Spätherbst. Die Blätter fallen. Mit den Schuhspitzen durch das Laub zu rascheln, bereitet viel Spaß. Und plötzlich verhakt man sich in etwas: Vor einem liegen die Stangen eines Rehbocks. Na, das wird doch ein schöner Garderoben-Haken. Oder pink bemalt zum tollen Deko-Objekt. Falsch! Wer im Wald und auf der Flur Abwurfstangen oder ein ganzes Hirschgeweih mitnimmt, macht sich strafrechtlich gesehen der Wilderei schuldig. Stangen oder Geweihe mitzunehmen, darf nur, wer in dem Revier das Jagdrecht ausübt. Also auch nicht der Besitzer der Fläche! Sollte ein Wanderer mit einem solchen Geweih erwischt werden, drohen Geld-, sogar Freiheitsstrafen. Wer Abwurfstangen einsammeln will, der muss den Jagdausübungsberechtigten fragen. Nur der könnte eine schriftliche Genehmigung erteilen, die das erlaubt. Auch wer einen Kadaver oder den Schädel eines Tieres findet, darf beides nicht mitnehmen. Man kann den Fund aber dem zuständigen Jagdpächter melden. Es kann nämlich für ihn ganz interessant sein, woran ein Tier gestorben ist. An Altersschwäche, an einer Krankheit oder wurde es Opfer eines wildernden Hundes? Man sollte dem Mitnahmereflex also widerstehen, auch wenn Geweihe von Hirschen so gut aussehen. Diese können bis acht Kilo schwer werden, in seltenen Fällen bis zu 12 Kilo. Tiere zwischen 12 und 14 Jahren haben besonders großen Kopfschmuck. Und jetzt im Herbst findet man öfter mal Fragmente.
Im Oktober ist Brunftzeit, die Herren der Wälder stehen in Konkurrenz und im Eifer eines Kampfes fällt ihnen schon mal ein Zacken aus der Krone. Nicht weiter schlimm, schließlich wirft der Hirsch etwa Mitte Februar die ganze Pracht sowieso ab. „Schuld“ daran ist das Sexualhormon Testosteron: Es befindet sich nach dem Winter auf Tiefstand. Das Geweih muss weg. Knochenfressende Zellen zerstören die Substanz zwischen dem Geweih und den Stirnzapfen. Dadurch lösen sich die Stangen und fallen ab. Danach setzt ein Wundheilungsprozess ein, bei dem der Rosenstock – so nennt man den Stirnzapfen auch – in wenigen Tagen wieder mit Haut überzogen wird. Diese Haut, Bast genannt, umgibt das wachsende Geweih – beide sind mit Blutgefäßen und Nerven durchzogen. Neue Zellen bilden sich an den Geweihenden, während zugleich die Verknöcherung von der Basis her einsetzt. Schließlich ist das Wachstum beendet, durch Mineraleinlagerungen wird das Geweih gehärtet. Dadurch verringert sich die Blutzufuhr, bis sie ganz ausbleibt. Das Wachstum ist nach rund viereinhalb Monaten abgeschlossen. Die abgestorbene Basthaut ist nun funktionslos, sie wird abgestreift. Das geschieht etwa Mitte Juli. Nach rund 140 Tagen trägt das Tier wieder ein neues Geweih auf dem Kopf – ein Wunderwerk der Natur und eine enorme Leistung des Stoffwechsels!
Die Entwicklung des ersten Geweihs hat übrigens etwas mit Mama zu tun. Die Mutter eines Hirschkalbs hat gewaltigen Einfluss auf den Junior – deutlich mehr als die Gene des Vaters. Forscher wissen: Bei allen Säugetieren macht es die Milch! Durch Zusammensetzung und Menge der Muttermilch wird die körperliche Entwicklung und das Wachstum in den ersten Lebensmonaten signifikant bestimmt und auch die Grundvoraussetzungen für das erste Geweih hängen damit zusammen. Ist die Hirschkuh in der Tragzeit in guter körperlicher Verfassung, stehen die Chancen gut. Hat sie dann noch einen guten sozialen Rang, kann das Kalb ein kapitaler Hirsch werden.
Doch warum bekommt, obwohl es sich beim Geweih um einen „nachwachsenden Rohstoff“ handelt, nur der Jäger die Abwurfstangen? Weil er dank ihrer die Altersstruktur des Wildes erkennen kann. Eine Analyse der Geweihstangen gibt auch Aufschluss über die Gesundheit des Tieres und die Qualität des Lebensraumes. Entsprechend kann er die Jagdmaßnahmen anpassen und sieht, wie die Tiere in den Winter gehen. Im Spätherbst müssen sie sich noch Speck anfressen, durch Störer werden sie nur noch tiefer in den Wald getrieben, was den Verbiss dort erhöht. Wer nicht mehr raus kann, knabbert eben im Wald – zumal der sehr warme Oktober ja auch dazu führte, dass Landwirte noch Silo mähten. Danach kommt der Odel, dann der Frost. Schlechte Voraussetzungen für alle Grasfresser!