Sein geliebtes Haustier kastrieren lassen – ein Thema, das häufig hoch emotional diskutiert wird. Die einen wollen ihren Rüden nicht entmannen, die anderen ihre Hündin nicht deswegen einer belastenden Operation unterziehen. Daher kommt es immer wieder zu verzweifelten Szenen auf Hundewiesen, wenn eine läufige Hündin von einer Rotte von Hunden verfolgt und bedrängt wird. Da wird geschimpft über die Rücksichtslosigkeit, eine heiße Hündin mit in den Park zu nehmen. Doch soll die Hündin in der Zeit ihrer Läufigkeit nur noch nachts rausdürfen? Eine Konfrontation, wie sie Tag für Tag auf Bayerns Grünflächen zu erleben ist.
Hunde sind wie alle Lebewesen von Hormonen gesteuert, Fortpflanzung ist ein primäres Ziel jedes Lebewesens. So weit, so normal. Nur hat der Mensch auf derartigen Stress keine Lust. Doch ist die Kastration die Lösung? Sophie Strodtbeck ist Tierärztin, Tierfotografin, Autorin und Dozentin aus Franken und sagt ganz klar: „Es gibt gute Gründe, Hunde zu kastrieren, aber ebenso viele, es nicht zu tun“. Auch die Kleintierexpertin Dagmar Moder aus Steingaden sieht die Lage differenzierter, nicht zuletzt wegen der Rechtslage: Paragraf 6 Abs. 1 Satz 1 Tierschutzgesetz verbietet nämlich das „vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das Entfernen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres“. Darunter fällt eben auch die Kastration. Die Folge: Ein Tierarzt braucht also zuerst einmal eine Indikation. Die Gefühle des Halters reichen nicht aus.
„Ein guter Tierarzt fragt immer nach, warum das Tier kastriert werden soll“, sagt Moder. „Da mag ein Rüde hypersexuell erscheinen, alles niederrammeln und sehr dominant sein. Das heißt aber lange noch nicht, dass das Heil in der Kastration liegt. Ich rate dann zu einem sechsmonatigen Hormonchip. Der Halter muss sehr genau beobachten, ob und wie sich das Verhalten ändert.“ Ändert sich das Verhalten nicht, liegt eher ein Erziehungsproblem vor. Sophie Strodtbeck ist sich sicher, dass ein Hund sehr wohl erlernen kann, auch angesichts einer läufigen Hündin abrufbar zu sein. „Ich sehe da auch Hundeschulen in der Pflicht und sehe gleichzeitig große Defizite. In deren AGBs steht oft, man dürfe nicht mit einer läufigen Hündin kommen. Sollten aber Hundeschulen nicht gerade für ein Leben in der Realität wappnen? Und der sexuelle Zyklus gehört eben auch zur Realität.“
Stephanie Lang von Langen hat eine Hundeschule und sagt: „Die Verträglichkeit von Hunden hat nichts mit Kastration zu tun, man sollte vorher unbedingt alle Möglichkeiten ausschöpfen.“ Klar, dass Streuner im Ausland von Tierschützern früh kastriert werden, um eine unkontrollierte Fortpflanzung zu verhindern. Ein Problem, das es hierzulande bei Katzen gibt (siehe Bericht unten). Geschlechtsreife Hunde kann man in Deutschland hingegen während der Läufigkeit durchaus trennen. Darüber hinaus gibt es auch Therapie- und Schutzhunde, die aufgrund ihres „Jobs“ eher kastriert werden (müssen).
Doch eine Kastration ist nicht ohne. So hat Stephanie Lang von Langen Defizite bei früh Kastrierten bemerkt: „Die Hunde haben oft Probleme im Umgang mit Artgenossen und können heikle Situationen nicht gut einschätzen. Da kommt es auf die richtige Reaktion der Halter an.“
Knackpunkt ist immer die Pubertät. Die Hormone spielen verrückt und das Gehirn wird umgebaut. Es geht „vom Emotionalen mehr zum Rationalen, Hunde werden erwachsen, sie erlernen Frustrationstoleranz und Impulskontrolle. Unterbricht eine Kastration diesen Umbauprozess, kann es dazu führen, dass der Hund quasi infantil bleibt“, sagt Strodtbeck. „Und auf der körperlichen Seite müssen sich erst Wachstumsfugen schließen, was normalerweise durch das Anfluten der Sexualhormone in der Pubertät passiert. Bei Frühkastraten bleibt der Wachstumsstopp, so wie vorgesehen, aus und führt dazu, dass die Hunde etwas höher werden, sehr schlaksig bleiben und unter Umständen Probleme mit dem Bewegungsapparat bekommen. Aber auch der Wegfall des Testosterons und seiner muskelaufbauenden Wirkung führt zu vermehrten orthopädischen Problemen bei Kastraten.“
Greift man also ein, ist immer auch das Wann der Kastration ganz entscheidend. Strodtbeck sagt: „Kleinere Rassen können schon mit sechs Monaten ein erstes Mal läufig werden, größere deutlich später. Insofern ist auch die Faustregel, die Hündin nach der dritten Läufigkeit zu kastrieren, relativ.“ Wie auch der Richtwert, dass man Rüden nicht vor eineinhalb Jahren kastrieren sollte; auch das ist von der Rasse und dem einzelnen Hund abhängig.
Tierärztin Dagmar Moder hat die Erfahrung gemacht, „dass es Hündinnen gibt, die jede Scheinschwangerschaft extrem stresst. Oft kommen die Besitzer und wollen Hormongaben. Ich lehne das ab, ich habe unzählige hormonell behandelte Hündinnen erlebt, die dann mit sechs, sieben Jahren eine Total-OP gebraucht haben.“ Moder sagt: „Ich rate zur Ovarektomie, also der Entnahme der Eierstöcke. Wenn man auch die Gebärmutter entfernt, verschiebt sich auch mal die Blase, die Hündinnen werden inkontinent.“ Aber es bleibt ein operativer Eingriff und es gibt immer ein Narkoserisiko. Wie so oft in der Tierhaltung gibt es keine Patentrezepte, nur eine individuelle Abwägung von Nutzen und Risiken. Nur mit einem Vorurteil räumt Moder entschieden auf: „Fett wird kein Hund durch Kastration, das geschieht nur durch das Futter in Verbindung mit weniger Bewegung.“ Interessante Links www.strodtbeck.de www.langvonlangen.com Buchtipps . Entspannt mit Hund – Mit den fünf Grundbedürfnissen zur Dog-Life-Balance. Von Stephanie Lang von Langen, Piper TB, 224 Seiten. 11 Euro. . Kastration und Verhalten beim Hund. Von Udo Gans- loßer und Sophie Strodtbeck. Verlag Müller Rüschlikon, 160 Seiten, 19,95 Euro.