München – Albtraum Long Covid – der lange Atem von Corona ereilt nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts etwa jeden zehnten Infizierten. Sie können ihren Alltag nicht mehr bewältigen, suchen verzweifelt nach Hilfe – etwa in der Post Covid-Ambulanz am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Sie besteht seit eineinhalb Jahren, wird von Dr. Dr. Sandra Nischwitz geleitet. Die Expertin hat bereits über 200 Patienten behandelt, darunter sehr viele ambitionierte und leistungsstarke Menschen. Sie leiden besonders, wenn ihnen plötzlich jede Energie fehlt. Dr. Nischwitz schildert drei Schicksale aus München.
Es kann Menschen aller Altersgruppen treffen
Jonas B. (25, Name geändert) ist Polizeibeamter, war sportlich und liebt seinen Beruf. Aber seit Corona ist er krankgeschrieben – und wer weiß, wie lange noch. Das Virus erwischte ihn gleich zwei Mal: vor einem Jahr, dann erneut vor einigen Wochen. Körperlich ist er wieder fit. Aber er leidet an starken Konzentrationsstörungen, ermüdet schnell. Eine Rückkehr in den Job – für ihn momentan undenkbar. „Wenn er sich anstrengt, kann er sich hinterher mehrere Tage kaum noch rühren“, berichtet Dr. Nischwitz.
Ein anderer ihrer Post Covid-Patienten ist 92 Jahre alt. Er lag lange auf der Intensivstation. Bis heute hat er mit Schwindel zu kämpfen, kann sich zudem schlecht konzentrieren. „Aber er ist sehr fit für sein Alter und versorgt seine Frau. Ich wünsche ihm, dass er sein Post Covid bald nicht mehr so sehr spürt“, sagt die Medizinerin.
Besonders am Herzen liegt ihr der Fall einer Berufskollegin (42). Die Ärztin steckte sich während der ersten Covid-Welle in der Klinik an. Sie besiegte die Infektion, doch sechs Wochen später wurde bei ihr eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert. Auch diese heilte wieder aus. Aber seit dem leidet die 42-Jährige am Fatigue-Syndrom. Sie ist ständig erschöpft und kann pro Tag höchstens vier Stunden lang arbeiten. Zudem hat sie einen kleinen Sohn, inzwischen ist er sechs Jahre alt. Auch um ihn will sie sich kümmern, aber Arbeit und Kinderbetreuung zusätzlich sind ihr zu viel. Jedenfalls im Moment noch. In langsamen, bedächtigen Schritten arbeitete sich die Long-Covid-Patientin voran,e erlitt jedoch immer wieder Rückschläge.
Aber was genau ist Long Covid eigentlich? In den Behandlungsleitlinien der medizinischen Fachgesellschaften ist von Beschwerden die Rede, die länger als vier Wochen nach der Corona-Infektion bestehen. Wenn die Beschwerden länger als zwölf Wochen anhalten, sprechen Experten von Post Covid. Neben organischen Problemen, wie Kurzatmigkeit, Muskel- und Gliederschmerzen oder einer lang anhaltenden Störung des Geruchs- und Geschmackssinns hat Long Covid oft auch neurologische oder psychische Langzeitfolgen – häufig in Kombination. Denn eine Corona-Erkrankung kann sich durch die Infektion selbst, aber auch durch die durch sie ausgelöste Entzündungsreaktion des Körpers auf das Gehirn auswirken. „Die genauen Zusammenhänge sind nicht geklärt, dazu wird immer noch geforscht“, erläutert Dr. Nischwitz. „Weil wir die Ursachen nicht kennen, können wir derzeit nur die Symptome behandeln.“
Dazu gehören neben körperlichen Einschränkungen auch geistige, nervliche und psychische Probleme. Zu den neurologisch-psychiatrischen Beschwerden gehört die Fatigue-Symptomatik. Dabei fühlen sich die Patienten ständig müde und antriebslos. Zudem leiden sie oft an Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Depressionen, Angst oder Schlafstörungen. Eine genaue Diagnostik sei wichtig, betont Dr. Nischwitz – insbesondere, um herauszufinden, ob sich bestehende Probleme verschärft haben oder ob völlig neue hinzugekommen sind. Zur Untersuchung gehören unter anderem neurologische Tests und auch eine Magnetresonanztomografie (MRT), um körperliche Grunderkrankungen auszuschließen.
Patienten müssen Mut zur Langsamkeit lernen
Die Antworten eines Fragebogens sollen Hinweise auf mögliche Auslöser liefern. So können hinter chronischer Erschöpfung und Konzentrationsstörungen beispielsweise Schlafstörungen stecken. Diese werden dann gezielt behandelt.
Ein wesentlicher Baustein im Kampf gegen Lond Covid ist die Verhaltenstherapie. Die Patienten lernen, ihre persönliche Belastung mit Augenmaß zu steigern. „Wir gehen den Weg der kleinen Schritte, analysieren, wie viel sich der Patient zumuten kann – ohne dass er sich dabei so übernimmt, dass er bei seinem Genesungsprozess wieder um Tage zurückgeworfen wird“, erklärt Dr. Nischwitz. Sie will den „Mut zur Langsamkeit“ vermitteln.
Um Long Covid zu überwinden, bedürfe es Geduld, mahnt Dr. Nischwitz. Und man dürfe die Hoffnung nicht aufgeben: „Bei den allermeisten Betroffenen wird es wieder – auch wenn es lange Zeit dauern kann.“