Wie sich ein dunkles Familiengeheimnis wie ein Schatten auf die künftigen Generationen legt, ihnen die Luft zum Atmen nimmt und unbewusst Schuldgefühle nährt, ist ein Phänomen, das längst wissenschaftlich erforscht wird. In der eindringlichen Geschichte der argentinischen Autorin Claudia Piñeiro ist es der drei Jahrzehnte zurückliegende Mord an der 17-jährigen Aná, der die Sardá-Sippe auseinandersprengt.
Der von Schmerz gebeugte Vater gibt sich der sinnlosen Suche nach dem Täter hin, den die Polizei nie hat stellen können. Anás Schwester Lía verliert ihren Glauben an Gott und die Menschheit und wandert nach Spanien aus, während das leidvolle Schicksal die Frömmigkeit der Mutter und der älteren Schwester Carmen noch beflügelt. Doch nach all den Jahren ist es Mateo, Sohn von Carmen und Julián, der die Mauer des Schweigens durchbricht, aus seinem streng gläubigen Elternhaus flieht und mit vielen Fragen und Narben auf der Seele vor Lía steht. Und damit einen Prozess in Gang setzt, der nicht nur alte Wunden aufreißt, sondern Stück für Stück eine ungeheuerliche Wahrheit ans Licht bringt. Und die erzählt von religiösem Wahn, kirchlicher Macht und Unmenschlichkeit im Namen des Glaubens.
Ein intensiver Roman, erdrückend und beängstigend nah an der Realität, in der viele Skandale die Kirche erschüttern. Matthias Busch