München – Demenz gilt als gefürchtete Volkskrankheit. Nach Erkenntnissen der Deutschen Hirnstiftung sind allein in Deutschland etwa 1,2 Millionen Menschen davon betroffen, und die Zahl steigt stetig an. Jedes Jahr kommen etwa 240 000 Patienten dazu. Trotzdem wird ein Risikofaktor oft unterschätzt, den jeder von uns ein Stück weit selbst in der Hand hat: Bluthochdruck. „Auf Dauer setzen selbst vermeintlich nur moderat erhöhte Messwerte die Blutgefäße enorm unter Druck – auch im Gehirn. Eine mögliche Folge sind chronische Durchblutungsstörungen. Dadurch kann es nicht nur zu einem Schlaganfall, sondern auch zu einer sogenannten vaskulären Demenz kommen“, warnt Professor Martin Halle. Hier erklärt der Münchner Präventionsmediziner vom Uniklinikum rechts der Isar die Gefahr und wie man sich dagegen wappnen kann.
Die Gefahr
„Erhöhter Blutdruck stresst die Hirngefäße“, weiß Prof. Halle, „seit einigen Jahren kristallisiert sich verstärkt ein Zusammenhang auch zwischen Hypertonie und Demenz heraus.“ So kam bei einer Anfang 2020 veröffentlichten Studie heraus, dass die erfolgreiche medikamentöse Einstellung von Bluthochdruck das Demenz-Risiko um zwölf Prozent senkt und jenes von Alzheimer sogar um 16 Prozent. Zur Erklärung: Demenz ist praktisch der Übergriff für eine schwindende Leistungsfähigkeit des Gehirns. Die häufigste Form ist die Alzheimersche Krankheit, an der etwa 50 bis 70 Prozent der Dementen leiden. Circa 15 bis 25 Prozent aller Fälle sind laut Deutscher Hirnstiftung der vaskulären Demenz zuzuordnen. Bei Letzterer kommt es unter anderem zu Gefäßveränderungen durch Mikro-Blutungen, Mini-Schlaganfälle (in der Fachsprache transitorische ischämische Attacken, kurz TIA) genannt und Schädigungen der Blut-Hirn-Schranke. Dabei entsteht eine Kettenreaktion: „Bei einem zu hohen Blutdruck können winzige Eiweißpartikel durch die Gefäßwand gelangen, dadurch sterben Zellen im Gehirn ab“, erklärt der Neurologe Professor Götz Thomalla vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf in einem Beitrag für den Norddeutschen Rundfunk (NDR).
Die Warnsignale
Bluthochdruck und Demenz verbindet, dass sich beide Erkrankungen schleichend entwickeln. Lange haben die Betroffenen keine klar zuzuordnenden Symptome. „Generell sollte man ab 40 Jahren mindestens einmal im Jahr den Blutdruck messen – speziell dann, wenn man relativ häufig Kopfschmerzen hat“, rät der Präventionsmediziner Halle. Ein Warnsignal für erhöhten Blutdruck kann auch sein, dass man sich morgens oft unausgeschlafen und wie gerädert fühlt. „Das kann auch ein Hinweis auf nächtlich erhöhten Blutdruck sein. Normalerweise ist der Blutdruck nachts im Liegen um etwa 20 mm/Hg niedriger als tagsüber. Wenn diese Nachtabsenkung nicht eintritt, wird das Gehirn gestresst. Dadurch wird die Tiefschlafphase gestört, sie tritt seltener ein oder hält kürzer an. Der wichtige Erholungseffekt über die Nacht fällt aus. Dies kann die Leistungsfähigkeit am nächsten Tag massiv einschränken.“ Man fühlt sich mental und körperlich müde, kann sich nicht so gut konzentrieren, ist mitunter fahrig und leicht reizbar. „Auch Schnarchen kann zu nächtlichem Stress und extrem hohem Blutdruck führen“, berichtet Halle.
Die Untersuchungen
Neben den klassischen Vorsorgeuntersuchungen und regelmäßigen Blutdruckkontrollen empfiehlt der Kardiologe Halle ergänzende Untersuchungen beispielsweise beim Hausarzt bereits ab einem Blutdruckmesswert von 140/90 mm/Hg – als optimal gilt 120/80, alles bis 139/89 als hochnormal, darüber spricht man von Hypertonie Grad 1. Der Hintergrund: Studien-Analysen aus China belegen, dass das Schlaganfallrisiko bereits bei Werten zwischen 120/80 und 140/90 um beachtliche 66 Prozent steigt. Was viele Menschen nicht wissen: Auch ein Besuch beim Augenarzt kann wertvolle Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für eine vaskuläre Demenz liefern. „Der Augenarzt kann gewissermaßen ins Gehirn schauen. Er beurteilt, ob die Gefäße der Netzhaut Veränderungen aufweisen bzw. geschlängelt sind. In solchen Fällen liegt schon seit Jahren Bluthochdruck vor“, erläutert der Chefarzt vom Uniklinkum rechts der Isar und fügt hinzu: „Gibt es bereits Einblutungen in der Netzhaut, ist dies in der Regel auch im Gehirn bereits passiert. Solche Prozesse führen über viele Jahre zum Verlust von Gehirnzellen.
Die Therapie
Neben Lebensstilveränderungen (siehe Vorbeugung) haben Mediziner heute eine Fülle von effektiven Arzneimitteln gegen Bluthochdruck zur Verfügung. Zu den wichtigsten Medikamentengruppen gehören ACE-Hemmer, Sartane, Calziumantagonisten, Diuretika (Wassertabletten) und Betablocker.
Die Vorbeugung
Um moderat erhöhte Blutdruckwerte in den Griff zu bekommen, sollte man an Stellschrauben im Alltag drehen – vor allem bei der Ernährung: „Als Faustregel gilt: Wer zehn Kilo abspeckt, der kann seinen Blutdruck allein dadurch um 10 mm/Hg senken“, weiß Halle. „Und: Man sollte möglichst wenig Salz essen. Denn Salz bindet Wasser im Körper, erhöht so das Blutvolumen und dadurch den Blutdruck. Beim Essen nicht nachsalzen! Zudem sollt man nur wenig Alkohol trinken.“ Auch regelmäßige Bewegung – am besten fünf Mal wöchentlich mindestens 15 Minuten – drückt den Blutdruck. In der Regel sinken die Werte um 10 mm/Hg, manchmal gehen sie aber sogar um 20 mm/Hg zurück. „Erste Erfolge bei der Blutdruckmessung stellen sich erfahrungsgemäß bereits nach etwa drei Monaten ein“, weiß Halle, der bereits seit 20 Jahren das Zentrum für Prävention und Sportmedizin der TU München leitet.
Der Trainingseffekt
Im fortgeschrittenen Alter wird Bluthochdruck zunehmend zum Problem. So hat ab 60 Jahren bereits jeder Zweite erhöhte Messwerte. Neben einer sorgfältigen medikamentösen Einstellung hilft regelmäßiges Training, Hypertonie und ihre Folgen einzudämmen. Wie effektiv ein solches Bewegungsprogramm für alte Menschen sein kann, wird derzeit bei einer der weltweit größten Studien zu dieser Frage unter Federführung der TU München erforscht. An dem „bestform-Projekt“ in Kooperation mit der Beisheim Stiftung nehmen mehr als 400 Senioren in über 20 Senioreneinrichtungen teil. Prof. Martin Halle rät: „Wer sich regelmäßig bewegt, steigert seine Lebensqualität und seine Leistungsfähigkeit, leidet seltener an chronischen Erkrankungen, etwa des Herz-Kreislauf-Systems, Diabetes oder Demenz, ist körperlich weniger eingeschränkt, bleibt geistig fit, hat mehr soziale Kontakte und eine höhere Lebenserwartung.