Schilddrüse: Wird zu oft operiert?

von Redaktion

VON ANDREAS BEEZ

München – Die meisten Knoten in der Schilddrüse gelten als harmlos, aber es gibt immer wieder auch andere Fälle: Sie können bösartig sein oder mit der Zeit zu Krebs entarten. US-amerikanische Schilddrüsen-Spezialisten beziffern dieses Risiko in ihren Behandlungsleitlinien auf bis zu 15 Prozent. Das bedeutet: Etwa jeder sechste Knoten könnte eine Zeitbombe sein. Doch jetzt hat eine deutsche Langzeitstudie in Medizinerkreisen für Aufsehen gesorgt. Ihren Ergebnissen zufolge wird die Häufigkeit von Schilddrüsenkrebs überwertet – und damit würde sich auch die vorsorgliche Entfernung vieler Knoten als überflüssig erweisen. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), ein Zusammenschluss von Stoffwechsel-Spezialisten.

Studie: Sehr geringe Krebsrate bei Knoten

Für ihre Studie werteten Wissenschaftler um DGE-Experte Prof. Martin Grußendorf aus Halblech die Untersuchungsdaten von mehr als 17 500 Patienten mit Knoten aus. Im Laufe von bis zu 23 Jahren wurde nur bei 1,1 Prozent ein Schilddrüsenkarzinom diagnostiziert. „Diese neuen Zahlen sollten in die Risikoeinschätzung beim Umgang mit Knoten einfließen, insbesondere auch, was die OP-Entscheidung angeht“, fordert Grußendorf. Seine Fachgesellschaft rät allen Patienten, sich erst nach gründlicher Diagnostik operieren zu lassen. Da eine Schilddrüsen-OP mit Komplikationen wie der Schädigung des Stimmbandnervs oder der Nebenschilddrüsen verbunden sein kann, gelte es, unnötige Operationen zu vermeiden, mahnt die DGE.

Auch Chirurgen sehen die hohe Zahl der Eingriffe an der Schilddrüse in Deutschland kritisch. „Ich teile die Einschätzung, dass insgesamt zu oft operiert wird“, erklärt Professor Heinrich Fürst vom Münchner Isarklinikum. Der Experte, der zu den erfahrensten Schilddrüsen-Operateuren der Republik zählt, warnt aber gleichzeitig vor einer Verunsicherung der Patienten. „Dass zu viele Patienten operiert werden, heißt nämlich im Umkehrschluss noch lange nicht, dass alle Eingriffe überflüssig sind – im Gegenteil: Gerade wenn man ein Schilddrüsenkarzinom in einem frühen Stadium entfernt, liegen die Heilungschancen bei weit über 90 Prozent“, sagte Fürst anlässlich eines hochkarätig besetzten Symposiums im Gespräch mit unserer Zeitung. Bei dieser von Fürst organisierten Ärzte-Tagung im Isarklinikum diskutierten Spezialisten am vergangenen Wochenende unter anderem über den neuesten Stand der Schilddrüsen-Medizin.

Den Patienten empfiehlt Fürst, sich unbedingt um eine gründliche Ultraschalluntersuchung zu bemühen: „Sie ist bei der Beurteilung eines Knotens entscheidend. Im Zweifel kann der Hausarzt einen Spezialisten hinzuziehen und weitere Untersuchungen koordinieren.“

Bei der Ultraschalluntersuchung setzen die Mediziner ein standardisiertes Messverfahren namens TIRADS ein; die englische Abkürzung steht für thyroid imaging reporting and database system. Vereinfacht erklärt werden bei diesem System die Messergebnisse in fünf Krebsrisiko-Stufen eingeteilt – von keinem Risiko (TIRADS 1-2), über mittleres Risiko (3-4) bis zu hohem Risiko für Schilddrüsenkrebs (5).

Das TIRADS-System dient als Grundlage für Mediziner aller Fachrichtungen, ein Hausarzt kann es genauso anwenden wie ein Radiologe oder Chirurg. Das System gilt unter Experten als aussagekräftig, hat aber auch Tücken. „Es erfordert ein hohes Maß an Spezialisierung und ist für weniger geübte Mediziner kaum geeignet“, analysiert der Augsburger Radiologe und Nuklearmediziner Professor Alexander Stahl. Seiner Einschätzung nach werden in der täglichen Praxis zu viele Schilddrüsen-Knoten als unsicher eingestuft – mit der Folge, dass viele Patienten vom Hausarzt direkt zum Operateur geschickt werden. „In vielen Fällen ist es ratsam, noch mal einen Spezialisten zu Rate zu ziehen – zumal die Ultraschalluntersuchung zwar viele Informationen liefert, aber alleine oft nicht ausreichend ist.“ So sei es in den meisten Fällen sinnvoll, zusätzlich eine Schilddrüsen-Szintigrafie vorzunehmen. Dabei spritzt ein Nuklearmediziner eine schwach radioaktive Substanz in die Schilddrüse. Sie lagert sich kurzfristig in der Schilddrüse ab und ermöglicht es so dem Arzt, sich im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild von dem Knoten zu machen. Die Szintigrafie liefert die sichere Info, ob es sich um einen heißen oderkalten Knoten handelt.

Heiße Knoten produzieren Hormone und können Funktionsstörungen der Schilddrüse verursachen. Aber sie sind fast immer gutartig. Dagegen kann sich in einem kalten Knoten Krebs verbergen.

Erhärtet sich bei Untersuchungen wie der Ultraschall-Sonografie und/oder der Szintigrafie der Krebsverdacht, können Mediziner zudem eine Feinnadelpunktion vornehmen. Dabei sticht der Mediziner mit einer feinen Nadel in den verdächtigen Knoten und entnimmt Zellproben, die anschließend im Labor untersucht werden. Ist die Probe unauffällig, muss der Knoten meist nicht operiert werden.

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