Die Wahrheit über den Bluthochdruck

von Redaktion

Der stille Killer – Neue Erkenntnisse zu Medikamenten – Die zehn folgenschwersten Irrtümer

VON ANDREAS BEEZ

Bluthochdruck wird immer noch unterschätzt – und das, obwohl allein in Deutschland etwa 20 Millionen Menschen aller Altersgruppen betroffen sind. Viele von ihnen wissen zu wenig über die Volkskrankheit. Das ist fatal, denn unter Experten gilt sie als stiller Killer. Und zwar deshalb, weil Bluthochdruck meist lange keine Beschwerden verursacht, aber potenziell tödliche Erkrankungen wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle befeuern kann.

Dieser Gesundheits-GAU ließe sich oft vermeiden, wenn die Patienten ärztliches Know-how nutzen und einige wichtige Verhaltensregeln im Alltag berücksichtigen würden. „Doch leider geistern immer noch viele Fehlinformationen zu Bluthochdruck durch die Gesellschaft“, weiß Professor Martin Halle vom Uniklinikum rechts der Isar. In unserer Zeitung räumt der renommierte Kardiologe und Präventionsmediziner mit häufigen Irrtümern und Mythen auf.

Irrtum 1

„Medikamente gegen Bluthochdruck muss man in der Früh einnehmen.“ Gerade wurde auf dem Kongress der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in Barcelona die sogenannte Time-Studie vorgestellt, die das Gegenteil belegt. Danach ist es unerheblich, ob man Tabletten gegen Hypertonie wie Betablocker (zum Beispiel Metoprolol, Bisoprolol) oder ACE-Hemmer (zum Beispiel Ramipril, Linosopril) morgens oder abends schluckt. Damit können Patienten eine häufige unangenehme Nebenwirkung loswerden: Manche Menschen werden von der Einnahme blutdrucksenkender Mittel etwas müde, fühlen sich dadurch vormittags antriebslos.

Irrtum 2

„Ein Blutdruck von 150/90 mmHg wird schon nicht so schlimm sein.“ Auch Werte, die scheinbar nur leicht erhöht sind, können im Körper eine fatale Kettenreaktion hervorrufen. Dabei werden die Gefäße massiv geschädigt. Analysen aus China zeigen: Bereits bei Messwerten zwischen 130/85 und 139/89 verdoppelt sich das Herzinfarktrisiko fast. Bei Patienten mit einem Blutdruck zwischen 120/80 und 140/90 steigt die Schlaganfallgefahr um 66 Prozent.

Der Hintergrund: Je größer der Blutdruck ist, desto stärker wird der Druck auf die Gefäßwände. Sie werden steifer und spröder. Man kann sich diesen Prozess vorstellen wie einen Luftballon, den man mit Wasser füllt: Wenn der Druck immer größer wird und die Hülle an Elastizität verliert, dann platzt sie irgendwann. Im Falle der Blutgefäße reißen zunächst die Innenwände ein. Es kommt zu Entzündungsprozessen und Ablagerungen, Plaques genannt. Dieser Prozess heißt in der Fachsprache Atherosklerose.

Irrtum 3

„Erhöhter Blutdruck ist gut fürs Gehirn, weil er die Durchblutung verbessert.“ Bluthochdruck setzt gerade den kleinen Gefäßen im Gehirn zu, fördert eine frühzeitige Versteifung der Gefäßinnenwände. Dadurch können wiederum die Gefäße einreißen und einen Schlaganfall hervorrufen.

Irrtum 4

„Erhöhter Blutdruck ist fast immer stressbedingt. Wenn ich mich beruhige, dann geht er schon runter.“ So erklären viele Patienten, dass sie beim Messen in der Arztpraxis erhöhte Blutdruckwerte haben. Das nennt man auch Weißkittel-Hypertonie.

Diese These ist aber nur die halbe Wahrheit. Wer normalerweise einen optimalen Blutdruck hat, der wird auch durch Aufregung beim Doktor nicht in den roten Bereich geraten. Die Weißkittel-Hypertonie ist fast immer eine Vorstufe von erhöhtem Blutdruck und damit ein Alarmsignal.

Irrtum 5

„Niedriger Blutdruck ist genauso schädlich wie erhöhter.“ Ein niedriger Blutdruck auch deutlich unter 120/80 mmHg wirkt lebensverlängernd. Er darf nur nicht so niedrig sein, dass einem schwindlig wird und man stürzt.

Irrtum 6

„Sportler und schlanke Menschen haben nie erhöhte Blutdruckwerte.“ Nur weil man gut trainiert ist und fit wirkt, bedeutet das noch lange nicht, dass man keine erhöhten Blutdruckwerte haben kann. Es gibt auch angeborene Hypertonie. Wer daran leidet, kann noch so sportlich und schlank sein, er braucht trotzdem oft Medikamente, um die Werte in den Griff zu bekommen.

Irrtum 7

„Erhöhter Blutdruck macht der Niere nichts aus.“ Nicht nur Herz und Hirn leiden unter Hypertonie, auch die Niere nimmt dadurch oft großen Schaden. Bluthochdruck ist zusammen mit Diabetes (Zuckerkrankheit) der häufigste Grund dafür, dass Patienten zur Dialyse (Blutwäsche) müssen.

Irrtum 8

„Hypertonie schadet den Augen nicht.“ Eine Ablösung der Netzhaut ist oft Bluthochdruck geschuldet. Viele Betroffene erblinden sogar.

Irrtum 9

„Bluthochdruck macht dem Herzmuskel nichts aus – im Gegenteil: Er wird dadurch trainiert wie andere Muskeln im Körper.“ Zwar passt sich der Herzmuskel anfangs an die stärkere Belastung an. Doch mit der Zeit wird er steifer und verdickt. Nach etwa fünf bis zehn Jahren weitet sich der Herzmuskel zunehmend, und die Pumpfunktion lässt nach, zudem nehmen die elektrischen Leitungssysteme am Herzen Schaden.

Die Patienten erkranken an Herzschwäche – mit Folgen wie Atemnot, Leistungsabfall und Wassereinlagerungen in den Beinen. Das Tückische: Dieses Rad lässt sich nicht mehr zurückdrehen, auch wenn die Blutdruckwerte dann gut eingestellt werden.

Irrtum 10

„Wenn ich Bluthochdruck habe, nehme ich ein bisschen ab und mache Sport, dann ist alles wieder in Ordnung.“ So einfach geht es leider nicht. Mit Sport und Ernährung lässt sich der Blutdruck in der Regel um fünf bis zehn mmHg senken, allenfalls um 20. Das ist zwar bereits ein großer Unterschied, reicht aber nicht aus, wenn die Werte zuvor entgleist sind.

Dazu kommt dann noch: Wer völlig untrainiert plötzlich in Laufschuhen oder im Fitnessstudio Vollgas gibt, riskiert gefährliche Blutdruckspitzen. Deshalb kann es sinnvoll sein, sich zuvor ärztlich untersuchen und mitunter ein blutdrucksenkendes Medikament verschreiben zu lassen.

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