm, da Antibiotika-Resistenzen inzwischen zu den häufigsten Todesursachen weltweit gehören. Wieso die Zahlen so alarmierend sind, was die Probleme verursacht und welche Bakterien besonders gefährlich werden, darum geht es auf der heutigen Medizin-Seite. Zudem erklärt die Münchner Oberärztin Dr. Nina Wantia, die am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM) den Fachbereich für Diagnostik im Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene leitet, wie die Forschung hilft und wie sich jeder gegen multiresistente Keime schützen kann:

Weltweit immer mehr Todesfälle

Mehr als 1,2 Millionen Menschen auf der Welt starben 2019 einer Schätzung zufolge unmittelbar an einer Infektion mit einem Antibiotika-resistenten Erreger. Bei fast fünf Millionen Todesfällen war eine solche Infektion mindestens mitverantwortlich für den Tod, berichtet eine internationale Experten-Gruppe im Fachmagazin „The Lancet“. Die Forscher hatten für das Jahr 2019 weltweit Daten analysiert.

Häufige Infekte wieder lebensgefährlich

Zum Vergleich: An HIV/Aids starben 2020 geschätzt 680 000 Menschen, an Malaria 627 000. Zu Problemen mit Antibiotika-Resistenzen kam es besonders häufig bei Infektionen der unteren Atemwege, also etwa einer Lungenentzündung. Diese allein verursachten 400 000 Todesfälle. Besonders viele Menschen starben auch infolge von Blutvergiftungen und Blinddarmentzündungen, weil die Infektion aufgrund resistenter Erreger mit Antibiotika nicht beherrschbar war. Allein der gefürchtete Krankenhauskeim MRSA – Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus – verursachte nach den neuen Erkenntnissen der Forscher 100 000 Todesfälle. Am stärksten betroffen waren der Studie zufolge Länder im westlichen Afrika südlich der Sahara. Dort habe es auf 100 000 Menschen fast 24 Todesfälle gegeben, die sich unmittelbar auf eine Infektion mit einem resistenten Erreger zurückführen ließen. In reichen Ländern lag die Rate bei 13 Todesfällen auf 100 000 Einwohner. Kinder unter fünf Jahren sind am stärksten gefährdet.

Gefährliche Bakterien und wo sie lauern

Zu den Keimen, die am häufigsten Probleme mit Resistenzen verursachten, gehörten Escherichia coli, Staphylococcus aureus, Klebsiella pneumoniae, Enterococcus faecium und Pseudomonas aeruginosa (siehe Kasten). Die Keime lauern an den verschiedensten Orten – wer sich auskennt, kann sich durch hygienisches Verhalten besser vor Infektionen schützen:

. Gesundheitswesen

In Arztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen besteht ein erhöhtes Risiko, sich mit einem resistenten oder multiresistenten Erreger anzustecken. „Ich rate jedem dazu. sich die Hände zu waschen und Hygienespender vor Ort auch zu nutzen“, sagt die Münchner Mikrobiologin Dr. Nina Wantia. Zum einen begünstigt die Vergabe von Antibiotika das Auftreten von multiresistenten Keimen, da am besten die Keime überleben, denen Antibiotika nichts oder wenig anhaben können – man nennt das einen erhöhten Selektionsdruck. Zweitens besteht bei Patienten, deren Immunsystem geschwächt oder unterdrückt ist (Immunsuppression) ein erhöhtes Risiko, an Keimen zu erkranken – unabhängig davon, ob diese multiresistent sind oder nicht. Außerdem ist es für Keime einfacher, in nicht intakte Haut einzudringen, etwa nach Operationen oder wegen eines Katheters.

. Lebensmittel

Vor allem bei Fleisch aus Massentierhaltung gilt: Ordentlich durchgaren und in der Küche auf Hygiene achten – also die Schneidebretter säubern, ebenso Türklinken und Ähnliches, wenn man sie angefasst hat. Nahrungsmittel – Fleisch oder pflanzliche Produkte – können unter Umständen eine Quelle für resistente und multiresistente Erreger sein. Denn in der Massentierhaltung werden sehr viel mehr Antibiotika eingesetzt als in der Humanmedizin: Im Jahr 2018 waren es 722 Tonnen. Das ist immer noch sehr viel, aber man muss wissen, noch im Jahr 2011 war es doppelt so viel, betont Dr. Nina Wantia. Reste der Antibiotika und auch multiresistente Keime befinden sich unter anderem in den Fäkalien der Tiere – und werden dann in der Umwelt verteilt, wenn die Fäkalien als Gülle zum Düngen von Wiesen und Feldern eingesetzt werden.

. Landwirtschaft

Landwirte und Tierärzte, die Kontakt mit Tieren haben, sind laut Robert Koch-Institut (RKI) häufiger mit resistenten oder multiresistenten Erregern besiedelt als der Rest der Bevölkerung und können diese Erreger auch weiterverbreiten. Bei gesunden Menschen führt eine Besiedelung in der Regel aber nicht zu einer Erkrankung. Auch sogenannte Begleittiere wie Hunde, Katzen und Pferde können mit solchen Erregern besiedelt sein und diese auf Menschen in ihrer Umgebung übertragen.

. Umwelt

Auch in der Natur kommen (multi-)resistente Erreger vor. Sie werden bei Wildtieren und Wildvögeln nachgewiesen, sind aber auch in Seen, Flüssen und im Boden (Grundwasser, Erdreich, Abwasser) zu finden und können über entsprechenden Kontakt auf Menschen übertragen werden. Dennoch ist die Gefahr, beim Baden zum Beispiel in Seen schwer zu erkranken, sehr gering – denn ob ein Keim multiresistent ist oder nicht, ist für die Immunabwehr des Körpers erst einmal egal. Er kommt mit multiresistenten Keimen ebenso gut zurecht wie mit solchen, gegen die auch Antibiotika wirken. Anders ist das bei offenen Wunden, über die Keime einfacher in den Körper eindringen können, und auch bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem.

. Reisen

„Kritisch aus Sicht eines Hygienikers ist der hohe Anteil an resistenten Bakterien in Krankenhäusern beispielsweise in Indien“, sagt Nina Wantia. Denn die Keime, die es dort gibt, kommen dank der immer größeren Mobilität heute auch leichter bis zu uns. Das RKI verweist auf Studien, die zeigen, dass bis zu 30 Prozent der Reiserückkehrer aus Regionen mit hohem Vorkommen multiresistenter Krankenhauskeime (z.B. Asien und indischer Subkontinent) mit solchen Keimen besiedelt sind. In einer Untersuchung schieden mehr als die Hälfte von Asien-Reise-rückkehrern nach Deutschland, die an Durchfall litten, ESBL-E.-coli mit dem Stuhl aus, so das RKI. In Europa gibt es vor allem in Griechenland, Italien und Rumänien gute Bedingungen für multiresistente Keime wie etwa Klebsiella pneumoniae, berichtet das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten.

Die wichtigsten Punkte gegen Resistenzen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Verbreitung von multiresistenten Erregern zur globalen Gesundheitskrise erklärt. Eine Arbeitsgruppe untersucht alternative Behandlungsmethoden, so etwa den Einsatz von sogenannten Phagen, das sind quasi bakterienfressende Viren.

Die Forschung entwickelt auch neue Antibiotika und setzt vorhandenen Stoffe bei, die sie wirksamer machen. Zudem werden bestimmte Antibiotika-Präparate sehr zurückhaltend eingesetzt, damit sich keine Resistenzen entwickeln und es so quasi Reserve-Antibiotika gibt.

Aber auch die Patienten können viel tun gegen die Gefahr. Eine Ursache ist die unzuverlässige Einnahme von Antibiotika. Werden diese beispielsweise zu früh abgesetzt, dann werden nicht alle Bakterien abgetötet und die überlebenden können Resistenzen entwickeln. Wichtig ist es, nur dann Antibiotika zu nehmen, wenn es sich wirklich um einen bakteriellen Infekt handelt, betont Dr. Nina Wantia. Übrigens: 85 Prozent der Antibiotika werden ambulant verschrieben, das ist weit mehr, als in Kliniken ausgegeben werden. Vorsorglich Antibiotika zu nehmen, ist sehr schädlich – jeder Mensch trägt bis zu zwei Kilogramm Bakterien im Darm und diese leiden unter Antibiotika. Teilweise sind die Folgen noch ein Jahr nach der Einnahme messbar.

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