München – „Normale Zahnärzte haben oft keine Geduld“, sagt Patient Falk Sradnick. Es verletzte ihn, wenn er beispielsweise gefragt werde, warum er zucke und Schwierigkeiten habe, den Mund zu öffnen. Denn Falk Sradnick ist seit Geburt eingeschränkt, er leidet an einer infantilen Cerebralparese, also einer bleibenden Störung des Haltungs- und Bewegungsapparates. Der 39-Jährige kommt aber gut zurecht, arbeitet beispielsweise seit 17 Jahren bei der Firma Goretex in Putzbrunn und kann dank Rollstuhl auch alleine zu Ärzten. Nur braucht eben alles ein wenig länger bei ihm – und leider hat er schon öfters gespürt, dass sich mancher diese Extra-Zeit nicht gerne nehmen will. Umso froher ist er, dass er in München einen Ort gefunden hat, der für ihn perfekt ist.
Eine Praxis, in der das Gesetz, Zeit ist Geld, außer Kraft gesetzt zu sein scheint: Die der Spezialambulanz für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf an der Zahnklinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) an der Goethestraße 72. „Wir behandeln hier Patienten mit Beeinträchtigungen und sind dafür speziell ausgestattet“, erklärt Leiter Dr. Marc Auerbacher. Er ist Oberarzt und zertifizierter Spezialist für Seniorenzahnmedizin der Deutschen Gesellschaft für Zahnmedizin. „Unser Bereich ist einmalig in der staatlichen deutschen Universitätslandschaft“, sagt Dr. Auerbacher. Die Einrichtung wurde 2012 auf Initiative des Direktors der Zahnklinik, Prof. Reinhard Hickel, gegründet, der unter anderem deswegen jetzt mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
In der 250-Quadratmeter-Praxis gibt es extragroße Behandlungszimmer und sanitäre Einrichtungen, die auch mit Rollstühlen bequem zu befahren sind. Zudem gibt es einen Spezialstuhl für 30 000 Euro, in dem auch Patienten in einem schweren elektrischen Rollstuhl behandelt werden können, ohne dass diese den Rollstuhl verlassen müssen. Und eines fehlt, das sonst allgegenwärtig zu sein scheint: Zeitdruck. „Die Behandlung von Menschen mit schweren Behinderungen ist zeit- und personalintensiv. Junge Zahnärzte, die Praxismieten bezahlen müssen, können sich diesen Aufwand oft gar nicht erlauben. Denn bei gesetzlich versicherten Menschen mit besonderem Behandlungsbedarf wird dieser Aufwand finanziell nicht ausreichend gedeckt“, sagt Dr. Auerbacher. Doch kann er in seinem kleinen Bereich nicht unzählig viele Patienten behandeln – insbesondere neue Patienten müssten deshalb mit Wartezeiten auf Termine rechnen. Dr. Auerbacher hofft, dass die spezielle Abteilung der Zahnklinik Schule macht. Er hat vor seinem Zahnarzt-Studium als Ergotherapeut gearbeitet und kann so besonders auf Menschen mit Einschränkungen eingehen. Sein Wissen gibt er auch an Studenten weiter, mit denen er wöchentlich Patienten in der Tagesklinik für Altersmedizin (Geriatrie) an der Ziemssenstraße 5 besucht. Denn um Patienten mit Einschränkungen zu behandeln, braucht es spezielle Kenntnisse.
So geht beispielsweise Parkinson oft mit Schluckstörungen einher. Demente Menschen verstehen oft nicht, was von ihnen gefragt ist und wollen beispielsweise den Mund nicht öffnen. „Hier braucht man viel Geduld und Einfühlungsvermögen“, sagt Dr. Auerbacher. Beim Menschen mit geistigen Behinderungen ist Angst oft eine der größten Barrieren. „Da geht es darum, Vertrauen aufzubauen, am besten mit einem konstanten und einfühlsamen Team.“
Dr. Auerbacher und seinem Team ist es wichtig, zu vermeiden, dass diese Menschen für eine Zahnbehandlung zu häufig in Vollnarkosen behandelt werden. Denn viele Studien zeigten, dass Narkosen besonders bei Demenzpatienten nicht unbedingt förderlich sind. SUSANNE SASSE