München – Eine Krebsdiagnose belastet. Erkrankte und ihre Angehörigen müssen die schwere Zeit nicht alleine durchstehen, Psycho-Onkologen an den Krebsberatungsstellen, in Krebszentren direkt in Kliniken oder auch bei niedergelassenen Psychotherapeuten stehen ihnen gerne zur Seite. Die Psycho-Onkologin Serap Tari arbeitet am Klinikum Großhadern der Ludwigs-Maximilian Universität München und leitet die Kontakt- und Informationsstelle des Vereins lebensmut. Sie erklärt, was die Psycho-Onkologie leisten kann und wem sie nützt.
Was brauchen Menschen, die gerade erfahren haben, dass sie an Krebs erkrankt sind, und ihre Angehörigen?
Ein offenes Ohr. Das bietet ihnen die Psycho-Onkologie. Deren Säulen sind, zu informieren, zu begleiten, zu beraten und zu behandeln. Es geht darum, die Belastungen wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. es geht nicht um das Thema psychische Krankheiten. Oft werden ganz konkrete Fragen gestellt, nach Haushaltshilfe, Krankengeld, Erwerbsminderungsrente. Wir Psycho-Onkologen vermitteln praktische Angebote. Natürlich begleiten wir Betroffene in dieser belastenden Lebenszeit und unterstützen bei der Suche nach psychotherapeutischer Hilfe, wenn diese notwendig ist. Wir machen Trauerbegleitung. Wir öffnen den Blick für andere Angeboten, wie etwa Sozialberatung, Rentenberatung, Rehaberatung, aber auch andere hilfreiche Dinge wie etwa Yoga, Kunsttherapie oder Atemtherapie. Entlastende Gespräche spielen für alle Betroffenen eine wichtige Rolle.
Wie gehen Sie die Gespräche an? Ich kann mir vorstellen, dass manche Menschen zunächst gar nicht offen sind, stimmt das?
In den vergangenen zehn Jahren ist es viel selbstverständlicher geworden, Unterstützung anzunehmen. Manche Menschen sind hilfsbedürftig, andere brauchen nur ganz wenig Unterstützung. Es ist wichtig, die Gefühle zu erkennen und sie einzuordnen: Es ist angemessen, auf eine schwere Erkrankung auch deutlich zu reagieren. Es geht darum, die richtige Schraube zu finden, um langsam die Belastung zu senken. Zudem helfe ich Erkrankten, sich auf ihr Arzt-Patienten-Gespräch vorzubereiten. Wir erstellen etwa gemeinsam eine Liste von Fragen, die wichtig sein können, und fordere Betroffene auf, eigene Bedürfnisse und wichtige Termine wie etwa die Einschulung des Kindes oder Urlaube dem Arzt mitzuteilen.
Wie verändert Krebs das Leben des Patienten?
Krebs ist häufig ein Wendepunkt im Leben. Manche Menschen sehen darin einen Anlass, sich mehr um sich selbst zu kümmern. Die Bedürfnisse sind sehr individuell, deshalb verbieten sich pauschale Empfehlungen. So ist es auch mit dem Sprechen über die Krankheit – die einen wollen mitteilen, wie es ihnen geht, die anderen wünschen, dass sie nicht angesprochen werden auf ihre Erkrankung. Hier gibt es kein Richtig oder Falsch: Ich ermutige die Betroffenen, Grenzen zu zeigen, wenn sie zum Beispiel nicht im Büro oder auf der Straße auf ihre Erkrankung angesprochen werden wollen.
Wie gehen Sie vor?
Der Patient und ich überlegen zunächst, was aktuell seine größte Belastung ist und wo mögliche Ressourcen sind, was die Kraftquellen sein können.
Worum geht es betroffenen Eltern?
Eltern bewegt oft die Frage sehr, wie sie es ihrem Kind sagen können – hier helfen wir mit einem breiten Angebot für betroffene Familien.
Was raten Sie an Krebs erkrankten Eltern?
Man muss Kindern nicht alles sagen, aber das, was man sagt, muss der Wahrheit entsprechen. Wir bestärken die Eltern zu offener altersgerechter Kommunikation in der Familie und helfen ihnen dabei. Kinder sind belastbarer als die Eltern glauben. Was man sicher nicht tun sollte, ist es, sie anzuschwindeln, um sie zu schonen. Das ist einfacher gesagt als getan. Doch Kinder haben ganz feine Antennen und merken, da stimmt etwas nicht. Das Problem ist, dass sich Kinder dann möglicherweise selbst als Teil des Problems sehen und schuldig fühlen, obwohl sie nichts dafür können.
Was raten Sie Krebskranken, die Angst haben, dass ihnen die Kraft ausgeht?
Der Weg nach der Krebsdiagnose fühlt sich oft sehr lang an. Stellt man sich diesen wie einen großen Berg vor, kann einem schon mal die Puste ausgehen. Es ist hilfreich, sich diesen Weg als hügelige Landschaft vorzustellen und zum Beispiel jede Chemo als einen Hügel zu sehen. Denn viele kleine Hügel zu bewältigen fällt leichter als einen Riesen-Berg. 80 Prozent der Krebskranken fühlen sich während der Behandlung immer wieder erschöpft. Es ist deshalb wichtig, immer wieder in sich hineinzuhorchen und zu schauen, wie voll die Batterie ist, und sich die Tage entsprechend einzuteilen.
Inwiefern sind Angehörige von der Erkrankung eines Familienmitglieds betroffen?
Krebs trifft immer die ganze Familie. Die Belastung der Angehörigen wird häufig nicht gesehen. Daher bestätigen wir sie, auf sich und ihre Kraftreserven zu achten. Es saßen Angehörige bei mir, die mich fragten, ob sie am Tag eine Stunde lang spazieren gehen dürfen. Natürlich dürfen sie das. Ich bestärke sie darin, ihre Kraftquellen zu nutzen – ohne schlechtes Gewissen – damit ihnen nicht die Puste ausgeht. Wer für andere da sein will, muss das auch für sich selbst sein.
Interview: Susanne Sasse